Wer Kritik in ihrer diplomatischsten Form erleben will, ist bei der Deutschen Rentenversicherung meist an der besten Adresse. Die Vertreter der Rentenkasse waren mit so einigem, was die Bundesregierung in den vergangenen Jahren entschieden hat, alles andere als glücklich – Stichworte: Mütterrente und Rente ab 63. Der Widerstand aber blieb stets so höflich und respektvoll, dass man ihn beinahe übersah. Trotzdem ist das, was Axel Reimann, der Präsident der Rentenversicherung, sagt, Aufmerksamkeit wert. Weil kaum jemand die Finanzlage besser kennt und die Folgen von Gesetzen detailreicher prognostizieren kann als er.
Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben
CSU-Chef Horst Seehofer hatte die jüngste Rentendebatte angestoßen mit der Äußerung, dass die Riester-Rente gescheitert sei und die Kürzung des Rentenniveaus die Hälfte der Bevölkerung in die Sozialhilfe führen würde. Doch ist das nicht Unionslinie. Der Unionsmittelstand fordert sogar eine Stärkung der Riester-Rente. Nach allem, was man hört, könnte die Union im Wahlkampf für ein behutsames Nachsteuern beim Rentenniveau eintreten. Das Verhältnis von Einkommen zur Rente soll wohl doch nicht auf 43 Prozent sinken können, so wie derzeit bis 2030 erlaubt. Die Union will wohl auch die Eigenvorsorge stärken. Diskutiert wird, den Bürgern ein Einheitsprodukt anzubieten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel will verhindern, dass die Renten sich zu stark vom Einkommen abkoppeln. Menschen mit kleinem Lohn dürften im Alter nicht reihenweise auf Sozialhilfe angewiesen sein. Im Wert der Rente spiegelt sich für Gabriel auch der Wert der Arbeit. Doch die Reformagenda 2010, die auch die Rente bezahlbar halten sollte, dürfte die SPD nicht komplett zurückdrehen. Die öffentlich geförderte private Zusatzvorsorge abschaffen will die SPD auch nicht. Man will sich aber mehr um das Wohl älterer Arbeitnehmer kümmern.
Um Renten armutsfest zu gestalten, soll nach dem Willen der Partei das Rentenniveau von heute 48 Prozent wieder auf das Niveau vor den Rentenreformen der vergangenen Jahre steigen - auf 53 Prozent. Niemand dürfe nach 40 Beitragsjahren mit einer Rente über Grundsicherung abgespeist werden.
Auch die Grünen wollen, dass die Rente vor Altersarmut schützt. Sie sprechen von einem Rentenniveau von nicht unter 46 Prozent. Geringe Rentenanwartschaften sollen mit einer steuerfinanzierten Garantierente aufgewertet werden. Die rund 2,3 Millionen Selbstständigen ohne obligatorische Alterssicherung sollen verpflichtend in der Rentenversicherung aufgenommen werden.
Die Liberalen wollen flexiblere Renteneintritte möglich machen und Hinzuverdienstgrenzen neben dem Rentenbezug aufheben. Sie treten dafür ein, bei der Grundsicherung im Alter einen Freibetrag für Einkommen aus privater und betrieblicher Altersvorsorge nicht anzurechnen. FDP-Chef Christian Lindner schlug die Zusammenlegung der Grundsicherung im Alter mit der Rente vor.
AfD-Parteichef Jörg Meuthen hatte eine Rente nach Schweizer Modell vorgeschlagen - dort gibt es drei Säulen: die gesetzliche Rentenversicherung, eine kapitalgedeckte Arbeitnehmerversicherung und geförderte Anlagen in private Rentenversicherungen.
Für die große Koalition sind Reimanns jüngste Einlassungen nicht gerade schmeichelhaft: So sei bei der von Schwarz-Rot geplanten Lebensleistungsrente „ungewiss“, wie sie denn „konkret aussehen soll“, sagt er. Schon das ist ein für Präsidentenverhältnisse recht unverhohlener Hinweis auf die Dürftigkeit des Konzepts. Dann folgt noch dieser Satz: „Die Erwartung, dass man damit Altersarmut entscheidend verringern könnte, dürfte trügen.“
Wirtschaft fürchtet um die Rente
Als nichts anderes wird die Lebensleistungsrente, mit der manche Kleinstrenten über Grundsicherungsniveau aufgestockt werden, von interessierter Seite verkauft: als Plan gegen die wachsende Zahl armer Rentner. Die Kritik der Rentenversicherung ist deshalb ein sehr deutlicher Rat, das Projekt ein für alle Mal fallen zu lassen. Zumal die Rentenversicherung damit auch Befürchtungen aus der Wirtschaft teilt, die ebenfalls gar nichts von dieser Idee hält.
