Renten-Diskussion Taschenspieler-Tricks und Zahlensalat

In der aktuellen Debatte über die gesetzliche Rente und drohende Altersarmut geht es mächtig durcheinander. Besonders pikant: Selbst eine von Bundesregierung und Rentenversicherung genutzte Zahl ist falsch.

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Flexible Renten in der Arbeitswelt Quelle: Getty Images

Sollte die Rente wirklich das große Thema im nächsten Bundestagswahlkampf 2017 werden, dann haben Propagandisten wohl bald Hochkonjunktur. Nicht, dass eine Debatte über Altersvorsorge und Entwicklung der staatlichen Rentenkasse unwichtig wäre.

Im Gegenteil: Es stimmt ja, von 2020 an kommen viele geburtenstarke Jahrgänge  ins Rentenalter. Ihre Renten werden dann ganz überwiegend die verbleibenden Beitragszahler schultern müssen. Gleichzeitig sollen die selbst fürs Alter vorsorgen und bitte reichlich Geld zurücklegen - dank Niedrigzinsen noch mehr.

Doch gerade deshalb wäre eine ehrliche und transparente Debatte wichtig. Davon ist bislang wenig zu spüren. Vielleicht ist das Thema zu komplex für einen Straßenwahlkampf, der in den vergangenen Jahrzehnten eher simple Botschaften à la „Die Rente ist sicher“ kannte.

Altersvorsorge: So viel Rente darf der Standardrentner erwarten

Jedenfalls schießen schon jetzt Zahlen und Fakten so wild durcheinander, dass einem nur schwindlig werden kann. Der WDR berichtete jüngst, dass fast jedem zweiten Bundesbürger, der ab 2030 in Rente geht, eine Armutsrente drohe. Das sollte eine Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung sein, die unterhalb der Armutsgrenze liegt. In der weiteren Berichterstattung anderer Medien - Zuspitzung ist schließlich Journalistentugend – drohte dann schon jedem zweiten Rentner ab 2030 Altersarmut.

Zahlen halten der Betrachtung nicht stand

So viel Rente bekommen Sie
DurchschnittsrentenLaut den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Männer Ende 2014 eine Durchschnittsrente von 1013 Euro. Frauen müssen inklusive Hinterbliebenenrente mit durchschnittlich 762 Euro pro Monat auskommen. Quellen: Deutsche Rentenversicherung; dbb, Stand: April 2016 Quelle: dpa
Ost-Berlin mit den höchsten, West-Berlin mit den niedrigsten RentenDie Höhe der Rente schwankt zwischen den Bundesländern. Männer in Ostberlin können sich mit 1147 Euro Euro über die höchste Durchschnittsrente freuen. In Westberlin liegt sie dagegen mit 980 Euro am niedrigsten. Aktuell bekommen männliche Rentner: in Baden-Württemberg durchschnittlich 1107 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 1031 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 980 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1147 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 1078 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 1040 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 1071 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 1084 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 1027 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 1127 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 1115 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1069 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 1098 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 1061 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 1064 Euro pro Monat Quelle: AP
Frauen mit deutlich weniger RenteFrauen im Ruhestand bekommen gut ein Drittel weniger als Männer. Auch sie bekommen in Ostberlin mit durchschnittlich 1051 Euro die höchsten Bezüge. Am wenigsten bekommen sie mit 696 Euro in Rheinland-Pfalz. Laut Deutscher Rentenversicherungen beziehen Frauen inklusive Hinterbliebenenrente: in Baden-Württemberg durchschnittlich 772 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 736 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 861 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 975 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 771 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 848 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 760 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 950 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 727 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 749 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 699 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 964 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 983 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 744 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 968 Euro pro Monat Quelle: dpa
Beamtenpensionen deutlich höherStaatsdienern geht es im Alter deutlich besser. Sie erhalten in Deutschland aktuell eine Pension von durchschnittlich 2730 Euro brutto. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist das ein Zuwachs von knapp 27 Prozent. Zwischen den Bundesländern schwankt die Pensionshöhe allerdings. Während 2015 ein hessischer Staatsdiener im Ruhestand im Durchschnitt 3150 Euro ausgezahlt bekam, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1940 Euro. Im Vergleich zu Bundesbeamten geht es den Landesdienern dennoch gut. Im Durchschnitt kommen sie aktuell auf eine Pension von 2970 Euro. Im Bund sind es nur 2340 Euro. Quelle: dpa
RentenerhöhungIm Vergleich zu den Pensionen stiegen die normalen Renten zwischen 2000 und 2014 deutlich geringer an. Sie wuchsen lediglich um 15,3 Prozent. Quelle: dpa
Reserven der RentenkasseDabei verfügt die deutsche Rentenversicherung über ein sattes Finanzpolster. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage Ende 2014 genau 35 Milliarden Euro. Das sind rund drei Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rechnerisch reicht das Finanzpolster aus, um fast zwei Monatsausgaben zu bezahlen. Nachfolgend ein Überblick, mit welcher Rente die Deutschen im aktuell im Durchschnitt rechnen können: Quelle: dpa
Abweichungen vom StandardrentnerWer 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet hat und dabei den Durchschnittslohn verdiente, bekommt pro Monat 1314 Euro ausgezahlt. Bei 40 Arbeitsjahren verringert sich die monatliche Auszahlung auf 1168 Euro. Wer nur 35 Jahre im Job war, bekommt 1022 Euro. Quelle: Fotolia

