Porträt von Anshu Jain Aufstieg eines Geldmachers

Anshu Jain beerbt Joseph Ackermann an der Spitze der Deutschen Bank - aber wer ist der Mann wirklich? Ein Besuch bei seinen Wirkungsstätten in London und Neu Delhi. Von Helmut Hauschild und Michael Maisch

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Golfen verbindet: Anshu Jain (zweiter von rechts) gemeinsam mit Boris Becker (links), dem Unternehmer Klaus Heinrich und Profigolfer Tiger Woods (rechts) Quelle: handelsblatt.com

Hier in diesem Zweifamilienhaus in diesem Wohnviertel der indischen Metropole Neu Delhi lächelt einer der wichtigsten Männer der europäischen Finanzindustrie von der Wand. Ein Hochzeitsfoto, es zeigt Anshu Jain; den Mann, der Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann 2012 beerben wird. Auf dem Bild trägt der Investmentbanker eine festlich verzierte, knielange Kurta, auf dem Kopf einen weißen Turban. Steif steht er da, als hätte ihn jemand in eine unpassende Verkleidung gezwängt. Neben ihm lächelnd seine Frau Geetika im Sari. Das Bild des jungen Glücks hängt im Wohnzimmer von Jains Eltern in Neu-Delhis gehobenem Stadtteil Panchsheel Park.

Es gewährt einen seltenen Blick in die Vergangenheit des Mannes, der künftig Deutschlands größtes Geldhaus führen wird.*

Jain steht unter Beobachtung. Die Deutschen wachen mit Argusaugen darüber, wer die Deutsche Bank führt. Ist Deutschland reif für einen Inder, noch zudem ein Investmentbanker, an der Spitze seiner mächtigsten Bank? Für einen, der in der fremden Welt Neu-Delhis aufgewachsen ist und in der religiösen Tradition der indischen Religionsgruppe des Jainismus erzogen wurde? Der nur wenig deutsch spricht, dessen Lieblingssport Cricket ist und der die brave Frankfurter Bank in einen "riesigen Hedge Fonds" verwandelt hat, wie der britische „Economist“ einst gehässig schrieb?

Anshu Jain weiß, dass diese Fragen seine weitere Karriere beeinflussen werden. Deshalb ist er vorsichtig. Er will keine Angriffsfläche bieten, keine Fehler machen wie Ackermann, der Schweizer, den die Deutschen zum Buhmann gestempelt haben. Untypisch für die nationalstolzen Inder schirmt Jain deswegen seine Vergangenheit, sein Privatleben, ab. Die Kindheit und Jugend, die viel erzählen könnten über den Menschen Anshu Jain? Jain versucht, sie so gut wie möglich zu verbergen.

Seine Frau und seine Karriere, das sind seine Antriebe

Nur vorsichtig kristallisiert sich ein Bild über einen der besten europäischen Händler heraus. Es zeigt die zwei Gesichter eines Mannes: Hier der Jain, den seine indische Herkunft, die Religion seines Elternhauses geprägt haben; dort der kalte, machtbewusste Meister der kapitalistischen Märkte.

Die Suche nach der Antwort auf die Frage, wie ein Junge aus den bürgerlichen Verhältnissen Neu Delhis an die Spitze der westlichen Bankenbranche stürmen konnte, beginnt in seinem Elternhaus. Dort sitzt eine ältere, elegante Dame, die Sonnenbrille locker ins Haar gelegt, auf einem beigen Sofa und schwärmt über ihren Sohn. Shashi Jain ist Anshus Mutter. Sie erzählt von Geetika, Anshus Frau. Derentwegen verließ er einst seine indische Heimat, als ihre Eltern in die USA zogen.

Geetika und die Karriere, erzählte die Mutter bei unserem Besuch vor einem Jahr, das seien die großen Antriebe im Leben des Anshu Jain.

Die Hochzeit wird traditionell indisch gefeiert. Doch eigentlich ist sie ein Bruch mit der Tradition. Anshu, der Jain, heiratet eine Frau aus der Glaubensgemeinschaft der Sikh. In Indien sind Ehen über die Religionsgrenzen hinweg bis heute die Ausnahme. Damals, vor bald 25 Jahren, waren sie fast schon revolutionär. Aber den jungen, selbstbewussten Collegeabsolventen, der gerade seinen ersten Job bei dem Börsenmakler Kidder Peabody bekommen hat, kümmert das nicht. "Er war in seinen Einstellungen sehr modern", erinnert sich ein früherer Studienfreund aus Delhi. "Und er wusste sich durchzusetzen."

Es scheint, als liege Anshus eiserner Wille zum Erfolg in den Genen. Vater Ambuj Kumar Jain, ein großer, rüstiger Mann in den Siebzigern mit weißem Haar, hat ihn vorgelebt. Von ihm schaut sich Anshu ab, wie man sich auch in kritischen Situationen durchsetzt.

