Arvato-Chef Rolf Buch im Interview "Ein riesiger Markt vor der Haustür"

Die Bertelsmann-Tochter Arvato will das Dienstleistungsgeschäft mit Städten und Gemeinden massiv ausbauen. "Das ist ein Markt von mehr als 20 Milliarde Euro, also so viel wie der derzeitige Umsatz von Bertelsmann", sagte der neue Arvato-Chef Rolf Buch dem Handelsblatt. Arvato, einst die reine Drucksparte, startete vor wenigen Tagen die erste Zusammenarbeit mit einer Kommune.

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Der neue Arvato-Chef Rolf Buch will das Geschäft mit Kommunen deutlich ausbauen. Quelle: dpa

Handelsblatt: Herr Buch, Sie sind seit wenigen Monaten der Bertelsmann-Tochter Arvato. Auf der Mediendienstleistungssparte gilt als Wachstumstreiber. Woher soll denn das Wachstum kommen?

Rolf Buch: Arvato war in der Vergangenheit ein großer Wachstumstreiber. Vor allem sind wir weitgehend aus eigener Kraft gewachsen. Aber lassen Sie uns nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft sprechen! Von mir darf niemand eine radikale Kursänderung erwarten. Denn unser Geschäft läuft gut.

Aber das reicht nicht aus, damit Bertelsmann wieder brillieren kann. Wo wollen sie denn konkret wachsen?

Da kann ich ihnen eine Reihe von Beispielen nennen. Wir haben Anfang März ein neues Multipartnerprogramm namens Deutschlandcard gestartet und wollen von der Auslagerung kommunaler Dienstleistungen profitieren. Auch im Bereich der Dienstleistungen für die Hightech-Industrie können wir noch prächtig wachsen. Derzeit haben wir gerade 23 Kunden von den mehr als hundert größten in Europa. Da ist noch viel Luft.

Ihr Vorgänger, der jetzige Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski, legte viel Wert auf die Expansion in Europa, aber auch in Nordamerika, Afrika und Asien. Werden Sie bald die Arvato-Fahne noch in weiteren Ländern hissen?

Nein, darum geht es mir nicht. In den vergangenen Jahren sind wir in zahlreiche kleine Länder eingestiegen. Das heißt, wir haben uns viele kleine Märkte erschlossen. Das hat Kräfte beansprucht.

Was ist dann ihre neue Strategie?

Es macht keinen Sinn, dass Arvato sämtliche kleine Länder der Welt erschließt. Es geht aus meiner Sicht in Zukunft darum, dass wir unsere Präsenz in allen wichtigen Märkten der Welt ausbauen. Dort wollen wir uns verstärken. Unser Fokus liegt auf den großen Märkten in Europa, Nordamerika und Asien.

An der Fassade der Arvato-Zentrale in Gütersloh hängt ein riesiges Transparent "Mit Ideen punkten". Haben Sie denn genügend neue Ideen, um für Bertelsmann zu punkten?

Die Ideen werden täglich in den Köpfen der mehr als 50 000 Arvato-Mitarbeiter geboren. Unsere Innovationen stammen oft aus Teams. Das ist unsere Stärke, bei der Entwicklung neuer Logistik-Geschäfte ebenso wie bei digitalen Dienstleistungen.

Wie innovativ ist denn Arvato konkret?

Wir machen knapp die Hälfte unserer Umsätze mit Dienstleistungen, die wir vor fünf Jahren noch nicht einmal hatten. Ständig neue Ideen zu entwickeln, ist Teil der Arvato-DNA.

Ist eine Idee auch, den Kunden wie Telekom oder Lufthansa noch mehr Dienstleistungen anzubieten?

Wir wollen unsere Wertschöpfungskette verlängern. Arvato hat zwei Sparten: Dienstleistungen und Produktion. Diese werden wir künftig noch enger miteinander verknüpfen.

Wird dadurch der Produktionsbereich wie Druck oder DVD- und CD-Pressewerke an Bedeutung verlieren?

Eines ist klar, wir werden die Produktionsbereiche in Wertschöpfungsketten umbauen.

Der Tiefdruck steckt in einer tiefen Krise. Das bekommt auch Ihr Tiefdruckkonzern Prinovis zu spüren. War es richtig, Prinovis zu gründen?

Daran habe ich keinen Zweifel. Doch auch bei Prinovis muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es künftig nicht darum geht, weißes Papier zu bedrucken, sondern Lösungen zu verkaufen.

Schmelzen die Gewinne von Prinovis angesichts der Branchenkrise zusammen?

Prinovis in Summe ist noch immer eine tiefschwarze Veranstaltung.

Die neue Deutschlandcard, die seit kurzem im Markt ist, spielt für Arvato eine Schlüsselrolle. Kommen Sie mit Ihrer Bonuskarte im Vergleich zum Wettbewerb nicht reichlich spät?

Ganz und gar nicht. Außerdem betrachte ich Payback oder Happy Digits nicht als Wettbewerb.

Warum denn nicht?

Nicht die Karten stehen im Wettbewerb, sondern die Kunden der einzelnen Programme. Real steht im Wettbewerb zu Tengelmann oder Edeka. Das ist ähnlich wie bei den Karten in der Luftfahrtindustrie. Dort gibt es auch ein Nebeneinander im Markt. Wir freuen uns, wenn es Payback gut geht. Das zeigt, dass Kundenbindung in Deutschland funktioniert und ist damit auch gut für uns.

Welche Umsatzerwartungen haben sie an die Deutschlandcard?

