Top-Ökonomen Erdbeben verschärft Japans Schuldenkrise

Das Erdbeben in Japan wird nach Einschätzung von Ökonomen kaum längerfristige Folgen für die Weltwirtschaft haben. Das Land selbst trifft es dagegen umso heftiger und könnte die Schuldenprobleme erheblich verschärfen.

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Erdbeben in Japan: Bedrohung für das Land, aber nicht für die Weltwirtschaft. Quelle: handelsblatt.com

Ein gewisses Risiko für die Finanzmärkte besteht aber nach Ansicht des Chefökonoms der Allianz, Michel Heise, dennoch. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Finanzmärkte derzeit eine Menge zu verarbeiten hätten: die ungelöste Schuldenkrise in Europa, die Umwälzungen in Nordafrika und in Verbindung damit der Schub beim Ölpreis. "Jedes zusätzliche negative Ereignis - wie das schwere Erdbeben - verstärkt die Unsicherheit an den Märkten und erhöht so das Risiko scharfer Marktreaktionen", sagte Heise Handelsblatt Online.

Den Aufschwung in der Weltwirtschaft sieht Heise aber nicht "nicht gefährdet". Die schlimmen Folgen des Bebens seien die großen Verluste an Menschenleben und an Vermögen. Verluste an Produktion und damit an Wirtschaftswachstum seien in den betroffenen Regionen "nur kürzerfristig" zu erwarten. "Das größte Risiko für die Weltwirtschaft ist nach wie vor der Preisschub bei Rohstoffen", betonte Heise.

Der frühere Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und jetzige Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit, Klaus Zimmermann, warnte davor, die Risken für die Weltwirtschaft zu dramatisieren. Gleichwohl gab er im Gespräch mit Handelsblatt Online zu bedenken, dass die Erdbeben-Katastrophe eine der größten und wichtigsten Volkswirtschaften der Welt erschüttert habe. "Dies bedeutet einen empfindlichen Rückschlag für die japanischen Bemühungen, die große Weltwirtschaftskrise zu überwinden", sagte Zimmermann. "Die Sanierung seiner Staatsschulden kann das Land jetzt auf lange Zeit abschreiben."

Aber Japan sei der am stärksten verschuldete Staat der Welt und hat dennoch durch Ankauf europäischer Staatsanleihen in Milliardenhöhe kürzlich mitgeholfen, den Euro bei der Bekämpfung der Schuldenkrise zu unterstützen. Japan habe dies machen können, weil es auf den zweitgrößten Devisenreserven der Welt sitzt. "Jetzt braucht Japan die Solidarität der Welt, die insgesamt wieder instabiler geworden ist", sagte Zimmermann.

Dessen ungeachtet kannten die Weltbörsen heute nur eine Richtung: nach unten. Das schwere Erdbeben in Japan löste Schockwellen an den Handelsplätzen aus. Nach den Unruhen in Nordafrika steigerte die Katastrophe in Asien die Verunsicherung der Anleger. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind in ihrer ganzen Breite noch unklar. Fest steht nur, dass die Schäden enorm sind.

Etliche Fabriken stehen still, Felder sind überflutet, die Energieversorgung ist teils zusammengebrochen. Auf Versicherer wie die Munich Re (die frühere Münchener Rück) könnten erhebliche Kosten zukommen.

Der europäische Leitindex EuroStoxx 50 stand gegen Mittag 1 Prozent im Minus, genauso wie das wichtigste deutsche Börsenbarometer Dax, das unter die psychologisch wichtige Marke von 7000 Punkten rutschte. Auch London und Paris verloren, genauso wie Hongkong, Schanghai und vorbörslich die großen US-Börsen NYSE und Nasdaq. Am stärksten traf es den Nikkei-Index in Tokio, der um fast zwei Prozent auf 10.254 Punkte abrutschte.

