Renditeprognose verfehlt Die ganz reale Riester-Lüge

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Magere Verzinsung

Glenners Sparkasse hat die Rechnung zudem ohne die Finanzkrise und das in der Folge immer weiter sinkende Zinsniveau gemacht – was ihr kaum vorzuwerfen ist. Auf Nachfrage der WirtschaftsWoche erklärt die Sparkasse, sie verwende für ihre Renditeprognose den geltenden Zehn-Jahres-Rentendurchschnittszins – was absolut branchenüblich sei.

Von den prognostizierten 3,8 Prozent ist die Verzinsung inzwischen leider Lichtjahre entfernt. Die – allerdings variable - Basisverzinsung lag 2006 noch bei 3,0 Prozent. Aber gerade in den vergangenen Jahren ist sie immer schneller gesunken. Erreichte sie bis Januar 2013 noch 1,2 Prozent, fiel sie in anschließend auf 1,0 Prozent, seit Oktober 2013 beträgt sie nur noch 0,75 Prozent. Inklusive der staatlichen Zulagen für acht Jahre lag die Rendite letzten Endes bei etwa zwei Prozent pro Jahr.

Für jemanden, dessen Vertrag kurz vor der Auszahlung steht, ist das besonders bitter. Denn in den letzten Jahren vor der Auszahlung ist das Sparguthaben schon recht hoch. Umso stärker wirkt der Zinseszinseffekt. Auf den letzten Metern der Ansparstrecke erhöht sich das angesparte Kapital daher besonders schnell. Sinken die Zinsen in dieser Phase deutlich, bremst das die Zinserträge aus.