Als junger Lehrer entflieht der Vater der provinziellen Enge seiner Heimatstadt Meerut nordöstlich von Delhi und absolviert die Aufnahmeprüfung in den Staatsdienst. Er besteht sie als Jahrgangsbester. Im Indian Audit and Accounts Service, dem Gegenstück zum deutschen Rechnungshof, arbeitet er sich die Hierarchie hinauf.

Sein Vater will die bestmögliche Ausbildung

Anfangs wird der Vater alle zwei Jahre in eine andere Stadt versetzt. Anshu Jain wird in Jaipur im nordindischen Bundesstaat Rajasthan geboren, ebenso sein zwei Jahre jüngerer Bruder, der heute in Los Angeles lebt.

Als Anshu sechs ist zieht die Familie nach Neu-Delhi. Sie wohnt in Nizamuddin West, einem Mittelschichtviertel, in dem überwiegend Muslime leben. Der Rummel um das Grab eines berühmten Sufiheiligen prägt die Gegend. Die mittelalterlich anmutenden engen Marktstraßen mit ihren ärmlichen Garküchen und bunten Devotionalienständen sind nur ein paar Schritte vom Haus der Jains entfernt.

Den Gegenpol bildet die Schule. Der Vater schickt Anshu auf die Public School Mathura Road, eine der besten Privatschulen der Stadt und Kaderschmiede für Delhis wohlhabende Elite.

Der großzügige Campus ist eine heckenscherengetrimmte Oase der Ordnung im Chaos der Millionenmetropole. Ein guter Abschluss löst die Eintrittskarte zu Indiens Topuniversitäten mit direkter Karriereleiter in die Zentren der Macht. Man kennt sich. Den Grundstein für das Sportschwimmbad legte die einstige Ministerpräsidentin Indira Gandhi.

Vater Ambuj will die bestmögliche Ausbildung für seine Söhne. Bei den Jainas hat Bildung einen sehr hohen Stellenwert. Viele Anhänger dieser mehr als zweitausend Jahre alten Religion mit geschätzt 4,4 Millionen Gläubigen haben es deshalb zu Spitzenpositionen in Unternehmen und Banken gebracht.

Auch Anshu glänzt mit exzellenten Noten. Früh verinnerlicht der Junge eines der wichtigsten religiösen Gebote der Jainas: Man solle, predigt der Glaube, sich fortwährend selbst verbessern. Überhaupt sind die Gläubigen rigoros mit sich selbst. Jainas sind eigentlich strikte Vegetarier. Das Grundprinzip der Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen gebietet ihnen, sich so zu ernähren, dass weder Tier noch Pflanze dafür sterben müssen. Selbst Wurzelgemüse wie Zwiebeln oder Karotten sind deshalb tabu. Jains Eltern befolgen dieses Gebot, Anshu wächst mit ihm auf. Doch strenggläubig ist die Familie nicht und auch am Gemeindeleben nimmt sie nicht teil. In den Tempel gehe er eigentlich nur, wenn die beiden Enkel zu Besuch in Delhi sind, erzählt Großvater Ambuj. "Sie sollen wissen, was ihre religiösen Wurzeln sind."

Begnadeter Redner, brillanter Analytiker

Anshu Jain selbst praktiziert die Religion kaum. Dennoch prägen deren Werte - Askese, Selbstdisziplin, Strenge - den Banker.

Das erklärt die Härte, mit der Jain seinen Leuten im Investmentbanking der Deutschen Bank Höchstleistungen abverlangt. Und die eiserne Selbstdisziplin. Damit Jain an der University of Massachusetts ein Master-Studium beginnen kann, muss der Vater ein Darlehen aufnehmen. Später bekommt er ein Stipendium. Kaum verdient Jain sein erstes Geld, zahlt er den Kredit zurück.

Jain ist ein begnadeter Redner. Seine Präsentationen, auf die er sich akribisch vorbereitet, sind berühmt. "Er ist der beste Redner, den ich je erlebt habe", sagt ein ehemaliger enger Mitarbeiter.

Früh feilt er an dieser Fähigkeit. Er ist zwölf, als sein Vater für zwei Jahre nach Afghanistan entsandt wird, Anshus einzige Auslandserfahrung vor den USA. An der indischen Schule in Kabul nimmt er an einer freiwilligen Rhetorikgruppe teil. Es ist die Zeit vor dem Einmarsch der Sowjets, das kulturelle Leben in Kabul blüht, die Familie fühlt sich wohl. "Wir hatten ein schönes Haus, es war einer der besten Posten", erinnert sich Ambuj Jain.

