Interim Management Manager in Festanstellung – ein Auslaufmodell?

Immer mehr jüngere Menschen wollen CEO auf Zeit als Manager in Festanstellung werden, sagt Atreus-Gründer Rainer Nagel. Ein Gespräch über den Reiz, Aufgaben anzunehmen, an denen sich andere die Finger verbrannt haben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Manager auf Zeit müssen oft Aufgaben anpacken, an denen andere sich bereits die Finger verbrannt haben. Das ist nicht ungefährlich für die eigene Karriere. Quelle: Getty Images

Interim Manager werden oft erst dann gerufen, wenn andere in der Firma richtig Mist gebaut haben. Nicht selten geht es dann um die Liquidation eines Unternehmens. Als Manager auf Zeit müssen sie flexible Freigeister, Feuerwehrleute, kreative Vor- und Querdenker sein – das ist nicht jedermanns Sache. Im Gespräch erklärt Rainer Nagel, Gründer des Interim-Management-Anbieters Atreus, nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland und einer der größten Anbieter in Europa, warum immer mehr jüngere Menschen Interim Manager werden wollen, welche Fähigkeiten man für den nervenaufreibenden Job braucht, und worin der Reiz besteht, Aufgaben anzunehmen, die karrieretechnisch den Schleudersitz auslösen können.

Herr Nagel, Sie sagen, dass immer mehr jüngere Fachkräfte Interim Manager werden wollen. Ist der Manager in Festanstellung ein Auslaufmodell?
Interim Management wird in der Tat auch für Jüngere immer attraktiver. Und zwar aus unterschiedlichen Gründen: Interim Manager fokussieren besonders stark darauf, in kurzer Zeit Ergebnisse zu liefern. Viele Manager sind auch müde, im Konzern fortlaufend Politik in eigener Sache machen zu müssen, um die eigene Karriere voranzubringen. Stattdessen konzentrieren sie sich lieber auf konkrete Aufgaben als auf den schnellen Aufstieg. Vor allem aber schätzen sie an diesem Beruf den hohen Grad der Selbstbestimmung.

Oft wird der „Manager als Sprinter“ gerufen, wenn andere Mist gebaut haben, und es um die Liquidation eines Unternehmensteils geht. Oder – auch nicht glamourös – wenn die Etablierung eines komplett neuen Geschäftsfeldes oder der Aufbau einer Dependance in einem Schwellenland anstehen. Muss man nicht verrückt sein, so etwas auf sich zu nehmen?
Das kommt ganz auf die Sichtweise an. Manche würden auch sagen: Man muss verrückt sein, um jahraus jahrein den gleichen Job im gleichen Unternehmen zu machen. Interim Management zieht Personen an, die Spaß an immer neuen Herausforderungen haben, und gerne besonders schwierige Aufgaben lösen.

Worin besteht der Reiz, immer nur Aufgaben anzunehmen zu müssen, an denen sich andere schon die Finger verbrannt haben, oder die sie nicht anpacken wollen, weil der Schleudersitz auslösen könnte?
Nun, der Reiz besteht darin, das Richtige für das jeweilige Unternehmen zu tun, und es so messbar voranzubringen. Wege zu finden, die von den Stakeholdern – Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Fremdkapitalgeber oder Eigentümer – getragen werden, oder sie sogar begeistern. Das ist oft durchaus vergleichbar mit der Teilnahme an einem Ironman oder der Besteigung des Mount Everest: Es ist ein harter, anstrengender Weg, aber am Schluss schaut man mit Befriedigung auf die erledigte Aufgabe zurück.


Finanzielle (Un)Sicherheit zwischen den Projekten

Wenn Interim Management ein Projekt mit definiertem Ende ist, wo bleibt dann die finanzielle Sicherheit?
In der Tat gibt es zwischen den Einsätzen immer wieder Lücken, in denen ein Interim Manager neue Projekte akquiriert, sich weiterbildet oder Netzwerke pflegt. Mit dieser Unsicherheit muss er wie jeder Unternehmer umgehen können, und das auch in seinen Business-Case einplanen. Aber sobald er oder sie sich erst einmal richtig positioniert und einen Namen erarbeitet hat, wird er oder sie immer wieder neue Aufträge erhalten. Körperliche und geistige Fitness vorausgesetzt, kann der Job auch locker bis zum Alter von 65 Jahren oder darüber hinaus ausgeübt werden. Später kann man immer noch Beiratspositionen übernehmen. Auf Dauer also ein durchaus stabiles Modell.

Aber zwischen den Projekten ist man de facto arbeitslos, oder?
Das würde ich so nicht sagen. Denn der Job des Interim Managers umfasst abseits der Projekte auch andere Tätigkeiten, zum Beispiel die eigene Positionierung und die Weiterbildung oder der Ausbau des Netzwerks. Diese Zeit, in der ein Interim Manager nicht verrechenbar ausgelastet ist, muss natürlich bei der Planung eingepreist werden.