Rentenprognosen für 2040
Die vorliegenden Berechnungen stammen aus der Studie "Rentenperspektiven 2040" von Prognos. Die Prognosen beziehen sich jeweils auf zwei Kreise im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Berechnet wurden jeweils die durchschnittliche Bruttorente für sechs typisierte Erwerbsbiografien. Erwerbslücken aufgrund von Kindererziehungszeiten weisen in diesem Beispiel zwei Erwerbsbiografien auf. Gerechnet wurden die Prognosewerte ohne Inflationsanpassung, das heißt nach dem Preisniveau in Euro aus dem Jahr 2015 um die Zahlen mit heutigen Werten vergleichbar zu machen. Nominal dürften die zukünftigen Renten und Einkommenshöhen 2040 entsprechend höher liegen. Der Kaufkraftvergleich steht im Zentrum der Betrachtung.
Stand: 12.11.2015
Bruttorente (€) | Bruttorentenniveau |
1678 | 38,90 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hamburg | 2726 | 2383 | 33,5 % |
Schwerin | 2291 | 2343 | 33,6 % |
Bund | 2597 | 34,0 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Halle | 2045 | 2158 | 35,8 % |
Saalekreis | 2191 | 2463 | 34,4 % |
Bund | 2324 | 36,9 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Berlin | 1451 | 1369 | 35,3 % |
München | 1452 | 1113 | 34,4 % |
Bund | 1456 | 35,4 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hildesheim LK | 1083 | 1174 | 52,0 % |
Konstanz LK | 1086 | 1026 | 50,9 % |
Bund | 1095 | 50,8 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hohenlohekreis | 2579 | 2658 | 34,1 % |
Merzig-Wadern | 2391 | 2439 | 35,5 % |
Bund | 2366 | 33,6 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Bonn | 1611 | 1506 | 42,1 % |
Köln | 1620 | 1473 | 41,8 % |
Bund | 1612 | 39,7 % |
Man könnte diese Streitigkeiten als Lappalien abtun, als Vorsorge-Kleinklein, verrieten sie nicht viel über die grundsätzlichen Defizite der gegenwärtigen Rentendebatte. Gerade erst hat CSU-Chef Horst Seehofer die Riesterrente für „gescheitert“ erklärt und wie SPD-Chef Sigmar Gabriel ein höheres Rentenniveau angemahnt. Alle Parteien, SPD und Union vorweg, basteln bereits an großen Konzepten für die Bundestagswahl 2017. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will sogar noch in diesem Herbst noch ein Bündel an Maßnahmen vorstellen.
Was die Politik wirklich angehen müsste
Das Problem ist nur: es ist kaum Gutes zu erwarten. Die Ideen kreisen vor allem um Leistungsausweitungen; an nachhaltige Strukturreformen denkt niemand. Und das, obwohl die Finanzreserven der Rentenversicherung von derzeit noch über 30 Milliarden Euro bis Ende des Jahrzehnts ohnehin verfrühstückt sein werden. Der alternden Gesellschaft und der spendierfreudigen Regierung sei Dank.
Auch wenn Axel Reimann das nie so deutlich sagen würde: Besonders die Fixierung der Debatte auf ein höheres Rentenniveau sieht er mit Sorge – weil es kaum finanzierbar ist. „Ein um ein Prozentpunkt höheres Rentenniveau bedingt eine Erhöhung des Beitragssatzes um einen halben Prozentpunkt“, sagt er.
Konkret: Wer das Niveau der gesetzlichen Rente in Zukunft auf 50 Prozent heben will, müsste allen Angestellten einen Beitragssatz von mehr als 22 Prozent des Lohns zumuten. Das hieße deutlich weniger netto von brutto – und sehr wahrscheinlich auch Arbeitsplatzverluste.
Rente mit 67 muss erstmal Regelfall werden
Zumal alle Sozialversicherungsbeiträge zusammen 2017 ohnehin wohl wieder über die 40-Prozent-Marke steigen werden. Die Belastung ist heute schon – trotz der historisch hohen Rekordbeschäftigung, wohlgemerkt – recht hoch.
Man müsse, sagt Reimann, viel stärker darauf achten, wie es Menschen überhaupt gelingt, länger zu arbeiten. Anders gesagt: Bevor über die Rente mit 69 oder 70 auch nur nachgedacht wird, muss die Rente mit 67 erst einmal zur Regel werden. Zwar habe man in den vergangenen Jahren „durchaus beachtliche Erfolge zu verzeichnen“, meint der Präsident der Rentenversicherung. Aber noch immer liegt das Durchschnittsalter für Neu-Ruheständler bei knapp 64 Jahren – und eben nicht bei 67.
Der Demografie-Experte Axel Börsch-Supan vom Münchner Max-Planck-Institut unterstützt diese Linie: „Nötig sind eine bessere Gesundheitsvorsorge, Präventionsoffensiven und Umschulungsangebote gerade für die über 50-Jährigen“, sagt er.
Das große Problem ist nur: Im Gegensatz zu Riester-Zoff oder Rentenniveau-Debatten wäre das verdienstvolle, mühsame Grundlagenpolitik. Wahlkämpfe gewinnt man damit leider keine.