Schuldneratlas Jeder zehnte Deutsche ist überschuldet

Die Zahlen sind alarmierend: Trotz vergleichsweise geringer Arbeitslosigkeit und gut laufender Konjunktur sind immer mehr deutsche Verbraucher hoch verschuldet. Ein übermäßiger Konsum ist allerdings nicht die Ursache.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Mehr als jeder zehnte Erwachsene (10,06 Prozent) in Deutschland ist überschuldet. Quelle: dpa

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist so niedrig wie seit mehr als 25 Jahren nicht, die Konjunktur ist weitgehend stabil und die Menschen sparen lieber, als in einen Kaufrausch zu verfallen – trotzdem ist jeder zehnte deutsche Verbraucher überschuldet. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Schuldneratlas, den die Wirtschaftsauskunftei Creditreform am Donnerstag vorgestellt hat. Noch im Vorjahr habe die Überschuldungsquote bei 9,92 Prozent gelegen, der Sprung auf 10,06 Prozent falle stärker aus als erwartet, schreiben die Studienautoren.

Mit stolzen 235 Milliarden Euro stehen die Deutschen insgesamt in der Kreide. Eine Überschuldung liegt nach Definition von Creditreform dann vor, wenn die zu leistenden Gesamtausgaben über einen längeren Zeitraum höher sind als die Einnahmen und weder Vermögen noch Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Der Schuldneratlas wird seit 2006 erstellt. In den Jahren 2006 und 2007 hatten die Überschuldungszahlen einen Höhepunkt erreicht und waren anschließend bis zum Jahr 2011 stetig gesunken. Seitdem nimmt die Zahl der Überschuldungsfälle wieder zu.

Besonders alarmierend: In diesem Jahr basiere der Anstieg ausschließlich auf einer Zunahme von Fällen mit hoher Überschuldungsintensität. Das heißt, dass bei den Betroffenen viele sogenannte Negativmerkmale vorlagen – insbesondere „juristische Sachverhalte“ wie etwa Haftanordnungen, eidesstattliche Versicherungen oder Privatinsolvenzen. „Dieser Befund ist besorgniserregend, da offensichtlich immer mehr Verbraucher in Deutschland in eine dauerhafte Überschuldungsspirale geraten sind“, kommentieren die Experten die Ergebnisse ihrer Studie. Davon werden die Fälle mit geringer Überschuldungsintensität unterschieden, bei denen wenige Negativmerkmale vorliegen, aber mindestens zwei vergebliche Mahnungen mehrerer Gläubiger.

Als Hauptgründe für Überschuldung galten in der Vergangenheit vorwiegend ökonomische Auslöser wie Arbeitslosigkeit (Anteil 2015: 20 Prozent) und gescheiterte Selbstständigkeit (acht Prozent). Ihre Anteile gehen in den vergangenen Jahren angesichts der positiven Wirtschaftslage allerdings deutlich zurück. Zwar hat die Stimmungslage von Unternehmen und Verbrauchern durch zahlreiche globalpolitische Krisenherde gelitten, doch die tatsächliche Konjunkturlage ist stabil. Auch ein Zusammenhang mit der Zunahme der Flüchtlinge im Land lasse sich nach Ansicht der Studienautoren nicht feststellen.

An Bedeutung gewonnen haben laut der Analyse zuletzt aber Überschuldungsauslöser wie Erkrankung, Sucht und Unfall (Anteil 2015: 14 Prozent), aber auch gescheiterte Immobilienfinanzierungen (Anteil 2015: drei Prozent). Diese Auslöser stünden auch stärker in Zusammenhang mit einer Zunahme der Fälle mit hoher Überschuldungsintensität. Eine unwirtschaftliche Haushaltsführung dagegen sei inzwischen deutlich seltener Auslöser für eine Überschuldung, allerdings sei dies häufig die Ursache für Zahlungsschwierigkeiten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind „in der Regel unplanbare und gravierende Änderungen der Lebensumstände“ Hauptauslöser für Überschuldung, meist lägen diese außerhalb der Kontrolle der Betroffenen.

Gefahr von Altersarmut

Aufgeschlüsselt nach Altersgruppen haben Personen zwischen 30 und 39 Jahren mit 19 Prozent die höchste Überschuldungsquote. Dahinter folgen die Unter-Dreißigjährigen mit 14,5 Prozent. Die geringste Überschuldung gibt es bei den über 70-Jährigen, nur 1,3 Prozent von ihnen sind überschuldet. Allerdings gab es in dieser Gruppe prozentual gesehen den größten Anstieg, aktuell sind 16 Prozent mehr in den Miesen als im vergangenen Jahr. Die Autoren des Schuldenatlas warnen deshalb, dass sich der Trend zur Altersüberschuldung weiter fortsetzt. Da das Leistungsniveau der Rentenversicherung nicht mehr ausreiche, würden auch immer mehr Senioren arbeiten gehen. Dennoch stieg auch die Zahl der Privatinsolvenzen von älteren Verbrauchern.

Bei der Verteilung zwischen den Geschlechtern sind weiterhin Männer stärker betroffen – exakt 12,7 Prozent der männlichen und sechs Prozent der weiblichen Verbraucher sind überschuldet. Allerdings holen die Frauen auf. Dies steht in Zusammenhang mit dem Aufbrechen der klassischen Rollenverteilung. Inzwischen übernehmen Frauen gleichberechtigt die Verantwortung für das Erzielen von Einkommen, aber auch für Schulden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind zudem alleinerziehende Frauen und alleinlebende Männer überproportional häufig von Überschuldung betroffen.

Der Überschuldungstrend steht insgesamt im Gegensatz zum stetig steigenden Vermögen der Deutschen. So ist nach Angaben der Deutschen Bundesbank das Geldvermögen der privaten Haushalte auf 5,3 Billionen Euro gestiegen. Die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert sich also weiter. Auch eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland viele Besserverdiener ihr Geld sparen und mit steigendem Einkommen und Vermögen auch die Sparquoten steigen. Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung würden sich dagegen eher verschulden.

Auch für die kommenden Monate ist nach Ansicht der Studienautoren nicht davon auszugehen, dass die Überschuldungszahlen in Deutschland sinken werden. Sie weisen zudem auf eine Warnung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von Ende Juni 2016 hin. Dort war von einer „riskanten Dreierkonstellation aus ungewöhnlich niedrigem Produktivitätswachstum, beispiellos hohen globalen Schuldenständen und einem äußerst engen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum“ die Rede. Dieses „Trilemma“ werde, so die Befürchtung, auch vor dem Hintergrund des Brexit, die Weltwirtschaft und damit auch die Verbraucher in eine neue ökonomische Abwärtsspirale führen. Die Bank forderte deshalb auch von den Staaten eine Abkehr vom „schuldenfinanzierten Wachstumsmodell“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%