Eine Fabrikhalle in Gütersloh Ende Oktober: Mehrere Dutzend orangefarbene Roboterarme führen eine Choreografie auf, als hätte die sich ein Regisseur für einen Science-Fiction-Film ausgedacht: Sie strecken, drehen, beugen sich, legen Metallteile von einem Arbeitstisch zum nächsten, verteilen Klebstoff und verschrauben Bauteile. Alles mit übermenschlicher Präzision und blitzschnell, ein Ballett aus lebendig gewordenem Metall.
Der futuristische Maschinentanz findet am Stammsitz des Hausgeräteherstellers Miele statt. In mehreren Fabrikhallen, groß wie Fußballfelder, fügen Roboter und Menschen gemeinsam binnen Stunden hier Hunderte Einzelteile zusammen, bis am Ende fertige Waschmaschinen in Transporter verladen werden, 5000 Stück pro Tag.
Schon seit 117 Jahren baut Miele Waschmaschinen. Anfangs noch größtenteils per Hand. Dann, ab den Sechzigerjahren, zunehmend am Fließband und mit Geräten. Seit vier Jahren aber ist noch einmal alles anders geworden. Denn seitdem baut Miele große Teile seiner Waschmaschinen mit Robotern. Und jetzt geht alles noch einmal deutlich schneller, preiswerter und produktiver voran als bisher.
Vor Kurzem noch war es fast ausschließlich die Autoindustrie, die auf Robotik setzte. Auf riesige Maschinen, die Metallteile schweißen oder Fensterscheiben in die Karosserie einbauen – abgeschottet in Käfigen, wie gefährliche Tiere. Nun aber werden Roboter handzahm: Sie lernen, Menschen auszuweichen, wenn Gefahr besteht, sie zu verletzen. Und sie sind preiswerter geworden, kleiner und leichter zu programmieren.
Das macht sie für neue Einsatzzwecke interessant. „Die Nachfrage nach Robotern zieht jetzt in vielen zusätzlichen Branchen an“, sagt Sami Atiya, Chef der Division Robotik und Antriebe beim Schweizer Industriekonzern ABB. „Von der Elektroindustrie bis zu Nahrungsmittelherstellern“, so Atiya. Und darum boomt das Automationsgewerbe wie nie zuvor. Bis 2020 werden mehr als 1,7 Millionen neue Industrieroboter in den Fabriken der Welt installiert, insgesamt sind dann gut drei Millionen im Einsatz. Das Marktwachstum pro Jahr: 14 Prozent.
Die Roboterrevolution hält auch deutsche Hersteller wie Miele wettbewerbsfähig gegenüber Billiglohnländern. Denn sie spart Arbeitskosten – und steigert die Vielfalt der Produkte. „Roboter erlauben es, Herstellungsprozesse viel flexibler zu automatisieren als bisher“, sagt ABB-Manager Atiya. Statt immer das gleiche Stück abertausendfach zu produzieren, sind jetzt auch Kleinserien und Einzelstücke möglich. Der Kunde will es so: Immer beliebter wird es, Konsumgüter nach Gusto zu konfigurieren, ob in Farbe, Form oder Funktion.
Mit Software orchestrierte Feinarbeit
Gleichzeitig fertigen die Maschinen in einer Qualität, die Menschen nicht leisten können. Wie bei Miele. Da übernehmen Roboter längst fast alle Aufgaben bei der Fertigung der Waschmaschinengehäuse. Ein Arbeiter legt Seitenwände und Verstrebungen auf eine Halterung. Flugs greift sich ein Maschinenarm das Gestell und führt es einem Gerät zu, das die Teile zusammenstanzt. Sieben, acht Drehungen, schon sind die Teile verbunden und es geht weiter zu nächsten Station. Weiter hinten trägt ein Roboter mit einer Spritze Dichtungsmasse auf, ein Sensor hilft ihm, millimetergenau anzusetzen. Sieben Maschinenarme arbeiten Hand in Hand und sind nach nur 49,5 Sekunden fertig.
Ausgedacht hat sich das Zusammenspiel Sebastian Lörcks, bei Miele zuständig für die Produktionsplanung. Mit einer Software von ABB kann der 27-Jährige jeden kleinsten Arbeitsschritt der Roboter schon am Computer planen, bis alles perfekt getaktet ist. „Wenn die echten Roboter aufgebaut werden, müssen wir die Steuerbefehle nur noch überspielen“, sagt Lörcks.
Eingebauter Sanftmut
Per Software sieht er in seinem Büro auch, ob es Probleme bei den Maschinen gibt. Inzwischen bietet ABB auch an, die Roboter via Internet aus der Ferne zu überwachen, rund um die Uhr. Fällt einer aus, ist der Wartungstechniker noch schneller da als bisher.
Das alles verändert auch das Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Die schweren Aufgaben – Teile heben, über Kopf schrauben – müssen Arbeiter nicht mehr erledigen. Alles, was langweilig, dreckig, gefährlich ist – übernimmt die Maschine. Die Arbeiter dagegen tun Dinge, die besonderes handwerkliches Geschick oder Improvisation voraussetzen, bauen etwa biegsame Gummidichtungen ein. Dass sich beide nicht in die Quere kommen, darüber wachen Annäherungssensoren, die den Roboter notfalls stoppen.
Der eingebaute Sanftmut macht Roboter inzwischen auch für Werkstätten und Kleinfabriken interessant, Orten mit wenig Platz und vielen Menschen. Etwa bei Hofmann Glastechnik in Staudt im Westerwald. Der Traditionsbetrieb mit 23 Mitarbeitern stellt Spezialgläser her, etwa Gefäße für Medizinlabore oder Röhren für Röntgengeräte.
Paletten voller Rohlinge stapeln sich im Produktionsraum. Davor ist ein Roboterarm emsig im Einsatz: Mit einer Zange greift er ein Laborglas und platziert es in einen Ofen. Nach ein paar Minuten holt er das Glas wieder heraus und stellt es auf einer zweiten Palette ab. Es ist eine Arbeit voller Wiederholungen, die bisher Hilfskräfte erledigt haben, von früh bis spät. „Aber Hilfsarbeiter sind schwer zu bekommen“, sagt Geschäftsführer Robert Hofmann, „wir haben hier Vollbeschäftigung in der Region.“ Darum suchte der Mittelständler nach einem Roboter für diese Aufgabe – und wurde auf einer Messe fündig.
Der Anbieter Universal Robots ist einer der Vorreiter für sogenannte kollaborative Roboter: kleine, schlaue Roboterarme, nicht viel größer als das menschliche Vorbild, die mit Menschen an einem Tisch arbeiten können und bei Berührung sofort innehalten. Ihre Bewegungen lassen sich mit einer Software und per Hand leicht programmieren, so wie Eltern einem Kind beibringen, die Schuhe zu schnüren.
Per Hand konnte ein Mitarbeiter bisher 250 Gläser am Tag fertigen. Der Roboter braucht keine Pausen und schafft 400. Früher konnten sich Mitarbeiter am heißen Ofen mal eine Brandblase holen, heute macht der Stahlarm den gefährlichen Job. Und weil der Roboter immer genau den Takt einhält, gibt es viel weniger Ausschuss.
Außerdem kündigt die Maschine nicht plötzlich den Job, wie das Hofmann bei Hilfskräften schon erlebt hat. Die Investition in seinen ersten UR5, ein fünfstelliger Betrag, habe sich schon nach einem Jahr ausgezahlt. Schon plant er die nächste Anschaffung: „Der erste Roboter hat den zweiten verdient, jetzt verdient der zweite den Dritten“, sagt Hofmann.