Streit mit der Versicherung Versicherer drücken sich um Zahlungen

Die Beschwerden gegen die Versicherer häufen sich. In welchen Fällen die Assekuranzen Leistungen zu Unrecht verweigern, wie Kunden in Streitfällen vorgehen sollten.

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Die Streitfälle mit Versicherungen häufen sich, weil diese die Leistung verweigern Quelle: bilderbox - Fotolia.com

Was die Versicherungsvermittlerin erzählte, klang für Marion Bennecke* überzeugend: Eine neue Lebensversicherung, die über Fonds ihr Geld mehren soll, werde bei gleichem Beitrag deutlich mehr Gewinn abwerfen als ihre noch laufende Kapitallebensversicherung. Deshalb, so die Vermittlerin einer großen deutschen Versicherung, solle die 48-Jährige doch den alten Vertrag ruhen lassen und in die Fondspolice wechseln. Dadurch würde zwar die Leistung aus dem Altvertrag sinken, aber das könne eine zusätzliche Risikolebensversicherung abfedern.

Bennecke schloss beide Verträge ab – und fiel aus allen Wolken, als sie zwei Monate später Post von der Versicherung bekam: Obwohl sie beim selben Versicherer abschloss, kassierte der hohe Abschlussgebühren. Daraufhin wollte sie den Wechsel rückgängig machen. Doch die Versicherung stellte sich quer.

Rekordzahl an Beschwerden

„Versicherer spielen ihre Macht immer wieder gnadenlos aus“, sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten (BdV), „dahinter steckt die Berechnung, dass sich Kunden aus Unkenntnis oder mangels Mut nicht wehren.“ Versicherer ignorierten sogar Gesetzesentscheidungen und hielten sich bei der Regulierung von Schäden nicht an ihre eigenen Verträge. Versicherte haben jedoch gute Chancen, ihr Recht zu bekommen. Wer Einspruchsfristen beachtet und sich über mehrere Instanzen an die richtigen Ansprechpartner wendet, kann seine Versicherung zur Räson bringen.

Immer mehr Kunden gehen gegen ihre Assekuranz vor. 2008 wurden insgesamt 18 837 Beschwerden beim Schlichter der Branche, dem Versicherungsombudsmann, eingereicht – 7,1 Prozent mehr als im Vorjahr. 2009 beschwerten sich bereits 9300 Kunden.

Das Aufbegehren lohnt sich: Nach Einschätzung des Ombudsmanns Günter Hirsch wurde in den ihm und seinen 35 Mitarbeitern in der Schlichtungsstelle in Berlin vorgelegten Streitfällen zu Lebensversicherungen in jedem sechsten Fall eine Leistung zu Unrecht verweigert, bei den übrigen Versicherungen sogar in jedem dritten Fall.

Ärger mit Lebensversicherungen

Ärger machen derzeit besonders die von der Börsenentwicklung abhängigen fondsgebundenen Lebensversicherungen. Nach dem Crash sind deren Polster fürs Alter deutlich geschrumpft. Wenn die Versicherten im Vorfeld eines Vertragsabschlusses über das Anlagerisiko informiert wurden, nützt alles Klagen nichts. „Die meisten Leute haben teilweise die unrealistische Vorstellung, dass ein Fonds immer nur Gewinn macht“, sagt Knut Höra, Vorsitzender des Gesetzgebungs- und Fachausschusses Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltsverein.

Anders sieht es aus, wenn Kunden ausdrücklich eine sichere Altersvorsorge wünschten und ihnen dann eine Fondspolice empfohlen wurde. Allerdings: „Eine Falschberatung muss immer bewiesen werden“, betont Höra. Dies ist seit gut zwei Jahren leichter als zuvor. Für Verträge, die seit dem 22. Mai 2007 abgeschlossen wurden, gilt für Vermittler eine Beratungs- und Dokumentationspflicht. Chancen, einen Vertrag anzufechten, gibt es etwa, „wenn im Vertrag das Anlagerisiko erwähnt wird, es aber im Beratungsprotokoll fehlt“, so Höra. „Dann muss die Versicherung nachweisen, dass sie über diesen Punkt beraten hat.“

* Name von der Redaktion geändert

Enttäuschung zu Rentenbeginn

Streit um die Altersvorsorge

Streit gibt es häufig, wenn bei Ablauf einer Kapitallebensversicherung viel weniger ausgezahlt wird als erwartet. Versicherungsvertreter werben Kunden gern mit dem Hinweis auf hohe Überschüsse in der Vergangenheit. Doch die sagen wenig darüber aus, ob der Versicherte auch in Zukunft mehr als die gesetzlich garantierte Auszahlungssumme erwarten kann. Meist steht das auch im Kleingedruckten. „Wenn aber nachweislich utopische hohe Zinsen versprochen wurden und diese nicht eingehalten werden, lässt sich der Vertrag anfechten“, sagt Höra.