Was Sparer gegen schlechte Riester-Verträge tun können
Günstiges Produkt wählenUm eine spätere Enttäuschung mit dem Riester-Produkt zu vermeiden, sollten Sie schon vor dem Vertragsabschluss prüfen, welches Produkt passt und was es kostet. Allen Riester-Produkten gemein ist die Kapitalgarantie. Zu Beginn der Auszahlungsphase müssen also zumindest die eingezahlten Beiträge sowie die gewährten staatlichen Zulagen vorhanden sein. Bei den Kosten und den möglichen Renditen gibt es jedoch große Unterschiede, je nachdem, ob Sie zu einer Versicherung, einem Fonds- oder Banksparplan oder zum Wohn-Riester greifen. Viele Experten betrachten Wohn-Riester als die rentabelste Form der staatlich bezuschussten Altersvorsorge. Quelle: Fotolia
Vertrag beitragsfrei stellenWer nicht mehr in seinen Riester-Vertrag einzahlen möchte, weil er sich als unrentabel erweist oder weil einfach das Geld in der Haushaltskasse fehlt, kann seinen Vertrag zunächst beitragsfrei stellen. Dann fließen weder neue Einzahlungen noch staatliche Zulagen in den Vertrag. Die bis zu diesem Tag einzahlten Beiträge und Zulagen bleiben im Vertrag stehen und werden am Ende der Vertragslaufzeit auch mit den aufgelaufenen Zinsen ausgezahlt – Anleger machen also keine zusätzlichen Verluste. Diese Beitragsfreistellung ist auch für Menschen interessant, die sich selbständig machen. Weil Selbständige nicht zur Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung verpflichtet sind, haben sie keinen Anspruch auf die staatlichen Zulagen. Aber was in den Vorjahren bereits gewährt wurde, geht trotz Beitragsfreistellung auch nicht verloren. Kehrt der Selbständige wieder in ein Angestelltenverhältnis zurück, kann er zudem den ruhenden Vertrag neu aufleben lassen. Quelle: Fotolia
Beiträge reduzierenEine andere mögliche Variante ist es, die Beitragszahlungen zu reduzieren. Das sorgt für Entspannung in der Haushaltskasse, aber die Altersvorsorge wird zumindest weiter angespart. Damit aber auch weiter die staatlichen Zulagen fließen, muss der Riester-Sparer weiterhin mindestens 60 Euro im Jahr – also fünf Euro im Monat – in den Vertrag einzahlen. Sonst gehen die Riester-Zulagen verloren – und damit auch ein wesentlicher Vorteil des Riester-Vertrags. Wer also die fünf Euro nicht mehr aufbringen will oder kann, sollte den Vertrag lieber ganz beitragsfrei stellen oder sogar kündigen – oder eventuell aussetzen (siehe nächstes Bild). Quelle: Fotolia
Beiträge vorübergehend aussetzenWer glaubt, nur vorübergehend nicht das Geld für einen Riester-Vertrag aufbringen zu können, und den Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt weiter besparen möchte, muss nicht gleich kündigen. Beim „riestern“ kann sich der Sparer auch eine Auszeit gönnen. Praktisch ist diese Variante vor allem, wenn Elternzeit, Krankheit oder vorübergehende Arbeitslosigkeit das Einkommen schmälern. Bessert sich die Einkommenslage wieder, können die monatlichen Raten wieder aufgenommen werden. Es fehlen dann zum Ende der Laufzeit allerdings die ausgesetzten Einzahlungsmonate, die Ablaufleistung ist entsprechend niedriger. Quelle: Fotolia
Kündigung: Ende mit SchreckenWer ganz aus seinem Riester-Vertrag raus möchte, kann dies grundsätzlich jederzeit tun. Schließlich ist bei allzu schlechter Rendite ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen. Allerdings ist eine üppige Kündigungsfrist zu beachten. Sie ist immer nur zum Quartalsende möglich, wenn mindestens drei Monate vorher gekündigt wurde. Bei der Rückzahlung des angesparten Kapitals ist außerdem mit empfindlichen Einbußen zu rechnen (siehe Bild 9). Was zurückgezahlt wird, dürfte deutlich unter der Summe der eingezahlten Beiträge und staatlichen Zulagen liegen. Dafür hat der Sparer wieder mehr monatlichen Spielraum, um Geld auf anderem Wege an die Seite zu legen sowie weniger Papierkram, weil er die Riester-Zuschüsse nicht mehr beantragen muss. Quelle: Fotolia
Vertrag wechselnEtwas anders stellt sich die Situation dar, wenn mit Wirksamwerden der Kündigung gleich ein anderer Riester-Vertrag angespart wird. Das kann sich unter Renditeaspekten durchaus lohnen. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat ausgerechnet, dass bei einer monatlichen Zahlung von 100 Euro und mit einer Laufzeit von 30 Jahren eine nur um einen Prozentpunkt höhere Rendite am Tag der Auszahlung 13.000 Euro Plus ausmacht. Zwar entstehen mitunter nochmal beträchtliche Kosten. Es werden für den Wechsel üblicherweise von 50 bis 125 Euro fällig, im Einzelfall auch deutlich mehr. Allerdings möchte die Bundesregierung die Wechselgebühren in Zukunft auf 150 Euro begrenzen. Quelle: Fotolia
Rechtzeitig neuen Vertrag suchenWer wechselwillig ist, sollte sich zunächst auf die Suche nach einem geeigneten Produkt machen und den alten Riester-Anbieter erst anschließend über seine Wechselabsichten informieren. Dadurch lässt sich vermeiden, dass die Sparsumme samt staatlicher Zulagen zunächst ausgezahlt wird. Stattdessen sollte das Guthaben aus dem Riester-Vertrag gleich in den neuen Vertrag fließen. Wichtig: Der Riester-Sparer ist selbst dafür verantwortlich, dass der aktualisierte Zulagenantrag mit den Daten des neuen Anbieters den Behörden zugeht. Sonst gehen die monatlichen Grundzulagen und Kinderboni verloren. Bei den Rentenversicherungsprodukten ist noch zu beachten, dass zum Jahresbeginn der staatlich garantierte Zins auf die Ersparnisse von 2,25 auf 1,75 Prozent gesenkt wurde. Mitunter lässt sich je nach Produkt und Gesellschaft auch nur die Anlagestrategie ändern, etwa indem der Anleger in einen anderen Riester-Fondssparplan des gleichen Anbieters wechselt. Dann werden keine oder nur geringe Wechselkosten fällig. Quelle: Fotolia

Präzedenzfall für die Sparkasse

Glenner will das Angebot der Sparkasse nicht hinnehmen und hat sich beschwert. Sein Fall schafft es bis in die Vorstandsetage der Sparkasse. Von dort erhält er im Juli ein Schreiben, in dem die Sparkasse ihre drastische Fehlprognose begründet.

