Im Detail Das Doppelgesicht der russischen Wirtschaft

Die Wirtschaft steht so gut da wie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr. Im vergangenen Jahr übertraf das Wachstum die Erwartungen der Ökonomen deutlich - vor allem dank des hohen Ölpreises, der zum Jahresende die 100-Dollar-Marke für ein Barrel erklommen hatte. Die russische Wirtschaft im Überblick.

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Öl - und der kleine Rest

Für Wachstum in Russland sorgen nicht mehr nur die Rohstoffe; in der vergangenen Dekade hat die Wirtschaft auch einen strukturellen Wandel erlebt: So hat sich unter anderem ein Dienstleistungssektor herausgebildet, der eine wesentliche Stütze der Konjunktur geworden ist.

Moskau - ein Konsumtempel

Das höchste Konsumniveau hält weiterhin die Megapolis Moskau, doch die höchsten Zuwachsraten erzielen inzwischen die klassischen Industrieregionen im Ural und an der Wolga.

Automarkt bricht Rekorde

Ein Indikator für die russische Konsumfreude ist die Prognose, dass Russland spätestens im Jahr 2010 Deutschland als größten Automarkt Europas ablösen wird. Ein Zuwachs von 60 Prozent bei den Neuzulassungen in den nächsten drei Jahren könnte die Zahl neuer Fahrzeuge auf 3,7 Millionen ansteigen lassen, schätzt das Essener Marktforschungsinstitut Polk.

Starker Rubel, hohe Importe

Die Bürger haben zudem von der stetigen Aufwertung des Rubels profitiert - der Höhenflug unterstützt den Import ausländischer Markenprodukte. Auswahl und Qualität der Waren in den Geschäften haben merklich zugenommen. Die Importe steigen sprunghaft an: Die Einfuhr von Waren aus Deutschland verzeichnete im vergangenen Jahr ein Plus von 20 Prozent - und wuchs damit rund doppelt so stark wie der deutsche China-Export.

Lokale Produkte dürftig

Auf der Kehrseite steht damit aber, dass die Konkurrenzfähigkeit inländischer Produkte leidet. Bisher zeichnet sich auch keine Diversifizierung der Exportstruktur ab. Selbst das russische Finanzministerium rechnet daher damit, dass der Leistungsbilanzüberschuss in den kommenden Jahren sinken, wenn nicht gar verschwinden wird.

Wirtschaftsfreiheit - ein Defizit

Trotz ihrer dynamischen Entwicklung weist die russische Wirtschaft eine ganze Reihe struktureller Probleme auf. Im "Index of Economic Freedom" der Heritage Foundation kommt Russland nur auf Rang 134 von 163 untersuchten Nationen, knapp vor Vietnam und Laos. Im einzelnen erreicht Russland folgende Werte (maximal 100): Unternehmensfreiheit 50

Steuersystem 79

Freier Handel 44

Regierungsapparat 69

Geldwesen 64

Investitionen 30

Finanzsystem 40

Eigentumsrechte 30

Schutz vor Korruption 25

Arbeitsmarktflexibilität 64

Insgesamt kommt Russland damit auf knapp 50 von maximal 100 Punkten und hat damit eine halb-freie Wirtschaft.

Mehr Investitionen

Russlands scheidender Präsident Wladimir Putin wie auch sein wahrscheinlicher Nachfolger Dmitrij Medwedjew mahnten daher zuletzt in ihren programmatischen Reden, mehr in Innovationen sowie "die Menschen" zu investieren. Zwar werden immer mal wieder die Mindestlöhne erhöht, doch ein echtes Konzept ist dahinter noch nicht erkennbar.

Wenig Innovationen

Ein Anzeichen für die geringe Innovationsfähigkeit des Landes ist die Zahl internationaler Patentanträge: Finnland hat im Jahr 2006 doppelt so viele eingereicht wie Russland. Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bruttosozialprodukt liegt bei akzeptablen 1,4 Prozent - doch dieses Geld kommt vor allem vom Staat und fließt in die Rüstung.

Überhitzung droht

Tatsächlich zeigt die russische Wirtschaft bereits Anzeichen von Überhitzung. Nach nunmehr fünf Jahren mit einem Wachstum von sechs bis sieben Prozent steigt die Inflation. Es gibt einen drückenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, was wiederum vor allem in den Großstädten die Löhne und Gehälter steil nach oben treibt.

Nicht konkurrenzfähig

Mehr als die Hälfte aller russischen Unternehmen sind auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig. Die Baukosten sind bereits explosionsartig gestiegen, so dass es inzwischen teurer ist, eine Autobahn in Russland zu bauen als in der EU.

Ab in den Staatskapitalismus

Beobachter wie Christopher Weafer, Chefstratege bei der zweitgrößten Privatbank des Landes, Uralsib, sieht trotz der guten Absichten in naher Zukunft wenig Spielraum für den Aufbau eine diversifizierten Wirtschaft: Die Staatskorporationen in den strategischen Industrien - allen voran im Rohstoffsektor - würden auch in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle spielen. Neben Öl und Gas verfügt Russland über so ziemlich jedes Edelmetall, über Diamanten, Holz und viele andere Rohstoffe. Die Investitionen in Hightechbereiche wie Nanotechnologie oder die Luftfahrt können dagegen nur langsam voranschreiten, einfach weil es dort immer noch an der industriellen Infrastruktur fehlt.

Von Gas und Öl abhängig

Auch mit Blick auf die Abhängigkeit von Öl und Gas sehen die Experten vorerst wenig Raum für Verbesserungen: Zwei Drittel des föderalen Haushalts basieren auf den Einnahmen aus dem Export. Finanzminister Alexej Kudrin hat nun zum ersten Mal den Ölpreis als Grundlage für den Haushalt höher angesetzt, als er im Schnitt des vergangenen Jahres tatsächlich war. "Wenn nun auch noch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer sinken, die Medwedjew senken will, dann wird der Haushalt noch stärker vom Ölpreis abhängig", warnt der Uralsib-Stratege Weafer.

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