HB Autotest Chevrolet Camaro Cabrio Der neue Big Mac ist zum Glück ganz der alte

Downsizing und Hybrid zum Trotz: Ein US-V8, massig Hubraum und Power, das ist für viele Auto-Fans immer noch ein Traum. Ford baut so einen mit dem Mustang. Baut Chevrolet mit dem neuen Camaro die bessere Alternative?

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So eine Art „Big Mac“ unter den Power-Coupés: Für die einen ist es nur typisch amerikanisches Fast-Food, für andere eine wahre V8-Delikatesse. Der 453 PS starke Camaro mit dem 6,2-Liter-Triebwerk aus der Corvette polarisiert Betrachter, Fahrer und Passagiere. Gut so! Haben wir nicht schon zu viele austauschbare Autos? Quelle: Frank G. Heide

Düsseldorf Die stärksten Argumente für den Kauf eines Chevrolet Camaro sind seit zig Jahren bekannt, und haben Fans ur-amerikanischen V8-Vergnügens stets viel Freude bereitet: Bärenstarker, frei atmender Motor mit mehr als genug Hubraum, grollender Gewitter-Sound, polarisierendes Macho-Design, und vor allem ein unschlagbar gutes Verhältnis von Pferdestärken und Hubraum zum Preis. Mehr Power und Kubikzentimeter pro Euro bekommt man sonst nirgends. Nur der ewige Konkurrent Ford Mustang kann da noch annähernd mithalten.

Im Jubiläumsjahr 2016 - der erste Camaro kam am 29. September 1966 in den US-Handel - schlägt General Motors (GM) mit dem komplett überarbeiteten Camaro ein ganz neues Kapitel auf. Wieder gibt es die äußerlich nun noch schärfer gezeichnete V8-Ikone als Coupé und als Cabrio, nun allerdings mit gleich drei verschiedenen Motorisierungen und jeweils mit Achtgang-Automatik oder als Sechsgang-Handschalter.

Die populärste Variante ist zugleich die größte, und die haben wir getestet: Der 6,2 Liter-V8 kommt aus der Corvette, im Camaro leistet er maximal 453 PS und wuchtet atemberaubende 617 Newtonmeter Drehmoment an die Kurbelwelle.

Wem das zu viel erscheint, der greift zum 3,9-Liter-V6 mit 335 PS, der schon viel Lob in ersten Tests bekam. Neu ist die dritte Motorisierung, die Traditionalisten aufstöhnen lässt: Ein Zweiliter-Vierzylinder-Turbo mit 275 PS. 39.900 Euro kostet diese Basisvariante. Natürlich bleibt es immer bei zwei Türen, vier Sitzplätzen und Heckantrieb.

Von außen hat sich nicht viel getan im neuen Modelljahr, der neue Camaro wirkt so martialisch und düster wie alte. Allerdings guckt er Passanten nun aus besonders finster dreinblickenden Scheinwerferaugen an, die unter einer ewig langen und weit heruntergezogenen Motorhaube hervorblitzen. Außerdem macht einen Spoiler sein kastiges Hinterteil noch etwas unübersichtlicher.

Seit 2012 steht er auf der Plattform des Cadillac ATS, die bei GM Alpha heißt. Eine Daumenlänge kürzer ist der Neue mit nun 4,78 Meter, auch beim Radstand, aber er hat deutlich an Steifigkeit gewonnen und 90 Kilo abgespeckt.

Stark modernisiert und aufgewertet hat Chevrolet den Innenraum, der nicht länger Kunststoff-Einöde mit Playmobil-Charme bietet, sondern dem 2014 überarbeiteten Ford Mustang auch in puncto Verarbeitung, Ausstattung und Assistenzsystemen das Leben etwas schwerer machen will.

Leider zeigen Armaturenbrett, Mittelkonsole und Türen immer noch viel schlichtes Plastik, aber der Lederanteil ist gestiegen, und vor allem mit dem neuen Multimedia-Infotainment, einem 8-Zoll-Touchscreen, der selbst bei offenem Dach blendfrei bleibt, einer wahren LED-Lightshow als Innenbeleuchtung sowie gut gemachten Metalleinlagen kommt schon gutes Sportwagen-Feeling auf.

Es wird gesteigert durch sportliche Ledersitze, die auch in schnellen Kurven ausgezeichneten Seitenhalt bieten, und den Fahrer tief hinters Lederlenkrad nah am Asphalt platzieren.

