Unisex-Tarife Augen auf beim Versicherungsabschluss

Schluss mit unterschiedlichen Versicherungstarifen für Mann und Frau: Im Dezember kommen die Einheitstarife für neu abgeschlossene Policen. Wo Verbraucher künftig mehr zahlen müssen, wo sie sparen.

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Mann und Frau unter einem Schrim Quelle: dpa

Versicherung kann auch witzig sein. Der südafrikanische Versicherungsmakler „1st for Women“ macht sich in einem TV-Spot über Männer lustig: Drei Kerle in einem fahrenden Auto lassen ihren Kumpel hinterherlaufen, nachdem dieser am Straßenrand eine Pinkelpause eingelegt hat. Immer wenn der Zurückgelassene aufholt, gibt der Mann am Steuer Gas. Weil der Fahrer statt nach vorn nur in den Rückspiegel zu seinem fluchenden Kumpel schaut, stürzt der Wagen einen Abhang hinunter. Im Abspann läuft der Slogan: „Warum wir nur Frauen versichern.“

Dass junge Männer im Straßenverkehr höhere Schäden verursachen als junge Frauen, ist hinreichend belegt. Für Kfz-Policen müssen laut Unternehmensberatung Oxera 20-jährige Männer 19 Prozent mehr zahlen als gleichaltrige Frauen.

Streichpotenzial der Krankenkassen
Karten von Krankenversicherungen Quelle: AP
Ein Mund Quelle: Robert Kneschke - Fotolia.com
Bonusheft Quelle: dpa
Gymnastik Quelle: Robert Kneschke - Fotolia.com
Akupunktur Quelle: gms
Eine Impfdosis des Mittels Pandemrix gegen Schweinegrippe Quelle: dpa
Geschientes Bein Quelle: Peter Atkins - Fotolia.com

Vom 21. Dezember an ist damit Schluss, jedenfalls bei allen neu abgeschlossenen Versicherungspolicen. Laut einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom März 2011 müssen die Versicherer ihre Tarife für Neukunden geschlechtsneutral kalkulieren (Unisex). Männer und Frauen zahlen dann gleich viel Prämie. Der EuGH-Entscheid gilt für alle Versicherungssparten, aber nur für neue Verträge. Bei bereits bestehenden Policen mit geschlechtsspezifischen Tarifen ändert sich nichts.

Wie sich die Beiträge durch die Einheitstarife verändern

Warten oder abschließen?

Für alle, die sich neu versichern wollen, stellt sich die Frage: Jetzt noch einen alten Tarif abschließen – oder lieber auf die neuen Unisex-Tarife warten?

Was besser ist, hängt von der jeweiligen Versicherungssparte ab. Bisher zahlt das Geschlecht, das den Versicherer mehr kostet, die höhere Prämie. Risikolebensversicherungen sind für Männer teurer, weil sie früher sterben. In der privaten Krankenversicherung (PKV) dagegen zahlen Frauen mehr, weil sie länger leben und damit länger medizinische Versorgung brauchen.

Wenn die Einheitstarife kommen, werden die Unterschiede beim geschlechtsspezifischem Risiko verwischt. Ganz neu ist das Prinzip nicht. Schon seit 2006 zahlen Männer und Frauen bei neuen, staatlich geförderten Riester-Lebensversicherungen für die gleiche Leistung auch den gleichen Beitrag – trotz unterschiedlicher Lebenserwartung.

Neue Versicherungswelt

Versicherung ausfüllen Quelle: dpa/dpaweb

Nun wird allerdings die komplette Versicherungswelt auf Unisex umgekrempelt. Männer zahlen dann gegenüber alten Tarifen weniger für die Risikolebensversicherung, müssen dagegen mehr für ihre private Krankenversicherung aufwenden. Der Finanzvertrieb MLP errechnete für einen 35-jährigen Mann, dass er im neuen Unisex-Tarif der PKV 21 Prozent mehr zahlen muss als in einem vergleichbaren, alten Tarif. Für ihn würde es sich demnach lohnen, noch vor dem 21. Dezember einen alten Tarif abzuschließen.