Aufwendige Klagen gegen angeblich falsche Berechnungen der Überschüsse sind laut Höra selten erfolgreich. „Meiner Erfahrung nach wurde bei der Nachberechnung durch einen Sachverständigen noch nie eine gravierende Abweichung festgestellt.“ Verbraucherschützer Rudnik ergänzt: „Einen Fauxpas könnten sich die Lebensversicherer hier nicht leisten. Bei einer Ungenauigkeit könnte der Fehler in ihren mathematischen Modellen liegen und eine Nachberechnung aller Leistungen für alle Verträge erfordern.“

Auf mehr Geld klagen

Mehr Erfolg versprechen Klagen gegen zu wenig Geld bei vorzeitiger Kündigung: Wer seine Lebensversicherung vor Ende der Laufzeit kündigt, erhält meist deutlich weniger als die eingezahlten Beiträge zurück. Das liegt daran, dass in der ersten Sparphase ein Großteil der Beiträge in Verwaltungs- und Abschlusskosten fließt. Dass aber in den ersten Jahren die gesamten Prämien für die Gebühren draufgehen und der Kunde bei Kündigung keinen Cent erhält, hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2005 für unzulässig erklärt. Seitdem gibt es einen Mindestrückkaufswert (IV ZR 162/03, IV ZR 177/03, IV ZR 245/03). Für klassische Policen liegt dieser bei rund 50 Prozent des Sparanteils, also der Prämie minus Verwaltungskosten. Wer eine Fondspolice kündigt, erhält etwa die Hälfte des Fondsguthabens ohne Abzug der Abschlusskosten (IV ZR 321/05).

Versicherungen verweisen darauf, dass für Verträge, die vor der Jahrtausendwende zurückgekauft wurden, die Ansprüche bereits verjährt seien. Der Bund der Versicherten sieht das anders. Da Kunden erst seit dem Urteil des BGH von dem Mindestrückkaufswert wissen könnten, beginne die Verjährungsfrist 2005 noch einmal neu. Noch gibt es dazu kein Grundsatzurteil. Ein Kunde, der seine Police bei der Bayerischen Beamten Lebensversicherung (BBV) schon 1997 gekündigt hatte, klagte auf Anerkennung der Frist bis vor dem BGH. Kurz vor der Anhörung im Juni jedoch machte die BBV ein Angebot und stockte den Auszahlungspreis nachträglich auf den Mindestrückkaufswert auf. Zwei ähnliche Klagen gegen andere Versicherer laufen noch. Rudnik rät: „Wer seine Versicherung schon vor Jahren gekündigt hat, sollte ruhig noch einmal nachrechnen.“

Ohne Rechtsschutz

Neben der Lebens- birgt vor allem die Rechtsschutzversicherung Konfliktpotenzial. Viele Kunden unterschreiben eine Police erst, wenn bereits eine gerichtliche Auseinandersetzung droht – zum Beispiel, wenn sie vom Arbeitgeber eine Abmahnung bekommen oder feststellen, dass in ihrem Mietvertrag die rechtswidrige Klausel steht, dass bestimmte Räume alle drei Jahre renoviert werden müssen.

Doch dann ist es meist zu spät. Tritt der erste Rechtsverstoß vor Vertragsabschluss auf, zahlt die Versicherung nicht. Einige Versicherer pochen zudem bei Arbeitsrechts- oder Steuerrechtsstreitigkeiten auf eine zusätzliche Wartezeit von drei Monaten nach Vertragsabschluss. Stehen diese Fristen im Vertrag, helfen Beschwerden nicht.

Anders sieht es aus, wenn die Versicherung im Rechtsschutzfall nicht die gesamten Kosten übernehmen will. Wenn sich Versicherter und Prozessgegner vergleichen – die Prozesskosten werden dann üblicherweise geteilt – sperrten sich teilweise Versicherer, die Kosten zu übernehmen, berichtet Rembert Brieske, Anwalt aus Bremen mit Spezialisierung auf Rechtsschutz. In der Regel kommen sie damit aber nicht durch.

Ärger machen auch angeblich zu hohe Anwaltsgebühren. Für Anwälte gilt außergerichtlich ein Gebührenrahmen, den sie je nach Aufwand ausschöpfen können. Liegt die Rechnung am Ende über den Erwartungen der Rechtsschutzversicherung, versucht diese gern, die Kosten auf den Kunden abzuwälzen. Hier hilft nur eine detaillierte Auflistung der Tätigkeiten. Brieske: „Weisen die Anwälte nach, dass sie den Rahmen eingehalten haben, muss die Versicherung auch zahlen.“

Immer mehr Streitfälle

Einige Rechtsschutzversicherungen verweigern den vereinbarten Schutz bei Klagen im Zusammenhang mit Berufsunfähigkeit und Arzthaftung, da diese Fälle oft mit sehr hohen Kosten verbunden sind. Ablehnen dürfen Versicherungen aber nur solche Fälle, für die der Rechtsschutz explizit im Vertrag ausgeschlossen worden ist. Eine Prüfung lohnt: „Manchmal lesen die Versicherungsangestellten nicht, was in ihren eigenen Verträgen steht“, sagt Anwalt Brieske.