Ich nenne keine Zahlen. Wir betrachten die Deutschlandcard als Abrundung unserer wachsenden Dienstleistungspalette. Sie betreiben die Lufthansa-Card. Wie rentabel sind diese Geschäfte mit den Kundenkarten? Wenn wir dem Kunden nicht ein Produkt, sondern eine Lösung verkaufen, sind die Ergebnisse für beide Seiten besser.

Warum?

Umso komplexer, umso besser für uns. Wir entwickeln neue Geschäfte und können so dem Kunden sagen: Lass uns den zusätzlichen Gewinn teilen.

Großen Hoffnungen für die Zukunft ruhen auf dem Geschäft mit Dienstleistungen für Städte und Gemeinden. Sie haben in Großbritannien bereits erste Erfahrungen mit dem Outsourcing gemacht. In Deutschland ist die Lage verzwickter. Nun ist es in Würzburg losgegangen?

Seit wenigen Tagen unterstützen wir die Mitarbeiter der Stadt bei der Erbringung kommunaler Dienstleistungen in Würzburg. Der Vertrag läuft über zehn Jahre. In Deutschland ist das Thema Outsourcing natürlich schwierig. Hier gibt es keine Outsourcing-Kultur wie in Großbritannien.

Warum sind Sie denn dann so zuversichtlich?

Ich will Ihnen eine Zahl nennen. In Deutschland arbeiten 1,5 Millionen Menschen in der kommunalen Verwaltung. Jeder dieser Menschen verursacht Lohn- und Nebenkosten von etwa 70000 Euro pro Jahr. Das macht einen Markt von 105 Milliarden Euro. Nicht alle Dienstleistungen können ausgelagert werden, nach Expertenmeinung sind es aber ca. 20 Prozent. Das ist ein Markt von mehr als 20 Milliarden Euro, also so viel wie der derzeitige Umsatz von Bertelsmann.

Das klingt für sie traumhaft oder?

Ja, ein riesiges Geschäft liegt sozusagen vor unserer Haustür. Das ist ein großes Potenzial für Arvato.

Welche Aufgaben wollen Sie denn künftig für die Kommunen übernehmen?

Wenn Sie beispielsweise umziehen und einen neuen Pass wollen, Kindergeld beantragen und eine neue Steuerkarte brauchen, müssen Sie einen stundenlangen Spaziergang durch die Behörden machen. Und dann hat die Verwaltung auch noch für jede Abteilung ein eigenes IT-System. Das ist nicht bürgerfreundlich. Wir haben daher gemeinsam mit der Stadt Würzburg die Aufgaben zusammengelegt und die IT-Systeme vereinigt. Für den Bürger gibt es nur einen Ansprechpartner, der alles bearbeitet. Zudem kann er bereits vorher viele Dinge von zu Hause aus per Internet erledigen.

Bei ihren Outsourcing-Plänen für Städte und Gemeinde stoßen sie allerdings auch auf Widerstand. Die Gewerkschaften, allen voran Verdi, halten von der Idee wenig, dass ein Medienkonzern wie Bertelsmann, künftig die Strafzettel verschickt oder den Kindergeldantrag bearbeitet?

Wir sind davon überzeugt, dass das Outsourcing von kommunalen Dienstleistungen nicht nur eine Verbesserung der Services für die Bürger zur Folge hat, sondern auch für die kommunalen Mitarbeiter eine interessante Alternative darstellt. Aber natürlich bedarf es schon eines gewissen politischen Mutes eines Bürgermeisters, kommunale Aufgaben an Arvato auszulagern.

Wie wollen Sie die Kommunen zum Umdenken bringen?

Es gibt drei zentrale Argumente: Erstens, werden die Kommunen ihre Verwaltungen aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen anpassen müssen. Die alte Struktur kann also nicht überleben. Durch den demographischen Wandel sind zweitens opulente Verwaltungsstrukturen langfristig nicht finanzierbar. Drittens kann es sich Deutschland auf Dauer nicht leisten, viele intelligente Köpfe mit administrativen Aufgaben zu betrauen. Die Politik muss reagieren.

Das hört sich alles ziemlich langfristig an oder?

Sie haben Recht. Wir bringen daher viel Geduld auf, das Geschäft zu entwickeln.

Wie schnell können Sie sich die erste Milliarde mit dem Geschäft für Kommunen sichern?

Es wäre grob fahrlässig, sich auf einen konkreten Zeitpunkt einzulassen. Die Entscheidungsprozesse sind lang. Die Milliarde halte ich aber nicht für ausgeschlossen.

Sehen Sie in der Politik eine wachsende Bereitschaft, staatliche Aufgaben auszulagern?

Wir laufen nur noch selten gegen eine Betonwand. Die Bereitschaft outzusourcen wächst. Derzeit interessieren sich etwa 30 Städte für unsere Dienstleistungen. Das sind mehr Kommunen, wie wir überhaupt bewältigen könnten.

In Großbritannien haben Sie bereits vor zwei Jahren kommunalen Arbeiten übernommen. Wie läuft es im britischen Landkreis East Riding?

East Riding ist ein großer Erfolg, inhaltlich und finanziell. Der Vertrag mit East Riding umfasst schließlich ein Volumen von 200 Millionen Euro. Wir gehen davon aus, in diesem Jahr noch einen weiteren Auftrag in Großbritannien zu erhalten. Doch mehr kann ich nicht verraten. Das ist ein sensibles Thema.

Werden Sie weitere Länder in Angriff nehmen?

Auch Spanien könnte ein interessanter Markt für die Auslagerung von kommunalen Diensten sein. Wir beschäftigen uns bereits damit. In Frankreich ist es angesichts des politischen Widerstands schwierig. Frankreich werden wir später angehen.

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