Grobschlächtige Propaganda Kriegs-Kinderbücher für den Soldaten von morgen

Millionen Kinder wurden im Ersten Weltkrieg geprägt, auch weil ihnen die Grausamkeiten der Front nicht vorenthalten wurden. Der Horror wurde in Kinderbüchern nahegebracht. Auch, um die Kinder zu instrumentalisieren.

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Ein Junge bringt am 01.08.1914 während des Ersten Weltkrieges den Koffer und das Gewehr seines Vaters zum Bahnhof. Quelle: dpa

Frankfurt Was bekamen Kinder in Deutschland vom Ersten Weltkrieg zu sehen? Kinderbücher von damals erzählen Geschichten zum Krieg, sie verherrlichen ihn oder zeigen drastisch seine Realität. „Ganz grausam“, sagt Hans-Heino Ewers vom Institut für Kinder- und Jugendbuchforschung an der Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Dort sind solche historischen Dokumente bis zum 15. Juli in einer kleinen, beeindruckenden Ausstellung zu sehen. „Die Propaganda ist wahnsinnig grobschlächtig in diesen Büchern“, sagt Ewers. Krieg und Nationalismus werden für Kinder vereinfacht. Auf den vergilbten Seiten in den Vitrinen prangen kräftige Bilder und Worte, mit denen die Schlachten der Großen nahegebracht werden sollen.

Ewers deutet auf die Verse in einem Buch mit schwarzen Scherenschnitten: „Der Russenlaus erklärten wir den Krieg. Der Kampf war hart, uns blieb der Sieg. Kommen noch Überläufer bei Nacht, die werden im Nahkampf unschädlich gemacht“, liest man dort. Die rassistische Darstellung der Feinde, sagt Ewers, sei ein verheerendes Kapitel dieser Zeit.

Die Zeichnungen in den Bilderbüchern sind dem heutigen Betrachter fremd. Nicht nur, weil die Farben, Kleider und Formen aus einer anderen Zeit stammen. Sondern auch, weil so viele Soldaten zu sehen sind: „Es ist oft eine Mischung aus Niedlichkeit und Kriegsverherrlichung“, sagt Maria Linsmann, Leiterin des Bilderbuchmuseums im rheinischen Troisdorf.

Zu Kriegsbeginn schreiten oder reiten die Soldaten noch heroisch und stolz über die Seiten. Es sind zunächst die Infanteristen und Reiter des 19. Jahrhunderts. Wer 1914 Bilderbücher macht, kennt die Front des industriellen Kriegs noch nicht.

„Das Hurra hat sich verkauft“, berichtet Ewers. In den verherrlichenden Büchern sterben die Deutschen nicht. Da ist stattdessen „klein Willi, der tapfere Streiter“, pausbäckig - und stark. Dabei leiden die meisten Kinder bald unter Hunger und Krankheiten, wie die Paderborner Historikerin Barbara Stambolis sagt.

„Er will ja nach dem Schützengraben“

Als die Realität des Krieges per Feldpost und Kriegsurlaub in die Familien kommt, passt sich die Literatur an. „Der moderne Krieg räumte schnell auf mit dem Heroischen“, sagt Ewers. Jetzt erkennen kleine Bilderbuch-Figuren die entstellten Gesichter der Väter nicht mehr, gehen als Soldaten-Trost in Lazarette, stricken für die Front. Dazu gibt es Text wie: „Hoppe, hoppe Reiter, fällt er auch - nie schreit er, will ja nach dem Schützengraben, mit viel kleinen Liebesgaben.“

Auch heute noch werden Kinder eingesetzt, um Kriegshandlungen zu unterstützen, wie Ewers betont: „Das ist mitnichten weg.“ Auch deshalb hält er es für wichtig, die Bücher von damals zu kennen.

Die Kinderbücher lassen erahnen, wie der Erste Krieg auch die ganz junge Generation geprägt hat. Die Grausamkeit in den Büchern habe die Menschen an der Heimatfront mobilisiert, erklärte Ewers, die Bücher hätten als Durchhaltepropaganda gewirkt. „Tapfer sein, nicht weinen“, so beschreibt Historikerin Stambolis die Werte. Und Ihre Frankfurter Fachkollegin Silke Fehlemann ergänzt: „Ein sehr großer Prozentsatz der Führungsriege der Hitlerjugend waren Personen, die im Ersten Weltkrieg kleine Kinder waren.“

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