Auch Geschädigte der Lehman-Pleite haben Ärger mit ihrem Rechtsschutz. Bisher gingen beim Ombudsmann rund 30 Beschwerden von Lehman-Kunden ein, deren Versicherer Prozesskosten nicht tragen wollen. Lehman-Zertifikate seien spekulative Anlagen mit hohen Risiken, für die eine Kostenübernahme ausge-schlossen sei. Anwalt Brieske bezweifelt, dass die Versicherer damit durchkommen – die Lehman-Papiere wurden meist als sichere Anlagen an vorsichtige Sparer verkauft. Klagen gegen die Rechtsschutzversicherung werden übrigens von dieser nie finanziert. Brieske: „Die sind in allen Verträgen ausgeschlossen.“ Auch die Kosten für eine anwaltliche Beratung zu den Erfolgschancen einer Klage sind nicht versichert. Viele Kunden wenden sich daher erst an ihre Rechtsschutzversicherung oder vertrauen auf deren Experten-Hotline. „Diese Berater können schon mal von einer Klage abraten – sei es aus Unkenntnis oder weil der Rechtsschutzversicherung so Kosten erspart werden“, warnt Verbraucherschützer Rudnik.

Ärger um Berufsunfähigkeit

Berufsunfähigkeitsversicherer versuchen ebenfalls häufig, sich um ihre Leistungen zu drücken. Soll die Assekuranz zahlen, schaut sie sich zuerst die Gesundheitsangaben an, die der Kunde bei Vertragsabschluss gemacht hat: „Nach unserem Eindruck sind die Versicherer bei der Prüfung heute sehr viel penibler als noch vor ein paar Jahren“, so Rudnik. Entdecken sie unvollständige Angaben, verweigern sie umgehend die Leistung. „Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gehört auch heute noch zum Standardprogramm im Rahmen der Leistungsprüfung“, bestätigt Fachanwalt für Versicherungsrecht Jörg Büchner, der sich auf Klagen gegen Berufsunfähigkeitsversicherungen spezialisiert hat.

Unvollständige Gesundheitsangaben allein genügen noch nicht, damit die Versicherung den Vertrag anfechten kann. Sie muss eine Täuschungsabsicht nachweisen. Die liegt beispielsweise dann vor, wenn der Versicherte wusste, dass er bei einer wahrheitsgemäßen Angabe von Erkrankungen keinen Berufsunfähigkeitsschutz erhalten hätte. Auf der sicheren Seite sind Kunden erst zehn Jahre nach Vertragsabschluss. Seit 2002 dürfen Versicherer nur noch innerhalb dieser Frist vom Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung Gebrauch machen. „Für alle Altverträge, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden, läuft die Frist zum 1.1.2012 ab“, erklärt Büchner.

Außerdem muss das Fehlen bestimmter Angaben auch relevant für den Leistungsfall sein. So wandte sich ein Mann an den Ombudsmann, der nach einem Verkehrsunfall keine Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erhielt, weil diese ihm arglistige Täuschung vorwarf. Er hatte die Vorerkrankungen Gastritis und Bronchitis bei der Gesundheitsprüfung zum Vertragsabschluss nicht erwähnt. Der Beschwerde wurde stattgegeben, da diese Vorerkrankungen keine Rolle für die Berufsunfähigkeit spielten. Trotzdem ist es immer besser, vor Vertragsabschluss auch vermeintlich unwichtige Beschwerden anzugeben.

Gern verweisen Berufsunfähigkeitsversicherungen ihre Kunden auch darauf, sie könnten doch eine andere Tätigkeit aufnehmen, sodass der Versicherer nicht zahlen müsse. So wurde einem westfälischen Handwerker, der an Parkinson erkrankt war und dem der Arzt eine 80-prozentige Berufsunfähigkeit bescheinigte, gesagt, er könne doch als Pförtner arbeiten. Die Richter sahen das anders (OLG Hamm 20 U 17/07): Allein wegen der Gehaltseinbußen von 700 Euro pro Monat sei dieser Job unzumutbar. Die alternative Tätigkeit müsse immer der Ausbildung, Erfahrung und Lebensstellung entsprechen. „Gehaltseinbußen von mehr als 20 Prozent muss niemand hinnehmen“, sagt Rudnik.

Prozess vermeidbar

Grundsätzlich gilt: „Nur weil es bereits eine richterliche Entscheidung zu einem Thema gab, heißt das nicht, dass alle Versicherungen sich auch daran halten“, sagt Rudnik. Wer mit dem Verhalten seiner Versicherung nicht einverstanden ist, sollte sich auf jeden Fall wehren. Häufig muss es gar nicht zu einem teuren Prozess kommen. Es gibt günstige Alternativen, Druck auszuüben. Einen Versuch ist das allemal wert.

Marion Bennecke etwa wandte sich an den Ombudsmann und bekam recht: Die Versicherung hätte sie über die Kosten des Neuabschlusses informieren müssen. Sie durfte die Verträge widerrufen.

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