Sie beruft sich auf die Garantiezinssenkungen bei den Lebensversicherungen sowie auf die Änderungen in der zugrundeliegenden Lebenserwartung durch die Einführung der gesetzlich verordneten Unisex-Tarife sowie die Kosten für den Abschluss der Rentenversicherung beim Eintritt in die Rentenphase. All das habe das angestrebte Ergebnis aus dem Anlagevorschlag von 2006 geschmälert, räumt die Sparkasse in einem Antwortschreiben ein.

Neben den bescheidenen Zinserträgen ist vor allem der um zwei Jahre vorgezogene Ruhestand für die unerwartet niedrige Rentenhöhe verantwortlich. Denn die Versicherer sind von den Finanzaufsichtsbehörden gehalten, vorsichtig zu kalkulieren. Und aus Sicht eines Rentenversicherers besteht das größte Risiko darin, dass ein Rentner deutlich länger lebt, als es statistisch wahrscheinlich wäre – und damit weit länger eine Rente erhält als der Durchschnitt seines Jahrgangs.

Unrealistische Lebenserwartungen sind gewollt

Die Lebenserwartung kalkulieren Versicherungen und Banken anhand von sogenannten Sterbetafeln. In ihnen steht, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein deutscher Mann oder eine deutsche Frau eines jeden Geburtsjahrgangs im Folgejahr verstirbt, wenn er oder sie ein bestimmtes Jahr überlebt hat.

Daraus leiten die Versicherungsmathematiker eine Lebenserwartung ab, mit der sie die Rentenbezugsdauer kalkulieren. Im Fall Glenner lag die kalkulatorische Lebenserwartung bei 93 Jahren oder mehr. Das Statistische Bundesamt geht in seinen Prognosen jedoch davon aus, dass Männer im Alter von Glenner im Durchschnitt 82 bis 83 Jahre alt werden.

Sehr alt werden lohnt sich

Laut Axel Kleinlein, Vorstandssprecher beim Bund der Versicherten, sind unterstellte Rentenbezugsdauern von 26 bis 33 Jahren wie im Fall Glenner ganz normal und marktüblich. „Solche Lebenserwartungen sind noch nicht einmal das Ende der Fahnenstange. Andere Anbieter rechnen sogar so, als würden ihre Kunden 100 Jahre und älter werden.“, sagt Kleinlein, Experte für Sterbetafeln und Versicherungsmathematik.

Dass die Berechnungen an der Realität vorbeigehen, hat Methode. Und schuld daran sind nicht nur die Versicherer, sondern auch die Regierung. Denn die Aufsichtsbehörden verlangen von den Versicherungen, vorsichtig zu kalkulieren. Das soll die Rentenzahlungen auch dann sichern, wenn die Kapitalrenditen und Einnahmen der Versicherer mal schrumpfen.

Die Folge: Versicherungen sind nur mit überdurchschnittlichen Lebenserwartungen kalkulatorisch auf der sicheren Seite. Für Banken wie für Versicherungen gilt dabei immer das vom Bund vorgeschriebene Bündel an Sterbetafeln der Deutschen Aktuarvereinigung.

Das Zahlenwerk mit der kryptischen Bezeichnung DAV2004R taucht deshalb im Kleingedruckten der Rentensparpläne und -versicherungen immer wieder auf. „Was die Rentenanbieter aber daraus ableiten, bleibt ihrem Ermessen überlassen. DAV2004R kann so alles Mögliche bedeuten“, sagt Kleinlein. „So zu rechnen ist gewünscht und absolut rechtens. Aber für den Steuerzahler ist das nicht sonderlich rentabel.“

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