Das war gleich doppelt falsch: Selbst der WDR hatte nicht behauptet, dass die Rentner von morgen neben ihrer gesetzlichen Rente nicht auch noch weitere Geldquellen haben könnten. Einkommensarmut könne immer nur im Haushaltskontext berechnet werden, stellte die Deutsche Rentenversicherung als Reaktion klar. Schließlich können private und betriebliche Altersvorsorge die gesetzliche Rente im Idealfall steigern. Zwar haben gerade Personen mit niedrigem Einkommen für solche Vorsorge oft nur wenig Geld übrig.

Doch selbst dann reicht der Blick auf die allein aus ihrem Arbeitseinkommen finanzierten Renten nicht aus. So kommen weitere Rentenbestandteile direkt aus der Rentenkasse hinzu, als Anerkennung etwa für Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen.

Doch nicht nur Journalisten nutzen Zahlen und Fakten, die einer genaueren Betrachtung nicht standhalten. Selbst Regierung und Rentenversicherung setzen auf Zahlen, die falsch berechnet sind. Eine Zahl wird derzeit besonders gerne verwendet: das Rentenniveau vor Steuern. Es werde von derzeit 47,7 bis 2029 auf 44,6 Prozent sinken. Das sagen Politiker, das schreiben Medien - auch die WirtschaftsWoche. Es steht ja auch im Rentenversicherungsbericht 2015 der Bundesregierung, auf Seite 40. Die Bundesregierung muss sogar bestimmte Vorschläge unterbreiten, wenn dieses prognostizierte Rentenniveau vor Steuern bis 2020 unter 46 Prozent und bis 2030 auf unter 43 Prozent fallen sollte. Das steht im Sozialgesetzbuch.

Typische Irrtümer von Riester-Sparern

Hinter diesem Rentenniveau vor Steuern steht eine offizielle Kennzahl mit dem noch etwas abschreckenderen Namen: Sicherungsniveau vor Steuern. Schon die bürokratische Bezeichnung signalisiert jedem: Vorsicht, jetzt wird es kompliziert. Dabei ist die Berechnung kein Hexenwerk. Angesetzt wird die Rente eines Rentners, der 45 Jahre Rentenbeiträge gezahlt hat und der genau den Durchschnittslohn verdient hat. Er wird als Standardrentner bezeichnet, obwohl 45 Beitragsjahre heute längst nicht mehr der Standard sind.

Diese Rente wird um die Sozialabgaben der Rentner reduziert. Dann wird die Rente (nach Abzug der Sozialgaben) ins Verhältnis zum jeweiligen Durchschnittsentgelt gesetzt, also dem Arbeitseinkommen der Beitragszahler. Laut Gesetz "gemindert um den durchschnittlich zu entrichtenden Arbeitnehmersozialbeitrag einschließlich des durchschnittlichen Aufwands zur zusätzlichen Altersvorsorge". Auch hier sollen also die von den Arbeitnehmern zu zahlenden Sozialbeiträge abgezogen werden, außerdem die Beiträge zu einer Riester-Rente - Steuern bleiben erneut unberücksichtigt.

Was bleibt als Standardrentner

Aktuell weist die Rentenversicherung diese Zahlen nur für 2014 so detailliert aus (mit Datenstand Mai 2015): Die Rente nach Abzug der Sozialabgaben und vor Steuern liegt demnach beim Standardrentner bei 13.743 Euro. Diese Zahl wird ins Verhältnis gesetzt zum Durchschnittsentgelt der Arbeitnehmer. Von 34.507 Euro Bruttoentgelt der Arbeitnehmer gehen hier 5959 Euro Sozialabgaben ab, so dass unter dem Strich Arbeitnehmern 28.548 Euro Nettoentgelt vor Steuern blieben. Doch, merkwürdig: Damit lägen die Sozialabgaben der Arbeitnehmer nur bei 17,3 Prozent (5959 Euro von 34.507 Euro Bruttoentgelt). Das jedoch ist falsch: Schon 2014 mussten Arbeitnehmer gut 20 Prozent an Sozialabgaben tragen.

Auf den Fehler hatte das Deutsche Institut für Altersvorsorge schon 2013 gemeinsam mit dem Finanzmathematiker Werner Siepe hingewiesen. Die Erklärung ist genauso bizarr wie simpel. "Seit 2005 zieht man zur Berechnung des Netto-Durchschnittsentgelts vor Steuern nicht den tatsächlichen Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung ab, sondern die volkswirtschaftliche Sozialabgabenquote", erklärt Siepe. Sie gibt an, wie viel alle Erwerbstätigen an Beiträgen zur Sozialversicherung aufbringen. Dazu zählen natürlich auch Beamte und Selbstständige. Doch Beamte zahlen überhaupt keine Sozialabgaben, einige Selbstständige auch nicht. Im Ergebnis liege die volkswirtschaftliche Sozialabgabenquote systembedingt immer einige Prozentpunkte unter dem Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung, so Siepe.

