WirtschaftsWoche: Herr Raffelhüschen, die Rücklagen der gesetzlichen Rentenkassen wurden zuletzt für 2011 auf stolze 5,1 Milliarden Euro geschätzt. Ist unsere Rente jetzt wieder sicher?
Raffelhüschen: Die Hausaufgaben sind im Wesentlichen erledigt. Durch die Reformen der vergangenen 15 Jahre ist die gesetzliche Rente nachhaltig finanzierbar geworden. Wir haben die Rente demografiefest gemacht: durch den Nachhaltigkeitsfaktor, den Renteneintritt mit 67 und Abschläge bei vorgezogenem Ruhestand.
Bei Rücklagen, die 1,5 Monatsauszahlungen übersteigen, soll es laut Gesetz Beitragssenkungen geben. Für 2013 zeichnet sich eine Senkung des Beitragssatzes von 19,6 auf 19,2 Prozent ab. Doch das lehnt sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund ab und will lieber höhere Beiträge als Armutsrenten. Ist das überhaupt sinnvoll?
Ob wir die höheren Reserven jetzt nutzen sollten, um die Beiträge zu senken, ist Geschmackssache. Es ist richtig, dass wir eine gesetzliche Bestimmung haben, aber die wurde schon oft geändert. Zeitweise mussten die Kassen drei Monatsausgaben vorhalten. In Zeiten knapper Kassen haben wir die Reserven auch schon auf die Ausgaben für 14 Tage runtergeschraubt. Gesetze kann man ändern, aber zu hohe Rücklagen wecken Begehrlichkeiten. Ich weiß nicht, ob sich die Rentenkassen gegen diese gegebenenfalls wehren können.
Also lieber weiter Rücklagen bei den Rentenkassen anhäufen?
Wir brauchen Reserven in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wichtig ist doch, dass wir die Rücklagen nicht gleich wieder für großzügige Rentnergeschenke ausgeben. Das ist, was der DGB will. Von Geschenken, die wir nicht nachhaltig finanzieren können, haben wir in letzter Zeit genug gehabt.
Noch brummt die Konjunktur. Wird die umlagefinanzierte Rente auch bei der nächsten Konjunkturschwäche so stabil bleiben?
Die aktuelle Situation wird so nicht bleiben. Wir haben die höchsten Steuer- und Beitragseinnahmen in der deutschen Geschichte. Das Niveau sollte uns froh stimmen, aber eins ist klar: Nach sieben fetten folgen auch sieben magere Jahre. So wird das mit der Konjunktur nicht ewig weitergehen.
Bleibt die Altersvorsorge mit ihren drei Säulen aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge denn auch im Konjunktureinbruch gesichert? Schon jetzt haben ja die privaten Rentenversicherer Probleme, eine ausreichende Rendite oberhalb der Inflation zu erzielen?
Wir müssen den Menschen, die sich um ihre Rente sorgen, sagen, dass sie nicht nur von heute bis morgen denken sollen, sondern langfristiger. Die Rente wird – im Durchschnitt – robust sein. Es wird auch mal gute und mal schlechte Tage geben. Was die beiden anderen Säulen, also die betriebliche und die private Altersvorsorge angeht, haben wir exakt dieselbe Situation. Wichtig ist, dass man sich eins klar macht: Die Umlagefinanzierung baut im Wesentlichen auf die Produktivität der künftigen Generationen. Die Kapitaldeckung basiert hingegen – je nachdem um welches Produkt es sich handelt – auf die Produktivität der Unternehmen, etwa bei der Direktversicherung oder aber auf Staatsschulden.
Sie meinen die private Altersvorsorge mit Riester & Co.?
Ja. Im Falle eines Riester-Vertrags, der in eine Rentenversicherung fließt, ist die Rendite meist nichts anderes als ein Staatsschuldtitel, weil die Refinanzierung zu 90 Prozent über Staatsanleihen läuft, mit denen sich die öffentliche Hand verschuldet. Wie gut oder wie schlecht es einer Säule geht, hängt davon ab, wie sie sich refinanziert. Und das ist relativ leicht zu erkennen.
