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Meinung weekly: Saudischer Erdölblues führt zu „Visionen“

Ob Helmut Schmidts Diktum, wonach derjenige, der eine Vision hat, zum Arzt gehen solle, tatsächlich stimmt, lässt sich zukünftig in der Golfregion überprüfen, planen die saudischen Herrscher doch gerade einen atemberaubenden Umbau ihrer Volkswirtschaft – und lassen sich dabei von einer Vision leiten.

Öl war bisher für die saudische Volkswirtschaft Segen und Fluch zugleich: In den vergangenen achtzig Jahren hat das mit Abstand größte Land auf der arabischen Halbinsel zumeist die segensreichen Folgen gespürt und einen beeindruckenden Wohlstandszuwachs für seine inzwischen 30 Millionen Einwohner erreicht; das saudische Königshaus hat dadurch seine Machtposition gesichert. Der tiefe Fall des Ölpreises zeigt nun, dass die Abhängigkeit vom Erdöl auch als Fluch gedeutet werden kann, haben die Saudis doch zu lange fast ausschließlich auf die sprudelnden Ölquellen gesetzt. Zwar verfügt das Land noch immer über erhebliche Finanzmittel, um diesen Preisschock für die Staatseinnahmen, die sich zu gut 90% aus den Öleinnahmen speisen, kurzfristig abzufedern, doch langfristig tragfähig ist die Finanzsituation des Staates dadurch nicht mehr, zumal die Konjunktur in allen Sektoren schwächelt.

Als Befreiungsschlag hat die saudische Regierung nun einen ambitionierten Reformplan präsentiert, die „Vision 2030“. Deren Ziel ist es, die Abhängigkeit vom Erdöl in kurzer Zeit erheblich zu verringern. Auch wenn viele Details noch offen sind, so lässt doch die Stoßrichtung aufhorchen: Der Anteil privatwirtschaftlicher Unternehmen an der Wirtschaftsleistung soll in den nächsten vierzehn Jahren von 40% auf 65% erhöht, die Staatseinnahmen aus dem Nichtölbereich versechsfacht und die Effizienz der staatlichen Verwaltung verbessert werden; auch den Anteil berufstätiger Frauen wollen die Saudis, die dem weiblichen Teil der Bevölkerung immer noch das Autofahren verbieten, erheblich steigern. Die Erlöse aus dem geplanten Mega-Börsengang des staatlichen Öl- und Chemiekonzerns Saudi Aramco, dessen Wert auf USD 2 Billionen taxiert wird und von dem voraussichtlich bis zu 5% des Aktienkapitals verkauft werden, sollen in einen staatlichen Fonds fließen, der dann im In- und Ausland investiert.

Saudi-Arabien hat bereits in der Vergangenheit Anläufe unternommen, um die Abhängigkeit vom „schwarzen Gold“ zu reduzieren; deren Erfolg blieb jedoch überschaubar. Heute machen der dramatisch gesunkene Ölpreis und der schwache Ölausblick das Problem nun umso dringlicher – und könnten letztendlich den Reformen die entscheidende Schubkraft verleihen. Das Eindämmen öffentlicher Verschwendung, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und die Förderung des privaten Unternehmertums sind in dieser Hinsicht zu begrüßende Schritte.

Gleichwohl ist es fraglich, ob im Kern staatliche Investitionsprogramme ausreichen, um diesen Wandel in kurzer Zeit herbeizuführen, bildet doch Saudi-Arabien das Zentrum des Wahabismus, einer besonders traditionalistischen Richtung des sunnitischen Islams, der in allen gesellschaftlichen Bereichen  seinen Niederschlag findet (u.a. Stellung der Frau, Bildungswesen). Ob es möglich ist, in diesem Umfeld staatlicherseits Wachstumskräfte freizusetzen, während gleichzeitig die jahrelangen staatlichen Wohltaten für die Bevölkerung zurückgefahren werden und das Königshaus auch weiterhin an seiner unumschränkten Macht festhalten wird, scheint sehr fraglich – und die Überprüfung von Schmidts Diktum bleibt vorerst offen.


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