Trotz des Hinweises hat sich nichts geändert. Politik und Rentenversicherung rechnen weiter wie bisher. Kaum jemand hinterfragt die Zahlen. Im konkreten Fall kann man der Regierung wenigstens nicht vorwerfen, das Problem schön zu reden. Würde das Sicherungsniveau vor Steuern richtig berechnet, läge es sogar etwas höher als bei der genutzten falschen Berechnung. Für 2014 ergäbe sich ein Wert von rund 50 Prozent statt der ausgewiesenen 48,1 Prozent.

Die 10 schlimmsten Fehler bei der Vorsorge
Schlecht informiertDie Deutschen kaufen Autos, Computer, Küchengeräte und gehen auf Reisen. Vor dem Kauf werden oft zahlreiche Testberichte gelesen. Geht es allerdings um Versicherungen und die eigene Vorsorge, sieht dies anders aus. Dabei sind ausreichende Informationen wichtig, um teure Fehlabschlüsse zu vermeiden. Quelle: Institut GenerationenBeratung IGB Quelle: Fotolia
Lückenhafte VorsorgeOft werden einzelne, wichtige Teile der Altersvorsorge vergessen. Dazu gehören: 1) individuelle Vorsorgevollmacht 2) Patientenverfügung 3) Klärung der Finanzen im Pflegefall 4) Testament Quelle: Fotolia
Die falschen Berater„Freunde, Familie und Bekannte in alle Vorsorgefragen einzubeziehen, ist wichtig und stärkt die Bindung zueinander. Doch sich allein auf ihren Rat zu verlassen, wäre fatal“, sagt Margit Winkler vom Institut GenerationenBeratung. Denn nur ausgebildete Finanzberater könnten auch in Haftung genommen werden. Sie sind verpflichtet, alle besprochenen Versicherungen und Vorsorgeprodukte zu dokumentieren. Quelle: Fotolia
Vorsorge ist nicht gleich VorsorgeJeder sollte seine Altersvorsorge an seine eigenen Bedürfnisse anpassen, pauschale Tipps von Beratern oder Freunden taugen in der Regel wenig. Je nach Familiensituation können andere Versicherung und Vorsorgeleistungen wichtig sein. „Vor allem in Patchwork-Situationen oder bei angeheirateten Ehepartnern gelten andere Spielregeln in der Vorsorge", sagt Winkler. Quelle: Fotolia
Schwarze Schafe Deshalb ist bei der Auswahl des Beraters Vorsicht geboten, in der Branche sind schwarze Schafe unterwegs. Geht ein Berater nicht auf die persönliche Situation ein oder preist ein bestimmtes Produkt besonders an, sollten die Kunden hellhörig werden.
Informiert ins GesprächWer Fehlern im Zuge von Falschberatung entgehen will, der muss sich vorher selber informieren. Je besser der Kunde im Beratungsgespräch selber informiert ist, desto eher kann er schlechte Berater enttarnen. Quelle: Fotolia
Vorsorge-FlickenteppichBeraterin Winkler warnt davor, zu viele Verträge bei vielen verschiedenen Beratern abzuschließen. Am Ende drohten Versicherte, den Überblick zu verlieren, besser sei eine ganzheitliche Lösung, die auf die individuelle Situation abgestimmt ist. Quelle: Fotolia

Eine echte Nettobetrachtung - also auch nach Steuern - wäre grundsätzlich sowieso sinnvoller. Doch die ist kaum möglich. Durch den schrittweisen Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung wäre diese Kennzahl nicht mehr zwischen verschiedenen Jahrgängen sinnvoll vergleichbar.

Worauf Beitragszahler sich einstellen sollten

Finanzmathematiker Siepe plädiert daher dafür, nur das Bruttorentenniveau vor Steuern als Kennzahl heranzuziehen. Hier bleiben Steuern und Sozialabgaben bei Renten und Arbeitsentgelten unberücksichtigt. Und anders als das Sicherungsniveau vor Steuern könne es nicht so leicht verzerrt werden.

Die Top 5 Rentenversicherer mit den höchsten Auszahlungen

Laut Alterssicherungsbericht 2012 der Bundesregierung soll dieses Bruttorentenniveau bis 2030 auf 40,6 Prozent sinken. Für 2015 war ein Wert von 44,6 Prozent erwartet worden. Tatsächlich lag er bei 45,1 Prozent. Siepe geht davon aus, dass im nächsten Alterssicherungsbericht 2016 die Prognose für 2030 auf 41 Prozent leicht erhöht wird. Damit würde es pro Jahr um knapp 0,3 Prozentpunkte sinken – allerdings nicht kontinuierlich, sondern besonders stark erst von 2020 an. Darauf sollten sich die Beitragszahler von heute also einstellen.

Verlässliche Zahlen sind wichtig. Vor allem in einer so zukunftsweisenden Debatte.

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