„Seit Monaten erhalten wir von unseren Kunden Fragen, wie sich die Beiträge in den neuen Einheitstarifen im Vergleich zu alten, bereits auf dem Markt befindlichen, Tarifen entwickeln werden“, sagt Manfred Bauer, Produktvorstand bei MLP. Um ihnen genauere Anhaltspunkte geben zu können, hätten die hauseigenen Versicherungsmathematiker die Beitragsveränderungen berechnet.

MLP hat dazu die aktuellen Tarifangebote branchenweit nach Prämienunterschieden zwischen Männern und Frauen durchleuchtet. Aus den Beiträgen der Tarife mit dem jeweils kleinsten und größten Prämienunterschied zwischen den Geschlechtern haben die Versicherungsmathematiker eine Durchschnittsprämie kalkuliert. Ausgehend von diesem Durchschnittswert wurde dann jeweils berechnet, wie teuer ein Unisex-Tarif wäre.

Beispiel: Eine 35-jährige Frau ist privat krankenversichert. Sie hat die Wahl zwischen ihrem alten Tarif und einem neuen Unisex-Tarif. Wäre sie bei der Gesellschaft versichert, bei der der Unterschied zwischen den Prämien für Männer und Frauen im alten Tarif am größten ist, würde sie im Unisex-Tarif 6,2 Prozent sparen. Bei der Versicherung mit der geringsten Beitragsdifferenz in den Alt-Tarifen, läge die Ersparnis nur bei 1,3 Prozent. Die durchschnittliche Ersparnis beträgt damit laut MLP rund vier Prozent. Für Frauen würde es sich also rechnen, auf den neuen Tarif zu warten.

Keine Panik vor dem Einheitstarif

Grundsätzlich gilt: Je stärker sich die Geschlechterzusammensetzung gegenüber den alten Tarifen ändert, desto größer ist der wahrscheinliche Beitragszuwachs. Bei der MLP-Hochrechnung wurde unterstellt, dass im Einheitstarif künftig 80 Prozent der Kunden zu dem Geschlecht gehören, das für den Versicherer höhere Kosten verursacht – weil der Neuabschluss einer Police für sie relativ attraktiver wäre oder weil sie aus einem alten, für sie teureren Tarif wechseln würden. Bei Kfz-Versicherungen wären 80 Prozent der Versicherten im neuen Unisex-Tarif Männer, weil sie dort weniger zahlen müssten. Die übrigen 20 Prozent wären Frauen, deren Prämie im Einheitstarif höher wäre. Das Verhältnis von 80 zu 20 Prozent, das die Attraktivität der neuen Tarife mindert, weil die Versicherer höhere Risiken schultern müssten, scheint auf den ersten Blick hoch gegriffen. „Aber Versicherer sind auch per Gesetz gehalten, vorsichtig zu kalkulieren – denn auf ihre Stabilität muss sich der Kunde auch in der neuen Tarifwelt verlassen können“, sagt MLP-Vorstand Bauer.

Wie groß die Beitragsersparnis in der Praxis sein wird, hängt vom tatsächlichen Mischungsverhältnis zwischen Frauen und Männern in den Unisex-Tarifen ab. Die Quote lässt sich nur schätzen und ist stark abhängig vom jeweiligen Versicherungsprodukt. Als 2006 der Unisex-Tarif für Riester-Policen eingeführt wurde, verringerte sich bei den Riester-Verträgen der Allianz der Anteil der Männer nur von 47 auf 45 Prozent.

Wechselfieber in der PKV

PKV-Karte Quelle: dpa

In der privaten Krankenvollversicherung sind 4,5 Millionen erwachsene Männer und 2,8 Millionen Frauen versichert. Das Verhältnis liegt demnach bei etwa zwei Dritteln Männer zu ein Drittel Frauen.

Dass der Mix in den Unisex-Tarifen zumindest anfangs anders aussehen wird als in der alten Tarifwelt, ist klar. Schließlich zahlen insbesondere junge Frauen künftig weniger, junge Männer dagegen deutlich mehr. Der Anreiz für junge Männer, von den gesetzlichen Kassen zu den Privaten zu wechseln, wird schwächer. Von einem alten Einheitstarif in einen Unisex-Tarif zu gehen lohnt sich für sie überhaupt nicht.