Ist die Riester-Rente eine Erfolgsgeschichte?
Den kapitalgedeckten, privaten Vorsorgeinstrumenten bleiben aber angesichts der niedrigen Zinsen bei sicheren Staatsanleihen derzeit die Kunden zunehmend weg, während ihre Auszahlungsquoten steigen. Sollte sich dieser Trend nicht umkehren lassen, steht die private Vorsorge doch vor einem Riesenproblem.
Die ersten Auszahlungen aus Riester-Verträgen sind erst in einigen Jahren zu erwarten. Wie es dann aussieht, wissen wir heute nicht. Die Auszahlung der ausgereiften Riester-Verträge steht frühestens ab 2025 an. Welche Renditen die Staatsschuldtitel bis dahin haben und hatten, wissen wir auch nicht. Aber ein bisschen Umlage, ein bisschen betriebliche und ein bisschen private Altersvorsorge über Rententitel, Immobilien oder über aktiengestützte Titel – Aktien haben derzeit gar keine schlechte Rendite – ist auch gesamtgesellschaftlich wichtig für einen guten Mix. Also weg von 80 Prozent Umlage wie heute und hin zu nur etwa 60 Prozent Umlage und 40 Prozent in anderen Sparformen. Dann sind wir gut gewappnet für die verschiedenen demografischen und konjunkturellen Szenarien der Zukunft.
Müssen wir also angesichts der Schwankungen bei der Zahl der Erwerbstätigen, in der Konjunktur und an den Kapitalmärkten immer wieder mit Beitragssteigerungen oder Leistungskürzungen rechnen?
Die Beiträge werden auch in Zukunft steigen – der Gesetzgeber lässt dies ausdrücklich zu; allerdings maximal auf 22 Prozent ab 2030. Auch die Leistungen werden sinken, denn das ist im Wesentlichen der Effekt eines Nachhaltigkeitsfaktors oder einer Rente mit 67. Das ist bereits gesetzlich fixiert.
Also ist die Riester-Rente auch aus Ihrer Sicht eine Erfolgsgeschichte?
Es gibt nicht die Riester-Rente, denn es gibt tausend verschiedene Möglichkeiten, die Riester-Rente zu gestalten. Gemeinsam ist dabei nur der steuerrechtliche Sonderausgabenabzug beziehungsweise die Aufstockung durch die Zulagen. Durch die nachgelagerte Besteuerung dieser staatlich geförderten Altersvorsorge haben wir faktisch einen langfristigen Steuererlass. Der Riester-Vertrag der dahinter steckt, ist dann beispielsweise ein Wohn-Riester, und die Rendite ist die, die mir mein Dach überm Kopf sichert. Oder die Riester-Rente ist ein Rentenversicherungsprodukt, das sich über Staatsschuldentitel refinanziert. Griechische Staatschuldentitel hatten nun keine gute Rendite, deutsche sind hingegen nicht schlecht, will heißen sicher aber nicht übermäßig ertragreich. Riester-Produkte dürfen auch in Aktienmärkte investieren, auch da sind die Renditen mal gut, mal schlecht. Und dazu sind auch noch alle Formen von Mischungen aus diesen Varianten möglich. Dementsprechend kann man die Riester-Rente nicht kritisieren. Manche der Produkte sind gut, manche schlecht.
Aber die ganze Palette der Möglichkeiten kann doch kein Verbraucher mehr durchblicken.
Wer privat vorsorgen will, kommt nicht umhin, sich gründlich zu informieren und die Zinseszinsrechnung, die wir alle im neunten Schuljahr hatten, zu bemühen. Ich kann Verbrauchern nur raten, sich alles in Ruhe zu überlegen und die Rechnungen der Berater zu überschlagen. Der Rest ist gesunder Menschenverstand.