Loben muss man Chevrolet für den sensationell weiten Verstellbereich dieser Sitze, die das Popometer auch mehrstufig per Luftstrom kühlen, und die individuelle Positionierung des mit Knöpfen gespickten Lenkrads, das dem Offenfahrer auf Wunsch die klammen Finger wärmt.

Das riesige Stoffdach lässt sich angenehmerweise auch bei langsamer Fahrt öffnen und schließen. Es verschwindet bei Sonnenschein unter einer festen Klappe, und füllt dann den Großteil eines Kofferraums, der nicht der Rede wert ist.


Der Hammer-Sound ist DAS Kaufargument

Das erste „Wow“ bei der Außenbesichtigung gilt den 20-Zoll-Alufelgen, die die hohen Seitenwangen und die schmalen Fenster perfekt ergänzen. Am Heck protzt ein Spoiler weit oben über einer Vierfach-Auspuffanlage, die per Klappensteuerung und Kaltstart-Gasstoß in der Testwoche die gesamte Nachbarschaft gegen mich aufbringt, und mir böse Blicke von Kinderwagen schiebenden Müttern sichern.

Junge Männer reagieren auf diesen Brachialsound einer gewaltigen, blitzschnell heraufziehenden Gewitterfront naturgemäß völlig anders, ihre Köpfe fliegen herum, dass man die Halswirbel knacken hört. Bewundernde Blicke und hochgereckte Daumen folgen. Ja, der Camaro war noch nie ein Auto für Schüchterne, understatement kann und will er nicht. Diesen Wagen kauft, wer sich darstellen möchte.

Dem V8-Treiber bereitet besondere Freude, dass die neue Dual-Mode-Vierfachauspuffanlage nicht nur brüllen kann, sie beherrscht auch tiefgründiges Brabbeln und niedrigtouriges Grollen, sowie explosionsartiges Sprotzeln beim Runterschalten. Einfach herrlich, wie man mittels Gasfuß und Fahrmodus-Wahl aus verbranntem Superbenzin ganze Symphonien komponieren kann, die ein so unerwartet großes Publikum unterhalten.

OK, ein erschreckter Rentner hat dem Camaro an der Bushaltestelle unflätiges hinterhergerufen, als er dicht an ihm vorbeiröhrte, aber für mich bleibt der V8-Sound ein starkes Kaufargument. Selbst im Standgas signalisiert der Leerlauf akustisch Kampfbereitschaft und nur im Tourmodus wird es ein bisschen leiser, wenn die automatische Zylinderabschaltung bei genügend Schub ein wenig Sprit sparen hilft.

Überhaupt, der Verbrauch: Bei dieser Art Fluchtwagen (aus dem Alltag) sowieso Nebensache, und doch eine positive Überraschung. Chevrolet sagt für die Kombination Cabrio mit V8 und Automatik 17,5 Liter Super im Durchschnitt an. Die haben wir nie verblasen, es war im Alltag stets weniger. Auf Autobahn und Landstraße war es gar kein Problem mit 12 bis 13 Liter auszukommen.

Das gilt natürlich nicht, wenn man die Sprintqualitäten ausreizt, und den 4,78 Meter langen Zweitürer zum Ampelstart zwingt. Dann zeigt der Momentanverbrauch auch schon mal die Zahl 42, und das Corvette-Triebwerk wuchtet die rund 1700 Kilo Leergewicht in 4,6 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100, elektronisch abgeregelt wird das Cabrio bei 250 km/h.

Das etwas leichtere Coupé schafft den Sprint zwei Zehntel schneller und rennt sogar 290. Beide wackeln oft ein bisschen kokett mit dem Hinterteil, denn wenn die Leistung über die Pneus herfällt, hat die Traktionskontrolle plötzlich viel zu tun, um die Reifenvernichtung zu begrenzen.

Gut im Griff hat der Fahrer das Ganze aber dank 4-Kolben-Bremsen von Brembo, einer elektronischen Stabilitätskontrolle mit Bremsunterstützung plus Traktionskontrolle und einem Sperrdifferential, das begrenzten Schlupf zulässt. Trotz schwerem V8 vorne geht auch die Gewichtsverteilung mit 54 (v) zu 46 (h) in Ordnung.

Allerdings werden wohl nur Verwegene in höchste Geschwindigkeitsbereiche vorstoßen. Normalsterbliche müssten die unerwartete Furcht überwinden, die eine ab Tempo 180 beunruhigend flatternde Motorhaube auslösen kann. Ist das so eine Art amerikanische Muscle-Car-Seuche? Beim Test des Ford Mustang mussten wir dem GT die gleiche Schwäche bescheinigen.

