Kanada und die US-Wahl „Liebes Amerika, bitte wählt nicht Trump“

Donald Trump ist im Nachbarland Kanada extrem unpopulär. Premier Justin Trudeau hält sich angesichts des knappen Rennens bedeckt – Presse und Öffentlichkeit sind jedoch zunehmend verzweifelt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Kanada als die letzten Liberalen Nordamerikas. Quelle: Screenshot

Ottawa Hillary Clinton und die Demokraten würden Donald Trump klar besiegen – wenn Kanada zu den USA gehören würde. Die überwältigende Mehrheit der Kanadier empfindet eine tiefe Abneigung gegen den für seine rassistischen und sexistischen Ausfälle bekannten US-Politiker. Angesichts des schwindenden Vorsprungs von Clinton appellieren kanadische Medien an die USA, Trump nicht zu wählen.

Es gibt keine ganz aktuelle Umfrage, wie Kanadier über die US-Wahl denken, aber Erhebungen im Sommer bestätigten die anhaltend negative Einstellung der Kanadier zu dem Kandidaten. Im August veröffentlichte Umfragen ergaben, dass rund drei Viertel der Kanadier ein negatives Bild von Trump haben und sehr oder einigermaßen besorgt die Möglichkeit sehen, er könnte ins Weiße Haus einziehen könnte. 73 bis 80 Prozent der Kanadier würden Clinton wählen. Selbst im eher konservativen Alberta kam Trump nur auf eine Zustimmung von 26 Prozent.

In der Hauptstadt Ottawa macht sich zunehmend Unsicherheit über den Ausgang der Wahl breit. Premierminister Justin Trudeau gab sich am Donnerstag zum ersten Jahrestag seiner Vereidigung als Regierungschef zwar betont ruhig, als er auf einer Pressekonferenz sagte: Es sei normal, dass es mit jedem Wechsel im Weißen Haus Veränderungen und die Notwendigkeit der Anpassung gebe. Er lehnte es ab, sich auf hypothetische Fragen zu antworten, welche Folge der Wahlausgang in die eine oder andere Richtung haben könnte. „Ich habe Vertrauen in den politischen Prozess in Amerika und versichere den Kanadiern, dass ich mit demjenigen, der gewählt wird, arbeiten und Kanadas Interessen vertreten werde.“

Es ist für Kanadier aber schwer vorstellbar, dass ihr für sein freundliches Auftreten bekannter Premierminister mit einem Poltergeist wie Trump auf einer Bühne stehen und Hände schütteln könnte. Frühere Aussagen Trudeaus geben Hinweise, wie er über Trump denkt. Mitte Oktober hatte Trudeau auf dem Höhepunkt der Kontroverse über Trumps Verhalten gegenüber Frauen erklärt: „Ich bin in meiner Einstellung als Feminist sehr, sehr klar, als einer, der sein ganzes Leben sehr deutlich bei Themen wie sexueller Belästigung, bei seiner Haltung gegen Gewalt gegen Frauen war, dass ich dazu derzeit keine weiteren Kommentare abgeben muss.“

Der kanadische Rundfunk CBC meinte dazu, Trudeau habe sich gerade noch davor zurückgehalten, die sexistischen und anzüglichen Bemerkungen des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers direkt zu verurteilen. Trudeau steht für Offenheit und Toleranz, lehnt den Bau von Mauern und Abschottung ab und sieht in ethnischer und kultureller Vielfalt einen Gewinn für ein Land. Im Frühjahr hatte die „Washington Post“ Trudeau als „Anti-Trump“ beschrieben.

Es geht aber um mehr als um Antipathien, die auf Trumps Charakter beruhen. Die USA sind Kanadas wichtigster Handelspartner, rund 70 Prozent der Exporte gehen zum südlichen Nachbarn. Kanada ist über Trumps negative Haltung zum nordamerikanischen Handelsvertrag Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko besorgt. Da umgekehrt ein Großteil der US-Exporte nach Kanada und Mexiko geht, mag man insgeheim darauf setzen, dass Trump im Falle eines Siegs aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeiten Nafta nicht ad acta legen wird, da auch die US-Wirtschaft davon profitiert. Die ständig wechselnden Aussagen Trumps zu Nato und dem nordamerikanischen Verteidigungsbündnis Norad sowie sein Lob für Wladimir Putin lösen ebenfalls Kopfschütteln in Ottawa aus.


„Liberty zieht nach Norden“

„Ausländische Regierungen wollen sich in eure Demokratie nicht einmischen, deshalb können sie nicht sagen, was sie wirklich von Trump halten. Wir aber können es. Wir sind entsetzt“, schrieb die „Globe and Mail“ jetzt in ihrem Leitartikel „Liebes Amerika: Bitte wählt nicht Trump“. Es sei nicht zu verstehen, dass die US-Amerikaner bei der Wahl zwischen einem „leicht mangelhaften“ Kandidaten – gemeint ist Clinton – und einem Kandidaten, der mit einer „explosiven Mischung aus schlechten Ideen, ohne Kenntnisse und keinerlei Selbstkontrolle hausieren geht“, Probleme hätten, sich zu entscheiden.

Mit einer Trump-Wahl könnten die USA zwar Wladimir Putin und die Hardliner in China erheitern. „Aber der Rest, eure Freunde und Alliierten in der freien Welt, wir drücken den Panikknopf“. Ähnlich urteilt das „Journal de Montreal“: „Präsident Trump? Nein danke“. Die Wahl von Trump wäre eine „Katastrophe“.