Welche Rolle spielen die Manager auf Zeit denn in einer immer stärker dezentralisierten Arbeitswelt?
Ihre Bedeutung steigt, da die Unternehmen flexibel und passgenau Management-Ressourcen für ausgewählte Projekte an Bord nehmen können. Interessant wird das insbesondere dann, wenn es sich um Aufgaben handelt, für die man die Kompetenz gar nicht im Unternehmen hat und sie auch nicht vorhalten kann, weil man sie nicht ständig braucht. Bei der heutigen Veränderungsdynamik mit Blick auf die digitale Transformation, die Globalisierung und den gesellschaftlichen Wandel fällt es gerade Mittelständlern schwer, kommende Herausforderungen zu antizipieren und entsprechend schnell zu reagieren. Der Einsatz von Interim Managern bietet ihnen die Chance, temporär und nach Bedarf Erfahrungen und Fähigkeiten an Bord zu holen, die sie mit dieser Expertise in den seltensten Fällen dauerhaft einstellen könnten: Die Unternehmen brauchen die Kompetenzen meist ad hoc, und in der jeweiligen Sonder- oder Projektsituation benötigen sie eine viel höhere und stärker spezialisierte Kompetenz als im Normalzustand, um die Situation sicher zu bewältigen.

Welches Profil sollte denn ein Interim Manager im Idealfall haben?
Unerlässlich sind hohe Fachkompetenz und Umsetzungserfahrung in einer bestimmten Branche oder Funktion, in einer spezifischen Situation – zum Beispiel Wachstum oder Restrukturierung – oder in einer klar abgegrenzten Aufgabe, wie etwa die digitale Transformation, die Produktionsoptimierung oder die Performance-Verbesserung. Ganz wichtig auch: Ein Interim Manager muss über viel Führungserfahrung und -kompetenz verfügen, muss vorangehen und führen durch Vormachen und Vorleben. Und auch Eigenschaften, wie eine ausgeprägte „Hands-on“-Mentalität, die Fähigkeit zu strukturiertem Arbeiten und eine hohe Projektmanagementkompetenz sind unverzichtbar. Da man es oft mit Sondersituationen zu tun hat, sollte ein Interim Manager auch ein guter Kommunikator sein, hochflexibel agieren, und sich an alle denkbaren Situationen und Kulturen anpassen können.


Interim Manager helfen bei digitaler Schockstarre

Inwiefern können Interim Manager besonders im Mittelstand dazu beitragen, die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern?
Viele mittelständische Unternehmen befinden sich derzeit noch in einer Art digitaler Schockstarre. Die Chefs wissen, dass sie handeln müssen, haben aber mit einer Menge Widerstand gegen Veränderung zu kämpfen. Als neutrale Person von außen kann ein Interim Manager helfen, diese Ablehnung zu überwinden. Er kann Chancen aufzeigen, Methoden wie „Lean Start-up“ oder „Design Thinking“ etablieren, und die Mitarbeiter in den Unternehmen an neue Denkweisen heranführen. Er unterstützt sie dabei, agiler zu werden, Entscheidungen kollaborativ im Team zu treffen, „Crowd Intelligence“ zu organisieren und sie für die Führung zu nutzen. Denn auf dem Weg in die digitale Welt müssen Unternehmen die Art verändern, wie sie arbeiten und entscheiden. Ein erfahrener Interim Manager kann bei dieser Transformation viele wichtige Rollen einnehmen: Er kann Treiber und Katalysator der Veränderung sowie Lotse und Kapitän sein.

Glauben Sie, dass diese Manager so auch „frischen Wind“ in mittelständische Konzerne bringen können?
Auf jeden Fall – das zeigt die Erfahrung aus zahlreichen Projekten.

Wie wandelt sich vor diesem Hintergrund der Markt für Interim Management?
Er wird sich in Zukunft dramatisch verändern und weiter wachsen. Vor zehn Jahren lag das Marktvolumen bei unter 100 Millionen Euro, mittlerweile liegen wir bei mehr als einer Milliarde Euro. Die Dienstleistung und ihre Branchenstruktur werden sich weiter professionalisieren. Und obwohl der Markt weiterhin stark fragmentiert bleibt, dürften sich einige dominante Spieler herausbilden. Der Marktanteil professioneller Anbieter dürfte deutlich zunehmen. Allerdings gerät auf der Anbieterseite das klassische Makler- oder Personalvermittlergeschäft unter Druck, was auch an der Digitalisierung und an Plattformen, wie etwa LinkedIn liegt.

Das müssen Sie mir genauer erklären.
Es geht immer stärker darum, nicht einfach nur eine Ressource zu liefern, sondern die Lösung für ein Problem aus einer Hand anzubieten. Hier vermischen sich Beratung und Interim Management: Berater auf der einen Seite bieten vermehrt auch die Umsetzung der erarbeiteten Konzepte an – zum Teil mit erfolgsbasierten Honoraren. Lösungsorientierte Interim-Management-Anbieter mit Umsetzungs-DNA auf der anderen Seite nutzen zunehmend auch Methoden der Berater, um für ihre Kunden noch mehr Wert zu stiften.

Herr Nagel, vielen Dank für das Gespräch.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%