Einmal auf Tempo gebracht, sind Geradeauslauf, Verzögerung, Wankneigung und Spurwechselverhalten dank präziser ZF-Servolenkung und des modernem „magnetic-ride“-Fahrwerk aber absolut tadellos. Letzteres überprüft und korrigiert permanent automatisch die Dämpfereinstellung per Elektronik, es kann aber im Alltag ein grundsätzlich hölzernes Abrollen der riesigen Reifen und gelegentliches Durchreichen von Schlaglöchern nicht kompensieren. Dennoch: Viele Fahrmanöver im Alltag fühlen sich mehr nach „echtem Sportwagen“ an als nach „Muscle Car“.

Chevrolet hat der altbekannten V8-Ikone weitere neue Stärken antrainiert: So schaltet etwa die Achtgang-Automatik so perfekt, vor allem unter Volllast, dass man am besten die Finger von den Schaltwippen hinterm Lenkrad lässt. Nicht nur, weil sie sich wenig wertig nach dünnem Plastik anfühlen, sondern weil manuelle Schaltbefehle meist erst mit spürbarer Verzögerung umgesetzt werden.


Effizienzklasse: G. So what?

Zwischen 80.000 und 90.000 Camaro baut Chevrolet aktuell pro Jahr, zwischen Januar und August gingen davon genau 212 nach Deutschland. Ein exklusiver Auftritt ist also garantiert. Zumindest in dieser Beziehung fährt der ewige Rivale Ford Mustang also dem Camaro deutlich voran.

In Sachen Hubraum, Beschleunigung, und Beschleunigung zieht hingegen der Camaro dem Mustang knapp davon: 6,2- statt 5-Liter-V8, 453 statt 421 PS und 4,6 statt 4,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Beim Preis sind beide etwa gleichauf, das kommt ja auch immer auf die Anzahl der Kreuzchen auf der Optionsliste an.

Allzu viel Handlungsbedarf besteht da beim Camaro nicht, serienmäßig an Bord sind beim V8-Cabrio bereits unter anderem Ausparkhilfe hinten mit Querverkehrswarnung, kabellose Ladestation fürs Smartphone, beheizbares Lenkrad, Head-up-Farbdisplay, Memory-Funktion für Sitze, Lenkrad und Außenspiegel, sowie Tot-Winkel-Assistent und Spurwechselwarner. Die Dual-Mode-Auspuffanlage in Kombination mit dem „magnetic-ride“-Fahrwerk kostet 2.000 Euro extra.

Wer sich gerne in einem potenten V8-Sportler zeigt, der nicht gleich so viel kostet wie ein Reihenhaus, der kommt am Vergleich von Dodge Charger und Challenger, Ford Mustang und eben Chevrolet Camaro nicht vorbei.

Wie ernst die Marken-Kontrahenten auch nach Jahrzehnten den - nicht mehr nur inneramerikanischen - Kampf ums beste Budget-Muscle-Car nehmen, zeigen die aktuellen Generationen von Mustang und Camaro. Sie werden nicht einfach nur stärker und schneller.

Auch im Vergleich zu europäischen Sportwagen sind die Kontrahenten auf der Höhe der Zeit, zeigen aber immer noch extrem viel Charakter und Emotion. Zum Glück für die Fans. Denn wem das gefällt, den wird eine flatternde Motorhaube ebenso wenig erschrecken wie die Einstufung „Energie-Effizienzklasse G“ fürs Camaro Cabrio.

Chevrolet Camaro Cabrio

Technische Daten (Automatik)

BauartAchtzylinder-V-Motor, Benziner, Einspritzer
Hubraum6.162 cm³
Leistung333 kW / 453 PS bei 5.700 U/min
Max. Drehmoment617 Nm bei 4.600 U/min
AntriebHeckantrieb
Getriebe8-Gang-Automatik
Preis52.900 Euro

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit250 km/h
Beschleunigung 0 - 100 km/h4,6 Sek.

Verbrauch & Emissionen

Innerorts17,5 l/100km / 401 g/km
Außerorts7,9 l/100km / 179 g/km
Kombiniert11,5l/100km / 260g/km
EmissionsklasseEuro 6b
EnergieeffizienzklasseG


Maße und Gewichte

Länge4.784 mm
Breite1.880 mm
Höhe1.340 mm
Radstand2.812 mm
Wendekreis11,7 m
Leergewicht1.732 kg
Tank72 L.
Stauvolumenk.A.
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