Junge Frauen, die bereits in der PKV sind, könnten durchaus von einem alten Tarif in einen neuen Unisex-Tarif wechseln: MLP geht bei 25-jährigen Frauen von einer Beitragsersparnis von fünf Prozent aus. Je mehr Frauen in die Unisex-Tarife drängen, desto teurer werden die neuen Tarife für Männer.

Versicherer mit einem relativ hohen Frauenanteil werden bei den Unisex-Tarifen gegenüber einem alten Männer-Tarif nicht so viel draufsatteln müssen wie jene mit einem kleinen Frauen-Anteil. Traditionell viele Frauen sind beispielsweise bei der Debeka oder der HUK Coburg versichert. Das liegt an dem hohen Anteil von Beamten. In den für Beamte geltenden Beihilfe-Tarifen sind 50 Prozent Frauen versichert, also deutlich mehr als der Branchenschnitt von einem Drittel.

MLP hat mit 80 Prozent Frauenanteil in den neuen Unisex-Tarifen eine Annahme getroffen, die sich eher am oberen Rand der branchenüblichen Schätzungen bewegt. Blieben die Anteile von Männern und Frauen in etwa so, wie sie derzeit in der PKV sind, würde das Beitragsplus für Männer kleiner. MLP hat für einen Mix von 60 Prozent Männern und 40 Prozent Frauen in den neuen Unisex-Tarifen ein Beitragsplus von 14,5 Prozent für 30-jährige Männer errechnet. Zum Vergleich: Bei einer Frauenquote von 80 Prozent wären es plus 23 Prozent.

„Finanzvertriebe sind an einem guten Jahresendgeschäft interessiert, also kommunizieren sie Zahlen, die vor allem den Männern Angst einjagen“, relativiert Michael Steinmetz, Geschäftsführer der Deutschen Aktuarvereinigung, in der die Mathematiker der Versicherer organisiert sind. Auch PKV-Gutachter Peter Schramm aus Kronberg im Taunus glaubt nicht, dass Männer wegen der Unisex-Tarife in Panik ausbrechen müssen: „Dafür wird schon der Wettbewerb sorgen, schließlich kann es sich kein Versicherer erlauben, Kunden zu verlieren.“ Im Zweifelsfall würden die Vertriebsmanager darauf drängen, die Tarife eher niedrig anzusetzen.

Bei stark vertriebsgetriebenen Krankenversicherern könnte der Schuss allerdings nach hinten losgehen. „Es besteht die Gefahr, dass die Tarife zu knapp kalkuliert sind“, warnt Steinmetz. Die Folge wären, wenige Jahre nach Einführung der Unisex-Tarife, stark steigende Beiträge für alle.

Jahresendrally

Dass die Versicherer noch möglichst viel Umsatz in diesem Jahr machen wollen, zeigen etwa die Unisex-Aktionen der Continentalen und der Gothaer. Die Gothaer verspricht Männern, dass sie mit einer in diesem Jahr abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV) später problemlos in einen günstigeren Unisex-Tarif wechseln können. Bisher zahlen Männer in der BUV mehr als Frauen, weil sie häufiger berufsunfähig werden.

Die Continentale wirbt mit einem „Unisex-Retter“. Ihre seit dem 1. April auf den Markt gebrachten Lebensversicherungstarife enthalten eine Klausel, nach der nachträgliche Vertragsänderungen nicht dazu führen, dass Versicherte in einen neuen Unisex-Tarif rutschen. Laut Gesetz gilt bei Vertragsänderungen, denen der Versicherte und der Versicherer zustimmen, eigentlich der jeweils gültige Tarif. Im kommenden Jahr wäre dies ein Unisex-Tarif.

Fest steht: Bei Unisex-Tarifen werden, je nach Sparte, immer entweder Männer oder Frauen mehr zahlen müssen als bei den alten Tarifen. Es geht allerdings auch anders: Bestehende oder neu gegründete Herrenklubs – vom Männerchor bis zum Fußballverein – könnten mit Versicherern Gruppenverträge abschließen. Anders als bei Einzelverträgen müsste der Versicherer effektiv nicht geschlechtsneutral kalkulieren, alle Mitglieder bekämen günstigere Tarife – jedenfalls bis zur nächsten Diskriminierungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof.

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