Viele Verbraucher fürchten, vom Berater nur das empfohlen zu bekommen, was hohe Provisionen bringt.
Dann sie sollten daran denken, dass die Finanzberater Geld verdienen wollen, um gut zu leben. So wie der Bäcker mit seinen Brötchen. Mit Vernunft und etwas Skepsis lässt sich schon erkennen, mit welcher Art Berater man es zu tun hat.
Der Vorstoß der Eiopa
Die europäische Aufsicht Eiopa hat erst jüngst mehr Transparenz von den Betriebsrentenfonds verlangt, um unter anderem Stresstests durchzuführen und ihre Kapitalausstattung wie schon bei Versicherungen zu durchleuchten. Halten Sie den Vorstoß für sinnvoll?
Wir wissen noch nicht genau, was da aus den EU-Gremien kommt. Wir haben in Deutschland spezifische Lösungen bei der betrieblichen Altersvorsorge. Das sind vielfach Selbstverwaltungsgremien oder genossenschaftliche Lösungen für die Betriebsrente, die nicht wie Versicherungen funktionieren. Die sollten wir nicht so einfach aufgeben. Im Kern geht es der Eiopa aber um etwas anderes: Diversifikation – also die vielfältige Streuung der Anlagen zur Risikominderung. Das ist das Entscheidende: Auch ein Pensionsfonds oder ein Versorgungswerk muss sich gefallen lassen, dass es bestimmten Diversifikationsrichtlinien genügen muss. Da haben wir einiges zu tun. Das gilt auch und vor allem für Anbieter von Vorsorgeprodukten, die sich über Staatsschuldentitel refinanzieren. Das ist keine Kapitaldeckung, sondern nur eine verbriefte Form von Umlage.
Muss bei der betrieblichen Altersversorgung nicht auch was passieren, damit Arbeitnehmer bei einem Jobwechsel ihre Verträge oder Ersparnisse leichter mitnehmen können?
Das ist natürlich ein Problem. Nicht so sehr der großen Unternehmen, die in der Regel zuverlässige Arbeitgeber mit entsprechenden Vorsorgelösungen sind, sondern mehr im Mittelstand. Da herrscht noch großer Diskussionsbedarf. Aber selbst versicherungsmathematisch ist die Frage der Portabilität nur sehr schwer zu lösen.
Ist aus Ihrer Sicht eine Vorsorgepflicht für Selbstständige sinnvoll?
Im Moment haben wir hier eigentlich gar kein Problem. Im Regelfall haben die Selbstständigen vorgesorgt. Diejenigen, die im Alter in die Sozialhilfe fallen, sind nur einzelne, die in den Talkshows herumgereicht werden. Bezogen auf Gesamtdeutschland ist deren Zahl ein Witz. Die Frage ist jedoch, was in 20 oder 30 Jahren mit den Scheinselbstständigen passiert. Wenn wir diese nicht herausfiltern und sozialversicherungspflichtig machen können, könnte diese Gruppe in der Zukunft zu einem größeren Problem werden, weil sie in der Regel nicht für das Alter vorsorgt. Was da auf uns zukommt, lässt sich heute noch nicht sagen. Wer aus dieser Gruppe keine ausreichende Vorsorge nachweisen kann, der sollte in die Rentenversicherung. So, wie es heute schon viele Selbstständige sind.
Was halten Sie von den Vorstößen der Politik bei Mindestrente und Kombirente?
Sie machen das System der Altersvorsorge instabiler und überfrachten es. Warum haben wir die Mindestrente in Deutschland – die wir früher durch die Aufstockung der Entgeltpunkte faktisch hatten - damals abgeschafft? Einfach weil die Armutsbekämpfung nicht vom Beitragszahler getragen werden darf. Das ist Sache des Steuerzahlers. Jetzt sollen arme Rentner besser gestellt werden als andere Arme. Das Geld dafür soll aus dem Bundeszuschuss kommen.
