Vorsorge Wie die Krankenkassen auf Betriebsrenten und Kapitaleinkünfte zugreifen

Wer privat vorsorgt, wird bestraft: Wie die Kassen auf Betriebsrenten, Mieterlöse und Kapitaleinkünfte zugreifen, wen das trifft, wie Versicherte sich schützen können.

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Augenuntersuchung Quelle: AP

Schlechte Nachricht für Kassenpatienten: Vergangene Woche schlossen die Techniker Krankenkasse und ein bei ihr versicherter Rentner einen Vergleich über zu viel berechnete Beiträge (B 12 KR 20/10 R). Zwar darf sich der Kläger über eine Rückzahlung seiner Kasse freuen, Tausende andere gesetzlich versicherte Rentner gehen aber leer aus.

In dem Vergleich geht es um betriebliche Lebensversicherungen (Direktversicherungen), die Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen auf eigene Kosten weiterführen. Solange die Policen über den Arbeitgeber laufen und der einen Teil des Bruttogehalts seines Mitarbeiters für die Betriebsrente abzwackt, bleiben die Beiträge bis zu einer Obergrenze von 2640 Euro pro Jahr sozialabgabenfrei. Bei der späteren Rente zieht die Krankenkasse den vollen Beitragssatz von derzeit 15,5 Prozent ab.

Spart der Arbeitnehmer, wenn er das Unternehmen verlassen hat, aus eigener Tasche weiter, kassiert die Krankenkasse auch bei den Beiträgen. Der Arbeitnehmer wird doppelt belastet: Die Sparraten zahlt er aus seinem Nettoeinkommen, von dem ihm bereits der Krankenkassen-Arbeitnehmeranteil von 8,2 Prozent abgezogen wurde. Trotzdem zieht ihm die Krankenkasse, sobald er in Rente ist, noch einmal den vollen Beitragssatz von 15,5 Prozent von der Rente ab.

Arbeitnehmer als Versicherter

Wegen dieser Doppelbelastung klagte ein Rentner gegen die Techniker Krankenkasse. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Kasse zu Unrecht doppelt kassiert habe, und verwies die Klage zurück ans Bundessozialgericht (BSG). Bevor das BSG ein Urteil fällen konnte, das vielen Kassenmitgliedern im Ruhestand geholfen hätte, einigten sich beide Parteien auf eine Entschädigung.

Von einem Urteil wären geschätzt bis zu 250 000 Versicherte betroffen. Nur ein Teil von ihnen hätte allerdings Geld zurückverlangen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte zur Bedingung gemacht, dass die Kassen nur für solche Verträge zu viel gezahlte Beiträge erstatten müssen, bei denen sich der Arbeitnehmer als Versicherter hat eintragen lassen. Diese Policen gelten juristisch als private Verträge. Bleibt dagegen der Arbeitgeber formal der Versicherte, handelt es sich um betriebliche Policen. Bei diesen Verträgen dürfen die Krankenkassen doppelt kassieren. „Formal juristisch ist es korrekt, so zu unterscheiden, wirtschaftlich ist es nicht nachvollziehbar“, sagt Severin Bodenstaff, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht in Werl.

Arbeitnehmer, die ihre Direktversicherung privat fortführen wollen, sollten sich deshalb auf jeden Fall als Versicherte eintragen lassen. Alternativ können sie nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb ihre alte Police ohne Beitrag weiterlaufen lassen.

Beitrag auf Mieten und Zinsen

Bei Arbeitnehmern, die ihren Vertrag mit einer Pensionskasse privat weiterführen, dürfen die Krankenkassen doppelt Beiträge kassieren. Pensionskassen sind eigenständige Versorgungswerke, die Pensionsgelder ähnlich wie Lebensversicherungen anlegen. Die Satzungen der Pensionskassen lassen es aber nicht zu, dass der Arbeitnehmer die Rolle des Versicherten übernimmt.

Der Beitrags-Coup der Krankenkassen übermittelt eine fatale Botschaft: Wer fürs Alter vorsorgt, wird bestraft. Bei privat Versicherten dagegen spielt das Einkommen für die Höhe der Prämie keine Rolle.

Der Zugriff der Kassen geht noch weiter: Bei den rund 1,2 Millionen Selbstständigen, die freiwillig gesetzlich versichert sind, können die Kassen 14,9 Prozent Beitragssatz auf Miet- und Kapitaleinkünfte erheben. Das trifft jeden, dessen Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze von 3712,50 Euro pro Monat bleibt. Ein Beispiel: Als Unternehmer verdient der freiwillig Versicherte 3000 Euro, weitere 1200 Euro kassiert er an Mieten. Die Krankenkasse rechnet dann für weitere 712,50 Euro Beiträge ab. Die übrigen 487,50 Euro bleiben verschont.

