Volkswagen-Produktion in Mexiko Der Käfer, der Beetle, eine düstere Zukunft

Der Volkswagen ist für Mexikos Menschen so etwas wie ihr eigenes Kind; rund eine Dreiviertelmillion der so genannten Vochos ist auf Mexikos Straßen noch unterwegs. Im VW-Werk in Puebla feiert Volkswagen die jahrzehntelange erfolgreiche Produktion von altem und neuem Käfer. Doch das neue Werk des Konzerns wird wohl woanders stehen.

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Der einmillionste Beetle aus dem VW-Werk in Puebla. Quelle: dpa

PUEBLA. Als Felipe Calderón ans Mikrofon tritt, erzählt er eine Geschichte, wie sie Millionen seiner Landsleute erzählen können. Mit Zuneigung spricht der sonst so nüchterne mexikanische Präsident von seinem ersten Auto, einem VW -Käfer, Baujahr 74, Farbe Grün, und der Freiheit und Unabhängigkeit, die er mit dem Auto verbindet. "Ich habe eine persönliche Beziehung zum Volkswagen", betont der 46-jährige Calderón und erntet damit bei VW -Vorstandschef Martin Winterkorn ein mildes Lächeln.

Für den deutschen Autobauer ist der Käfer allerdings längst Geschichte, selbst im Werk in Puebla, wo am 30. Juli 2003 der 21 529 464 und letzte "Vocho" weltweit vom Band lief. Mittlerweile hat Volkswagen in seiner Fabrik, 120 Kilometer östlich von Mexiko-Stadt, eine Million seiner Nachfolger gebaut. "Der New Beetle musste in große Fußstapfen treten", betont Konzern-Chef Winterkorn am Freitag in Puebla.

Volkswagen de Méxcio feiert zehn Jahre Beetle-Produktion und sieben Millionen gefertigte Volkswagen -Autos, allerlei Lobhudeleien fallen an diesem Tag. Nur eines sagt der so aufgeräumt agierende Winterkorn den Mexikanern nicht. Dass das neue VW -Werk wohl nicht in ihrem Land gebaut wird.

Dabei ist Volkswagen für die Menschen in Puebla so etwas wie ihr eigenes Kind. Der erste Käfer lief hier 1967 vom Band. Bis heute gehört das Brummen seines Boxermotors zu den vertrautesten Geräuschen auf Mexikos Straßen. Gut eine Dreiviertelmillion "Vocho", wie der Käfer in Anlehnung an den Namen Volkswagen genannt wird, ist in Mexiko noch unterwegs.

Der Käfer hat den Wolfsburger Autokonzern zum größten und wichtigsten deutschen Unternehmen in Mexiko gemacht, der New Beetle hat VW in das Zeitalter der Globalisierung gefahren. "Er war das erste Auto, das überhaupt am Automobilstandort Mexiko weltexklusiv gefertigt wurde", sagt Winterkorn. Mittlerweile hat nicht nur die Konkurrenz aus den USA und Japan nachgezogen, sondern vor allem Volkswagen selbst fertigt in Puebla Autos für die ganze Welt. Acht von zehn Fahrzeugen, die in dem Werk von den Bändern rollen, werden in mehr als hundert Länder verfrachtet. Neben dem Beetle sind das der Bora/Jetta 5, der Jetta 4 und seit einem Jahr auch der Golf Variant.

Im Anschluss an das Spitzenjahr 2000 mit 425 000 Einheiten sank zwar die Produktion im einzigen VW -Werk in Nordamerika wegen der Absatzschwäche in den USA teilweise um 45 Prozent. Inzwischen ist Puebla aber wieder auf Rekordkurs. Mit seinen 16 000 Mitarbeitern gehört es zu den Top fünf des Konzerns, und es legt seinem Chef Winterkorn am Freitag die beste Bilanz seit Jahren vor. 411 000 Fahrzeuge wurden 2007 in Mexiko gefertigt. Dieses Jahr strebt Volkswagen de México 450 000 Einheiten an. Mehr Autos liefen in Puebla noch nie vom Band.

Die guten Zahlen sind auch als Bewerbungsschreiben zu verstehen. Schließlich hat die Vorstandsetage in Wolfsburg ein neues Werk zu vergeben. Volkswagen wolle in den USA "Vollgas" geben und verlorenen Boden wieder gutmachen, sagt Winterkorn in Puebla nochmals.

Aber es hat den Anschein, als spiele Volkswagen de México dabei keine Rolle mehr. Winterkorn ringt sich nur das Versprechen ab, bis 2010 weitere rund 675 Millionen Euro in die Produktion des Bora/Jetta 5 in Puebla zu investieren. Mehr sagt er nicht. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, als neige die VW -Spitze dazu, das neue Werk in den Vereinigten Staaten zu bauen. "Wenn man in den USA Wachstum vorhat, so wie wir, dann muss man sich auch mal zu dem Land als Automobilhersteller bekennen und Producer sein", insistiert der VW -Chef vielsagend.

Doch ob ein neues Werk nach Mexiko kommt oder nicht, die Arbeiter von Volkswagen scheinen mit den 675 Millionen Euro an Neuinvestitionen zufrieden. "Das sind gute Nachrichten und zeigt, dass wir gut arbeiten", sagt Jorge Guevara, 41. "Dass die neue Fabrik in die USA geht, denken wir uns hier eh schon", erzählt der Arbeiter in der grauen VW -Jacke. Guevara ist vor genau zehn Jahren zusammen mit dem New Beetle zu VW nach Puebla gekommen und arbeitet seither in der Qualitätskontrolle.

Noch viel länger bei Volkswagen tätig sind die acht Arbeiter und Arbeiterinnen, die man lange suchen muss in den 94 Hallen des Werksgeländes und die man schließlich in einer schlecht erleuchteten Ecke in Halle 25 findet, dort, wo eigentlich der Karosseriebau untergebracht ist. Hier schweißen und kleben keine Roboter im Sekundentakt Teile zusammen; hier stanzen keine hochmodernen Presswerke Jetta- oder Beetle-Karosserien aus, und hier werden auch keine fast fertigen Fahrzeuge in Aufzügen abgelassen und hochgezogen. In der schlecht beleuchteten Halle 25 ist noch Handarbeit gefragt.

Blechern dringt Musik aus einem alten Radio. Auf einem Rollwagen stapeln sich Dutzende Zylinderköpfe und warten Hunderte von Nockenwellen in einer weißen Glasvitrine auf ihre Verwendung. Am Schraubstock steht Leticia Cosme, 50, werkelt an einem alten Käfer-Boxermotor und wirkt wie eine Übriggebliebene: "Wir vermissen den Vochito", sagt sie eindringlich. Mit 16 Jahren hat sie bei Volkswagen angeheuert und in all den Jahren nichts anderes gemacht, als Käfermotoren zusammenzusetzen. Waren es früher einmal Zehntausende im Jahr, schrauben Leticia und ihre Kollegen heute gerade noch 40 Boxermotoren zusammen. Noch einige Jahre muss Volkswagen Ersatzteile wie Motoren und Kotflügel für den alten Vocho vorrätig halten, so will es das Gesetz.

Anders als bei ihrem Präsidenten Calderón hat es bei Leticia Cosme aber nie für einen eigenen Käfer gereicht. "Ich hätte so gerne einen Vocho gehabt, aber als Älteste von neun Geschwistern musste ich mit meinem Lohn meine Familie unterstützen", sagt sie. Dennoch, der Käfer ist ihre Leidenschaft, auch wenn seine Zukunft in Mexiko unsicherer geworden ist.

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