Ist das ungerecht?
Das ist ein fataler Fehler. Nach unserem Sozialstaatsprinzip ist jeder Arme gleich zu behandeln, egal ob jung oder alt, ob Mann oder Frau. Wer zu wenig hat, muss sich vom Sozialamt helfen lassen. Die Rentenversicherungsträger können keine Bedürftigkeitsprüfung leisten. Sie erfahren nicht, ob Vermögen oder betriebliche Renten vorhanden sind. Am Ende bekäme der Vermögensmillionär auch noch die Rente aufgestockt. Das Ganze ist so unausgegoren, wir sollten es lieber lassen.
Rechnen Sie trotzdem mit einer Mindestrenten-Reglung?
Sie wird bestimmt kommen. Aber es ist unsystematisch für die Rentenversicherung. Man sollte den Fehler, den die Regierung gerade erst behoben hat, nicht wiederholen.
Hinzuverdienst für Rentner
Was halten sie von der Kombirente, also den neuen Hinzuverdienstgrenzen für Rentner?
Das ist absurd und bizarr. Hinzuverdienstgrenzen gelten nicht für den regulären Rentner. Laut Medienberichten gibt es aber für jene, die vorgezogen in den Ruhestand gehen, eine Grenze von 400 Euro beim Hinzuverdienst. Das will man beheben, obwohl das längst behoben wurde. Die Regierung hat 1992 neue Hinzuverdienstgrenzen gesetzt und die Grenzen abhängig davon festgelegt, zu welchem Teil man in Rente geht. Wichtig ist nur, dass der Teilzeitrentner mit dem Geld aus seinem Nebenjob insgesamt nicht über 100 Prozent seines Vollzeit-Nettoeinkommens kommt. Wer in die Teilzeitrente geht und noch Erwerbseinkommen hat, sollte nicht mehr Einkommen haben, als bei Vollzeitarbeit. Jetzt sieht der Gesetzentwurf aber vor, die Bruttoeinkünfte als Maßstab zu nehmen.
Wie wirkt sich das aus?
Durch die Höhe der tatsächlichen Rentenbesteuerung und die Steuerprogression würde das dazu führen, dass der Teilzeitrentner letztlich netto mehr verdient, als sein gleichaltriger Kollege mit einem vollen Arbeitsplatz. Wozu soll das gut sein?
Also nur ein Anreiz, sich früher aus dem Erwerbleben zurückzuziehen?
Genau. Ich dachte, wir wollten genau das Gegenteil. Die Älteren sollten länger voll im Erwerbleben stehen.
Was glauben Sie, wie es dem deutschen Rentner in 20 Jahren im Vergleich zu heute gehen wird?
Der Standardrentner heute ist der reichste Rentner, den wir jemals hatten – und zwar gemessen an seiner realen Kaufkraft. Das gilt allerdings auch für den heutigen Erwerbstätigen. Die Rentner der Zukunft werden in 20 bis 30 Jahren nochmals mehr Kaufkraft haben als heute, sie werden noch reicher sein. Aber: Ihr Abstand zur realen Kaufkraft der Erwerbstätigen wird größer sein. Im Kern heißt das, das Rentenniveau der Zukunft ist niedriger. Für jemanden, der nur auf die gesetzliche Rente setzt, werden die realen Lebensumstände wahrscheinlich schlechter sein als bei den Erwerbstätigen. Verglichen mit dem Rentner von heute wird man sich auch ohne private oder betriebliche Vorsorge reich fühlen, verglichen mit dem Erwerbstätigen von 2030 aber eher arm.
Wie groß ist denn heute der Abstand?
Wir haben heute ein Bruttorentenniveau von knapp 50 Prozent. Das waren mal 57 Prozent. Langfristig werden wir bei zirka 40 Prozent ankommen.