Später, als junger Ökonomiestudent am renommierten Shri Ram College der Universität Delhi, bastelt Anshu Jain an seinen brillanten rhetorischen Fähigkeiten. "Just a Minute" nennen sie dort den Wettbewerb, bei dem die Studenten zu einem spontan vorgegebenen Thema unvorbereitet eine einminütige Rede halten müssen. Jain brennt vor Ehrgeiz, wie überall will er der Beste sein. "Schon damals konnte man sehen, dass er es weit bringen wird", sagt Studienkollege Ashwajit Singh. Bewunderung schwingt mit, wenn er auf Jains bestechende Allgemeinbildung kommt. "Er konnte einfach über jedes Thema gut reden", sagt Singh. "Wirklich brillant."

"Natürlich wurde Jain durch seine Jugend in Indien und durch seine Religion geprägt, aber der Mann brennt keine Räucherstäbchen in seinem Büro ab. Jain ist ein knallharter Investmentbanker lupenreiner angelsächsischer Prägung", erzählt ein ehemaliger Kollege. Die Jahre in den USA, erst als Student, dann der Einstieg in die Finanzbranche, hätten ihn mindestens genauso geprägt wie seine Kindheit. Von seinem Büro am Rande des Handelssaals im dritten Stock des Deutsche-Bank-Gebäudes in der Londoner City aus regiert Jain die Armee von Händlern und Bankern, die das Institut aus der Frankfurter Finanzprovinz in die Spitzengruppe der internationalen Hochfinanz gebracht haben. "Anshu kann sehr charmant und eloquent sein, aber er ist auch knallhart, wenn es darum geht, seine Ziele durchzusetzen", erzählt einer der Händler der Deutschen Bank.

Vom Ausnahmetalent zum Superstar

Seit Jahren scheffelt Jains Geschäftsbereich die Hälfte des Gewinns der Deutschen Bank, ausgenommen das Krisenjahr 2008. Jain weiß um seine Ausnahmestellung - das macht ihn selbstbewusst. Als der Vertrag seines Chefs Josef Ackermann das erste Mal ausläuft, gibt sich Jain im kleinen Kreis entschlossen. So erzählt man es sich in Londoner Bankerkreis. Noch einmal, soll Jain seinen Vertrauten gesagt haben, lasse er sich nicht einen Deutschen vor die Nase setzen. Werde er nicht Ackermann-Nachfolger, orientiere er sich eben beruflich neu.

Die Bank weiß um ihren Star und seine Befindlichkeiten - und entlohnt ihn fürstlich. Doch Jain verzichtet auf den standesgemäßen Protz.

Stattdessen lebt er zurückgezogen mit seiner Frau und zwei Kindern im Londoner Westen, zwischen Holland Park und Kensington Gardens, einer ausgesprochen großbürgerlichen Gegend mit stattlichen Häusern und viel Tradition. Agatha Christie, die Krimiautorin, hat hier einmal gelebt.

Während Bankerkollegen am Jahresende mit ihren Millionenboni die Partyszene zum Beben bringen, ist Jain in den Londoner Society-Zirkeln eher ein Mitläufer, ein Underperformer würden die Analysten seiner Bank so einen Kandidaten wohl nennen. Lieber geht der begeisterte Tierfotograf mit seiner Frau und den beiden Kindern auf Safari nach Afrika. Spartanisch eingerichtete Lodges ohne Strom und Internet sind das Kontrastprogramm zur nervösen Welt des Derivatehandels.

Ex-Kollegen beschrieben ihn als hochintelligenten Analytiker, genialen Finanzingenieur und instinktsicheren Händler. Als Alphatier galt er lange Zeit allerdings nicht. Nur wenige trauten ihm den Willen zu, sich ganz bis an die Spitze durchzukämpfen. Das hat sich geändert. 2002 zog Jain in das Führungsgremium der Bank ein, das "Group Executive Committee", seit 2009 sitzt er auch im Vorstand. Jain knüpft eifrig an seinem Netzwerk und pflegt vor allem auch Kontakte nach Frankfurt und Berlin.

Jain ist kein Kumpeltyp. Darin unterscheidet er sich von seinem Mentor und Förderer Edson Mitchell, dem er einst vom US-Wertpapierhaus Merrill Lynch zur Deutsche Bank folgte. Während Mitchell gerne schulterklopfend durch die Reihen der Banker lief, bleibt Jain distanziert. Wenn etwas schiefläuft, kann er sehr unangenehm werden. Aber wer gute Leistungen bringt, der wird auch belohnt. "Gib den Menschen gerechten Lohn für die Frucht ihrer Arbeit", lautet eines der Prinzipien des Jainismus. Für Jain ist es zur Führungsmaxime geworden.

*Dieser Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung eines Artikels, der vor gut einem Jahr im Handelsblatt erschienen ist.

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