Versicherungen Protokoll eines Allianz-Verkaufstrainings

Ein Kaufmann wollte Versicherungsfachmann werden, kapitulierte aber schließlich vor den zweifelhaften Ausbildungs- und Vertriebsmethoden der Allianz. Ein Protokoll.

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Die Konzernzentrale der Allianz in Unterföhring. Quelle: dpa

Dipl. Kaufmann sucht neue berufliche Herausforderung. Mit dieser Stellenanzeige in einer deutschen Tageszeitung ging Thilo Bannasch* im Sommer 2009 auf Jobsuche. Der 37-Jährige wollte sich beruflich frischen Wind um die Nase wehen lassen. Eine örtliche Allianz-Agentur meldete sich postwendend auf die Anzeige. Bannasch war glücklich. „Einer windigen Drückerkolonne hätte ich gleich abgesagt“, freute er sich. „Aber die Allianz, das sind doch die Größten.“

Tatsächlich ließ sich der erhoffte Jobwechsel gut an. Das erste Gespräch mit dem Agenturchef lief vielversprechend. „Ich sollte als Finanzplaner und Berater der Vertriebler arbeiten und als Perspektive in fünf bis sechs Jahren eine leitende Stellung in der Agentur übernehmen“, erinnert sich Bannasch.

Die beiden wurden sich rasch handelseinig, Bannasch startete bei Deutschlands bekanntester Versicherung. Was er aber in den nächsten Wochen erlebte, wirft dunkle Schatten auf die Arbeitsweise einer Branche, die – von Wettbewerbsdruck und sinkenden Erträgen gezeichnet – offenbar vor unschönen Praktiken nicht zurückschreckt. Von Psychoterror gegen Auszubildende, Verängstigen als Verkaufsstrategie und unklarem Datenschutz wird im Folgenden die Rede sein.

Bannaschs Leidensweg begann mit seiner Unterschrift unter den Ausbildungsvertrag zum Versicherungsfachmann, wohlgemerkt nicht zum Versicherungskaufmann. „Das ist die anspruchsvollere Ausbildung“, sagt Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, „der Versicherungsfachmann erfüllt nur die Minimalvoraussetzungen der Vermittlerrichtlinie.“ Sie legt fest, welches Wissen zur Beratung nötig ist.

Psychoterror und Verkaufsdruck von Anfang an

Nach dem Plan der Allianz-Akademie wechseln sich in der zweijährigen Ausbildung Theorie und Praxis ab. So startete Bannasch zusammen mit rund 30 Teilnehmern mit einer zweiwöchigen Vertriebsschulung in einem Hotel. Alle im Kurs verfügten über eine gute Ausbildung oder ein Studium in Jura oder Wirtschaft. Umso überraschter war Bannasch, wie die Ausbilder mit ihnen umgegangen seien: „Wir wurden behandelt, als wollte man uns erst einmal das Rückgrat brechen. Es hieß: Wir machen neue Menschen aus Ihnen, denn als Allianz-Mitarbeiter gehören sie zu den Besten.“ Bannasch empfand das als Psychoterror. „Wer kritische Fragen stellte, wurde vor allen Leuten als akademisch verblendet runtergeputzt. Zur Strafe gab es ein Fachfragen-Stakkato, das ich als Neuling nur verlieren konnte. Ja-Sager durften dagegen am Tisch der Leitenden á la carte essen, statt sich mit den Kurskollegen am Büffet zu bedienen.“

Damit nicht genug, wurden Neulinge laut Bannasch von den Vorgesetzten sofort auf Kundenfang geschickt und die Konkurrenz untereinander geschürt. „Wir sollten noch vom Hotel aus abends vier Verträge pro Woche akquirieren und dafür unsere Verwandten, Freunde und Bekannten abtelefonieren.“

In den Allianz-Agenturen sei es weniger um Ausbildung als ums Verkaufen gegangen, berichtet Bannasch: „Montags bis mittwochs von 17.00 bis 19.30 Uhr mussten wir vorgegebene Kundenlisten abtelefonieren.“ Kollegen hätten ihm geraten, am besten beginne er mit den alten Leuten, die ließen sich ja gut belatschern. Bei Rendite-Musterrechnungen sollte er gleich von den schlimmsten aller Inflationsszenarien oder noch zu rechtfertigenden Rentenlücken ausgehen.

Hundenapf in Sicht?

Die Wissensvermittlung im Blockseminar und in der Agentur entwickelte sich in der Praxis zum Taktiktraining für Versicherungsvertreter. Die wichtigste Frage: Was tun bei neuen Kunden? Laut Bannasch drillten ihn seine Ausbilder wie folgt: „Als Erstes muss die Wohnung nach Policen-Verkaufspotenzial abgescannt werden. Zum Beispiel: Hundenapf gesichtet? Dann mitfühlendes Gespräch über horrende Tierarztkosten, das führt zum Abschluss einer Krankenzusatzversicherung für Tiere. Kinderspielzeug? Dann diverse Zusatzversicherungen. Reisesouvenirs im Wohnzimmerschrank? Urlaubskrankenversicherung und so weiter.“ Potenzial für Versicherungen steckt in der kleinsten Hütte.

Auch bei den Schadensabwicklungen hat Bannasch nach eigenen Angaben Überraschendes von seinen Ausbildern gelernt. „Modell interne Reißleine“ habe eine Methode geheißen. „Wer ohnehin nur einen Versicherungsvertrag bei der Allianz hat, produziert zu viel Verwaltungskosten. Um ihn loszuwerden, legt man sich bei der Schadensabwicklung quer. Dem Haftpflichtversicherten wird erklärt, die Allianz sei für seinen Schaden gar nicht zuständig, oder bei einer Kfz-Versicherung wird dem Kunden nach dem ersten Schaden gleich gekündigt.“

* Name von der Redaktion geändert

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