Wirtschaftshistoriker Plumpe "Krisen kurz nacheinander sind historisch ohne Vorbild"

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Ah! Also sind doch Regeln nötig.

Da muss man sich im einzelnen schauen. Wie bei der Tulpenmanie in Holland im 17. Jahrhundert. Oder dem Südseeschwindel in Großbritannien um 1720. Da kann man sehen, dass es Menschen gibt, die Regeln missachten und andere betrügen. Prospektfälschungen und ungenaue Angaben zu Umsatz und Ertrag waren damals gang und gäbe. Es wurden aber auch Gesellschaften an die Börse gebracht, deren Zweck gar nicht bekannt war. Die Menschen haben damals derartige Anteilsscheine geradezu hysterisch gekauft – und sich dabei wohl auch betrügen lassen. Ähnlich war es nach 1870, als massenhaft Unternehmen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an die Berliner Börse gebracht wurden. Derartiges Spekulationsverhalten ist selbstverständlich in keiner Weise zu tolerieren.

Die verpackten faulen Kredite waren aber legal. Niemand hat sie richtig verstanden, aber sie waren legal.

Daher verstehe ich viele Vorwürfe nicht: Zumindest hier in Deutschland haben die heute so gescholtenen Banken mit ihren Geschäften nicht gegen geltendes Recht verstoßen! Vor der Finanzkrise haben Politiker fast aller Couleur der Liberalisierung der Finanzmärkte das Wort geredet, nicht zuletzt um den Finanzplatz Frankfurt zu stärken. Zweifellos haben die Banken ihre Spielräume ausgereizt, aber eben nicht gegen Recht verstoßen. Sonst hätte es mehr Klagen gegeben.

Und Schuld sind die, die zu dumm waren, es zu begreifen.

Was heißt Schuld? Die Menschen, die diese Zertifikate gekauft haben, haben sich ebenfalls spekulativ verhalten, weil sie sich davon höhere Gewinne versprachen als von einem Sparbuch oder einer Staatsanleihe. Die Kritik an der Intransparenz der Produkte kam ja auch nicht auf, so lange alles gut lief. Da war es den Käufern egal. Erst als Verluste drohten oder eintraten, wurden Wehklagen laut.

Und welche Krise sollte man nun prophylaktisch bekämpfen?

Wenn ich das wüsste! Aktuell glaube ich nicht, dass sich das Krisengeschehen der vergangenen Jahre wiederholt. Dazu ist einfach die Erwartungshaltung insgesamt zu defensiv. Größere Aufschwünge und Spekulationswellen hatten ja neben guter Liquiditätsversorgung immer auch etwas mit großen Erwartungen zu tun. Davon sind wir wohl noch ein Stück entfernt. Und selbst wenn die Erwartungen optimistischer werden, hilft das zur Prognose nur wenig. Das Diabolische ist ja, dass positive Erwartungen in Märkte und Produkte anfangs wirtschaftliche Chance sind, die nicht zu nutzen geradezu sträflich wäre. In gewisser Hinsicht ist die Krise dann der Preis, den wir für den Aufschwung zahlen müssen. Dieser Diabolik werden wir wohl nicht entkommen.

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