Spekulanten Das Geschäft mit dem Börsenabsturz

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So schnitten Leerverkäufer ab

Wenn eine Branche angeschossen ist, haben Shortseller – seriöse und zwielichtige – leichtes Spiel. Aktuell läuft das bei Solaraktien. In der ersten Juni-Hälfte wetteten US-Leerverkäufer massiv auf sinkende Kurse der Branche, nachdem Chanos auf einer Konferenz eine solche Wette angekündigt hatte. Attackiert wurden chinesische Unternehmen, die an der Wall Street gelistet sind. Auch deutsche Solarunternehmen werden geshortet, so etwa Solar Millennium oder Q-Cells. „Bei Q-Cells sind bis zur Hälfte des Streubesitzes an Shortseller verliehen“, sagt Thiemo Lang vom Vermögensverwalter SAM Group.

Abzulesen ist das an den Gebühren, die Leerverkäufer zahlen, wenn sie sich Aktien ausleihen, um ihre Angriffe zu starten. Die starke Nachfrage nach geliehenen Stücken hat diese in die Höhe getrieben. Für Solarworld-Aktien etwa verlangen spezialisierte Broker 20 Prozent pro Jahr, bei Q-Cells knapp zehn Prozent. Kleine Aktien kosten normalerweise bis zu zwei Prozent Leihgebühr. Dax-Werte können Profis schon ab 0,2 Prozent pro Jahr leihen.

Was bringen Verbote?

„Börsen sind wie kontinuierliche Wahlen, bei denen Käufer für und Verkäufer gegen ein Investment in eine Aktie stimmen“, schreibt Finanzprofessor Laurence Copeland in einer Studie für das liberale Washingtoner Cato Institute: „Wenn man Shortselling verbietet, ist dies so, als ob man allen, die mit Nein stimmen, das Wahlrecht entzieht.“ Folge wäre eine falsche Verteilung von Kapital, Aktienkurse würden zu stark steigen. Wenn überzogene Kurse dann irgendwann korrigieren, crashen die Märkte umso heftiger.

Der Ex-Chef der US-Börsenaufsicht SEC, Chris Cox, nennt das von ihm auf Drängen des US-Finanzministeriums 2008 verhängte Verbot von Leerverkäufen den größten Fehler seiner Amtszeit. Kursstürze können tatsächlich sogar noch tiefer ausfallen, wenn Leerverkäufe verboten sind. Denn: Wer Aktien leer verkauft, muss sie irgendwann wieder kaufen und zurückgeben. So schaffen Shortseller Nachfrage im Crash.

Ian Marsh, Finanzwissenschaftler an der britischen Cass Business School, stellte fest, dass bei einem Verbot von Leerverkäufen Anleger schlechtere Kurse bekamen und das Handelsvolumen insgesamt zurückging. Am Verhältnis von Kauf- zu Verkaufsaufträgen habe sich jedoch nichts geändert. Laut Zahlen der Agentur Bloomberg fielen britische Finanztitel in den vier Monaten nach der Lehman-Pleite 2008, nachdem die Aufsicht ein Leerverkaufsverbot verhängt hatte, um 41 Prozent. Der britische Index FTSE 100, dessen Aktien in der Mehrzahl keinem Leerverkaufsverbot unterlagen, verlor dagegen nur 15 Prozent.

„Regierungen beruhigen die Börsen nicht, indem sie Leerverkäufer kaltstellen“, sagt Stephan Schulmeister vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. „Das ist Regulierungskosmetik. Mit den Shortsellern haben sie sich den unwichtigsten Gegner ausgesucht.“ Im Crash drücken vor allem Vermögensverwalter und Fondsmanager die Kurse. Sie wollen sich vor Verlusten schützen und nutzen dazu Derivate. Diese Termingeschäfte, die auch für Privatanleger verfügbar sind (siehe Tabelle Seite 95), sind unkompliziert, schnell und günstig. Sie ziehen aber, weil sie Signalwirkung haben und mit Aktiengeschäften verknüpft sind, die Börsen runter. Wenn Staaten Fonds aber verbieten wollten, sich mit Derivaten abzusichern, könnten sie die Börsen gleich dichtmachen.

Nach Angaben der weltgrößten Fondsgesellschaft BlackRock sind weltweit Wertpapiere im Wert von rund 1,9 Billionen Dollar verliehen. Insgesamt gebe es einen globalen Pool im Wert von mehr als 13 Billionen Dollar, der für Leihgeschäfte zur Verfügung stehe. Gewaltige Summen, doch zum einen werden Papiere nicht nur an Leerverkäufer verliehen – der Großteil dient als Sicherheit für andere Geschäfte. Zum anderen standen am weltweiten Derivatemarkt Ende 2010 laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Kontrakte im Volumen von mehr als 600 Billionen Dollar aus. „Ein Verbot der Leerverkäufe für Einzelaktien ist so, als würde man die Tempo-30-Zonen sperren, um Staus zu verhindern, aber Autobahnen offen lassen“, sagt Philipp Stein von der Quants Vermögensmanagement aus Nürnberg.

Die an der Derivatebörse Eurex gehandelten Futureskontrakte für Aktien und Anleihen gelten als die liquidesten Finanzinstrumente der Welt. „Sie lassen sich schwerlich durch individuelle Händler oder Gerüchte beeinflussen. Zwischen den Futures-Kontrakten und den korrespondieren liquiden Kassamärkten gibt es einen sehr engen Zusammenhang: Fallende Terminpreise gehen mit fallenden Kassakursen einher und umgekehrt.“, sagt der Königsteiner Vermögensverwalter Thomas Grohmann. Abweichungen etwa zwischen dem DAX-Futures und dem Kassamarkt der Dax 30 Einzelwerte würden Arbitrageure anziehen. Sie kaufen dann beispielsweise den billigeren Aktienindex-Futures bei gleichzeitigem Leerverkauf des teureren Aktienportfolios oder sie shorten den Futures und kaufen die Aktien. Das lohnt sich für sie, wenn die Preisdifferenz zwischen dem Aktienindex und dem Futurespreis groß genug ist, um die Kosten des Geschäfts zu decken. „Dadurch gibt es stets eine enge Bindung zwischen den Märkten“, sagt Grohmann. In der vergangenen Woche sei einfach eine Konjunkturpanik ausgebrochen und alle wollten zum gleichen Zeitpunkt aus dem Aktienmarkt heraus, dadurch fielen die Kurse. Der Kursverfall kann keinem Investorentyp in die Schuhe geschoben werden.

„Aufgrund der globalen Verflechtung ist es für einen international tätigen Investor zudem möglich, an anderen Märkten seine vorgesehene Transaktion mit der gleichen oder einer ähnlichen Wirkung durchzuführen“, sagt Grohmann.

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