Die Naturkatastrophe könnte die Märkte weiter verunsichern, urteilte die Commerzbank in einer Studie. Die Anleger sind ohnehin nervös wegen der Unruhen im Nahen Osten und der hohen Staatsverschuldung im Euroraum und den Vereinigten Staaten. Erst jüngst hatte sich der weltgrößte Anleiheinvestor Pimco aus US-Staatspapieren verabschiedet. Hedgefonds-Titan Carl hatte angekündigt, den Anlegern ihr Geld auszuzahlen und seine Entscheidung auch mit der Sorge um neue wirtschaftliche Turbulenzen begründet.

Und nun das Erdbeben in Japan. Fernsehbilder von einer explodierenden Erdölraffinerie außerhalb Tokios flimmerten über die Fernsehschirme; in einem Turbinengebäude eines Atomkraftwerks brach ein Feuer aus, das nach Behördenangaben aber gelöscht werden konnte ohne dass Radioaktivität ausgetreten sei; fünf Reaktoren in der am schwersten betroffenen Region im Nordosten der Hauptinsel Honshu wurden automatisch heruntergefahren.

Der Elektronikkonzern Sony schloss nach Angaben des Finanzdienstleisters Bloomberg vorübergehend sechs Werke, der weltgrößte Autohersteller Toyota machte drei Fabriken dicht und auch die Wettbewerber Honda und Nissan hielten die Bänder an. In einem Honda-Entwicklungszentrum wurde nach Angaben von Bloomberg eine Mitarbeiterin durch eine einstürzende Wand erschlagen und 30 Kollegen verletzt. Der Hauptflughafen in Tokio wurde zwischenzeitlich geschlossen, genauso wie Häfen in Erwartung einer Tsunami-Welle.

Öl verbilligte sich, weil in Japan die Fabriken stillstehen. Der Ölbedarf dürfte durch das Erdbeben zumindest vorübergehend niedriger ausfallen, erwartet die Commerzbank. Das Land ist nach China und den USA der weltweit drittgrößte Verbraucher von Rohstoffen. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Auslieferung im April kostete im Tagesverlaufl 112,62 US-Dollar und damit 2,81 Dollar weniger als am Vortag. Zuletzt hatten die Unruhen im Nahen Osten die Preise kräftig getrieben.

Die Bank of Japan (BoJ) teilte mit, sie werde alles tun, um die Stabilität der Finanzmärkte zu sichern und Liquidität bereitzustellen. Es sei eine Arbeitsgruppe zur Beobachtung der Folgen auf die Banken gebildet worden. Der Yen schwächelte dann auch nur kurz und fing sich schnell wieder. Auch Dollar und Euro blieben stabil. "Der nur kurzzeitige Rückgang des japanischen Yen zeigt, dass die Märkte die wirtschaftlichen Folgen nicht so skeptisch beurteilen", sagte Wolfgang Leim, Japan-Experte der Commerzbank, der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX.

Die größte Unsicherheit herrscht derzeit bei Rückversicherern wie Munich Re und Hannover Rück, die Nummer eins und drei der Branche. Gerade verdauen sie noch die Auswirkungen des Erdbebens in Neuseeland und der Überflutungen in Australien, da richtete der Erdstoß in Japan mit der Stärke 8,9 Japan neuerliche Milliardenschäden an. Die deutschen Rückversicherer haben etliche Kunden in der Region, soviel konnten Unternehmenssprecher am Freitag bestätigen. Konkretere Angaben zu Schäden seien aber noch nicht möglich.

Die Aktien der Versicherer litten dann auch am stärksten unter dem Beben. Papiere von Munich Re und Hannover Rück verloren bis zum Nachmittag fast fünf Prozent an Wert und auch die Allianz büßte im Tagesverlauf zwei Prozent ein. Weitere deutsche Unternehmen waren nach ersten Erkenntnissen nur in geringem Umfang von dem Beben betroffen.

Der Chemiekonzern BASF etwa berichtete von kleineren Schäden an seinen Standorten. Es sei aber kein Mitarbeiter verletzt worden. Beim Daimler-Konzern mit rund 12.800 Beschäftigten und Standorten in Tokio und Kawasaki sind nach Aussagen des Unternehmens nach ersten Erkenntnissen keine Mitarbeiter zu Schaden gekommen.

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