Ende November werden der Autobauer Toyota und der Mischkonzern General Electric, die Pharmakonzerne Pfizer und Bayer, Flugzeugbauer Airbus und der Spediteur Maersk erstmals hochrangige Manager nach Santa Clara schicken. Bisher sah man hier, auf dem weltweit wichtigsten Kongress zur Blockchain, „nur zwei Arten Delegierte“, erzählt Jamie Skella, Berater und Buchautor aus Melbourne: „Nerds und Banker.“ Denn angewendet wird die junge Technologie hauptsächlich in der Finanzwelt, als Betriebssystem, das hinter der Digitalwährung Bitcoin steht.
Die Delegation der Industriemanager aber zeigt: Die Blockchain ist dabei, sich in fast allen Branchen auszubreiten. Nahezu jeder Dax-Konzern hat inzwischen ein mehr oder weniger geheimes Blockchain-Projekt. Und in Stellenanzeigen für IT-Fachleute werden immer öfter Blockchain-Fertigkeiten gefordert. Denn mit der Technologie lassen sich teure Mittelsmänner ausschalten, die Echtheit von Waren lässt sich festhalten, und Transaktionen jeder Art können schneller als mit jedem heute existierenden IT-System abgeschlossen werden.
Blockchains sind Datenbanken, in denen Datensätze und ihre Transaktionen festgehalten werden. Zum Beispiel Daten über Käufe, Verkäufe oder Warenlieferungen. Eine Transaktion ist gültig und wird in der Blockchain gespeichert, wenn die Mehrheit der Teilnehmer sie bestätigt. Berater Skella hat für seine Kunden ein einfaches Bild: „John gibt Sue Geld. Tausende Menschen sehen ihm dabei zu. Sie bestätigen, dass John Sue das Geld gegeben hat und wie viel. Sobald sie bestätigt haben, wird die Transaktion abgelegt und ist nicht mehr veränderbar.“ Würde einer der beiden später etwas anderes behaupten, „wüsste die ganze Welt, dass er oder sie lügt“.
Wo die Blockchain genutzt wird
Die Bitnation ist wohl die verrückteste Idee für die Anwendung der Blockchain. Die Erfinder wollen eine Weltnation gründen, die unabhängig von Staaten und Regierungen ist. Tatsächlich aber arbeiten die Macher auch daran, Staatszugehörigkeiten in der Blockchain festzuschreiben. Estland etwa nutzt diesen digitalen Notarservice der Bitnation-Macher bereits.
Ist die Kühlkette beim Transport wohlmöglich einmal unterbrochen worden? Auf welchem Weg sind die Güter transportiert worden? Sind die zugelassenen Fahrzeiten eingehalten worden? – In der Logistik gibt es zahlreiche Daten, die bislang nicht zentral gesichert werden. Das Unternehmen Kouvola Innovation will künftig alle relevanten Daten in der Blockchain speichern.
Auch der Hafen von Rotterdam arbeitet bereits an einer Blockchain-Lösung für Container. Damit sollen vertragliche und logistische Informationen gespeichert und Frachtinhalte rund um die Welt getrackt werden. Etwa das teure Ausstellen von Frachtpapieren könnte damit überflüssig werden.
Wo kommt mein Kaffee her und wer hat ihn angebaut? Fragen wie diese stellen die Konsumenten von heute immer häufiger. Mithilfe der Blockchain könnten Fair Trade-Siegel irgendwann überflüssig sein, da in der Blockchain festgeschrieben wäre, wer den Kaffee wann wo abgebaut hat und wer ihn transportiert hat. Dies könnte die Produktionsbedingungen von Lebensmitteln aber auch von Textilien transparenter machen.
Die Regierungsbehörde in Schweden nutzt die Blockchain, um Eigentumsverhältnisse etwa von Ländereien und Wäldern festzuschreiben. Besonders Potenzial sehen die Macher des im vergangenen Jahr gestarteten Projektes, um Bürger etwa vor Willkür von Diktatoren und möglichen Enteignungen zu schützen.
Die Banken waren die Ersten, die sich mit der Blockchain-Technologie auseinandergesetzt haben. Führte der Bitcoin ihnen vor Augen, wie obsolet ihr Geschäftsmodell in Zukunft sein könnte. Die Geldtransfer-App Abra etwa bot den gleichen Service an wie Western Union– bloß deutlich günstiger.
Für Wohnungsbesichtigungen oder die Vermietung über Plattformen wie Airbnb ideal: Das Start-up Slock.it entwickelt intelligente Schlösser, die sich mit Hilfe von Smart Contracts nur von denjenigen öffnen lassen, die zuvor dazu autorisiert wurden. Zum Beispiel weil sie ihre Unterkunft bereits mit der Kreditkarte bezahlt haben. Die Blockchain eignet sich sehr gut, um diverse Smart Home-Geräte sicher miteinander zu vernetzen.
Die Vereinten Nationen (UN) nutzen die Ethereum-Blockchain, um in jordanischen Flüchtlingscamps Gutscheine zu verteilen, die gegen Hilfsgüter wie Lebensmittel oder Decken eingetauscht werden können. Die 10.000 Testteilnehmer identifizieren sich über einen Augenscanner, so kann sichergestellt werden, dass niemand mehrfach Hilfsgüter erhält. Ziel ist es, irgendwann überall dort zum Einsatz zu kommen, wo die UN Ernährungshilfe leistet.
Rik Kirkland, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, sagt: „Die Blockchain ist die zweite Generation des Internets. Sie wird früher oder später alle Branchen verändern – mehr noch als die erste Internetgeneration.“ Vor allem soll sie einen uralten Webfehler des Internets beheben, der zum Beispiel die Musikindustrie um ein Haar ihre Existenz gekostet hätte: Was einmal digitalisiert und ins Netz gestellt wurde, kann man kaum noch kontrollieren. Jeder kann es nutzen, vervielfältigen, weiterverteilen. „Das ist eine ganz miserable Idee, wenn es um digitalisierte Dinge mit monetärem Wert geht – Aktien, Lizenzen, Musik-, Film- und Bildrechte“, sagt Kirkland.
Schutz vor Fälschern
Wenn sich nun also auch Airbus, Bayer oder General Electric mit der Blockchain beschäftigen, dann geht es den Konzernen vor allem um den Schutz geistigen Eigentums. Der Urheber legt das erste Kettenglied an und speichert es in einem Datenblock. Jeder, der sein Werk kauft, leiht oder weitergibt, löst eine Datentransaktion aus, die ebenfalls in dem Block gespeichert wird. Ist ein Block voll, wird der nächste angelegt und wie in einer Perlenkette an die älteren gehängt: Diese Datenkette, die Blockchain also, liegt nicht zentral auf einem großen Server, wie herkömmliche Datenbanken; sie „gehört“ auch niemandem. Sie ist dezentral: Alle Teilnehmer einer Blockchain haben stets dieselbe, aktuelle Kopie. In komplexen Systemen, etwa in globalen Zulieferketten, können das Tausende Teilnehmer sein.
Das eröffnet neue Perspektiven: Musik-Streamingdienst Spotify will nun eine Blockchain bauen, in der Komponisten, Labels und die Musiknutzer miteinander verbunden sind. Die Schöpfer können so sehen, wer ihre Musik wie oft nutzt. Die Nutzer würden die Tantiemen direkt an sie bezahlen – wenn es sein muss, in Millionen von Miniüberweisungen, für die keine Gebühren anfallen, da keine Bank beteiligt ist.