Freiwillige vor

Aus dem Schneider sind dagegen Arbeitnehmer. Bei ihnen fallen Mieten und Zinsen nicht ins Gewicht. Bei Pflichtversicherten, die weniger als 4125 Euro brutto pro Monat verdienen, erhebt die Kasse für Mieten und Kapitaleinkünfte keine Beiträge – nur das Arbeitseinkommen zählt.

Wer als Arbeitnehmer freiwillig Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist, weil sein Gehalt über 4125 Euro und damit über der für den Kassenbeitrag relevanten Grenze von 3712,50 Euro liegt, bleibt ebenfalls verschont.

Anders sieht es bei Rentnern aus. Für Betriebsrenten gilt der volle Beitragssatz von derzeit 15,5 Prozent; egal, ob der Betroffene pflichtversichert oder freiwillig versichert ist. Etwa 4,2 Millionen Rentner beziehen derzeit eine Zusatzrente von privaten oder öffentlichen Arbeitgebern.

Wer sich seine Betriebsrente als Einmalbetrag auszahlen lässt, muss seine zusätzlichen Kassenbeiträge über zehn Jahre abstottern. Der Rentner, der gegen die Techniker Krankenkasse klagte, hatte 2004 einen Einmalbetrag von 67 443 Euro aus einer betrieblichen Lebensversicherung erhalten. Er hätte bei einem Beitragssatz von damals 13,7 Prozent zehn Jahre lang 77 Euro pro Monat zusätzlich an die Kasse zahlen müssen.

Nachspiel für Rentner

Bei Mieteinnahmen und Kapitaleinkünften dagegen unterscheiden die Kassen zwischen freiwillig und pflichtversicherten Rentnern. Dabei gilt der jeweilige Status als Kassenmitglied aus dem Erwerbsleben nicht immer auch für den Ruhestand:

Bei einem Erwerbstätigen, der freiwillig versichert war, prüft die Kasse, ob er in der zweiten Hälfte seines Erwerbslebens in mindestens 90 Prozent der Beitragsjahre in der GKV war. Wenn ja, gilt er als pflichtversichert; wenn nein, als freiwillig versichert.Wer zum Beispiel 36 Jahre lang erwerbstätig und in den 18 Jahren vor seinem Ruhestand 17 Jahre lang in der GKV war, ist damit als Rentner pflichtversichert. Seine Mieteinnahmen und Kapitaleinkünfte bleiben verschont.War ein Arbeitnehmer in den 18 Jahren vor seinem Ruhestand zum Beispiel nur zwölf Jahre lang freiwillig in der GKV, bleibt er als Rentner freiwillig versichert. Die Kasse langt bei Mieteinnahmen und Kapitaleinkünften voll zu. Betroffen sein dürften bis zu 850 000 Rentner, zum Beispiel Selbstständige, die ihr Geschäft aufgegeben haben und als Arbeitnehmer wieder in die GKV gewechselt sind.Freiwillig versicherte Selbstständige, die nicht ins Arbeitnehmerlager gewechselt sind, bleiben als Rentner freiwillig versichert. Sie müssen für Mieteinnahmen und Kapitaleinkünfte Beiträge zahlen.

Für alle Rentner, egal, ob pflichtversichert oder freiwillig, gilt wie bei Erwerbstätigen die Beitragsbemessungsgrenze von 3712,50 Euro.

Übertragen statt zahlen

Wer verhindern will, dass er auf Mieten oder Zinsen Kassenbeiträge zahlt, kann Immobilien und Geldvermögen auf einen pflicht- oder privat versicherten Ehepartner oder auf Kinder übertragen. „Diese Hintertür könnte das Bundesverfassungsgericht aber wieder schließen“, warnt Anwalt Bodenstaff. Er rechnet damit, dass die Benachteiligung von freiwillig versicherten Rentnern künftig aufgehoben wird – aber nicht, indem deren Geld- und Immobilienvermögen verschont wird, sondern indem in Zukunft alle Rentner für Kapitaleinkünfte und Mieteinnahmen zahlen müssten, also auch pflichtversicherte.

Wer Vermögen hat und überlegt, ob er sich freiwillig gesetzlich oder doch privat versichern will, sollte dieses Argument berücksichtigen. Jeder, der mindestens zwölf Monate lang mehr als 4125 Euro monatlich verdient, kann von der GKV in eine private Versicherung wechseln.

Mieteinnahmen und Kapitaleinkünfte helfen aber nicht, um über diese Hürde zu springen. Hier zählt – das verstehe, wer will – allein das Arbeitseinkommen.

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