Mit Trump habe die ehrwürdige Republikanische Partei einen „in fast unvorstellbarem Maße ungeeigneten Kandidaten nominiert“, der keine Bindungen an herkömmliche politische Moral und zivile Tugenden habe, meint der kanadische Verfassungsrechtler Eric Adams von der Universität von Alberta. Das Nachrichtenmagazin „The Economist“ bezeichnet im Gegenzug in einem die kanadischen Verhältnisse etwas beschönigenden Text Kanada als „die letzten Liberalen“ und zeigt die Freiheitsstatue Liberty umkränzt von einem roten Ahornblatt, dem Symbol Kanadas. „Liberty zieht nach Norden“, schreibt der „Economist“.

In der vergangenen Woche kündigte Kanada – unabhängig von der Wahl in den USA – an, die Zahl der Immigranten, die pro Jahr ins Land gelassen werden, aufzustocken. Das nahm der „Ottawa Citizen“ zum Anlass, dennoch eine Verbindung zur US-Wahl zu ziehen: Der Karikaturist sieht nach einer Trump-Wahl Scharen von US-Amerikanern, die ihrem Land den Rücken kehren und sich mit Rücksäcken, Luftmatratzen, zerfledderten US-Fahnen und Zeitungen, die den Sieg Trumps verkünden, an der kanadischen Grenze stauen.

Tatsächlich hatte im Frühjahr, als sich die Nominierung Trumps als republikanischer Kandidat abzeichnete, die kanadische Atlantikinsel Cape Breton weltweit Schlagzeilen gemacht, als sie sich den US-Amerikanern als Trump-freies Paradies anbot. Viele Tausend Klicks verzeichnete die Website von Cape Breton, die auch auf die Website des kanadischen Einwanderungsministeriums verwies. Und mehrere US-Prominente aus dem Showbusiness liebäugeln öffentlich mit der Auswanderung, sollte Trump Erfolg haben. So soll Barbra Streisand im Sommer einem australischen Journalisten gesagt haben, sie würde in diesem Fall nach Australien oder Kanada auswandern.

Whoopi Goldberg widersprach dagegen Berichten, auch sie wolle die USA verlassen. „Ich bleibe, das ist mein Land“, erwiderte sie auf abfällige Bemerkungen Trumps, diese Prominenten sollten ruhig gehen, es sei ein Gewinn für die USA. US-Schauspieler Bryan Cranston machte dieser Tage allerdings deutlich, er würde „definitiv“ nach Kanada ziehen, sollte Trump gewinnen, aber „ich bete zu Gott, dass das nicht passiert“.


Zweifel an einer großen Auswanderungswelle

Ob es bei einem Trump-Sieg zu einer Auswanderung nach Kanada in größerem Stil kommt, ist aber fraglich. Die Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush im November 2004 hatte zunächst eine hohe Zahl von Anfragen aus den USA auf der Website des kanadischen Einwanderungsministerium ausgelöst. Eine verstärkte Einwanderung von US-Amerikanern nach Kanada wurde dann aber doch nicht registriert. Allerdings waren in den Jahren des Irakkriegs um 2005 mehrere Dutzend US-Soldaten nach Kanada desertiert, die nicht oder nicht ein zweites Mal in den Kampfeinsatz geschickt werden wollten.

Anders war es Ende der 1960er-Jahre, als jungen US-Amerikanern die Zwangseinberufung zum Militär und der Einsatz im Vietnamkrieg drohte. Das damals von Pierre Trudeau, dem Vater des heutigen Regierungschefs regierte Kanada nahm junge US-Bürger, die sich dem Krieg verweigerten, mit offenen Armen auf. Kanadas Einwanderungsministerium gibt ihre Zahl mit 30.000 bis 40.000 an, andere Schätzungen gehen von bis zu 120.000 aus. Als US-Präsident Jimmy Carter in den 70er-Jahren eine Amnestie erließ, kehrte ein Teil in die USA zurück, die meisten aber blieben in Kanada.

Einer von denen, die nach Kanada kamen und blieben, ist Frank Mahoney in Ottawa. „Es war der 22. Mai 1969“, sagt er, ohne eine Sekunde nachdenken zu müssen. Der damals 21-Jährige lebte in Detroit, hatte an der Notre Dame-Universität in Indiana Unternehmensführung studiert und stand nun kurz vor seinem Abschluss. „Es war ziemlich klar, dass ich nach Beendigung meines Studiums eingezogen und nach Vietnam geschickt worden wäre“, erzählt er. Er kannte Kanada von vielen Besuchen und bereitete seinen Wechsel gut vor.

1973 wurde er von der Bank of Canada in Ottawa eingestellt und machte Karriere. 2004 ging er in den Ruhestand. „Ich kann es kaum glauben, dass sich das Land, in dem ich meine prägenden Jahre als junger Mensch verbrachte, so verändert hat, dass jemand wie Trump zum Präsidentschaftskandidat aufsteigen und dann auch noch so nahe an die Präsidentschaft kommen kann“, sagt er.

Aber er bezweifelt, dass seine Wahl zu einer großen Auswanderungswelle führen würde. Die Wahl allein würde wohl nicht reichen, „aber wenn er dann wirklich so schlimm ist, wie man es befürchtet, dann könnte das einen Schub zur Auswanderung auslösen.“ Sein Land zu verlassen sei eine schwere Entscheidung. „Man muss sehr stark davon überzeugt sein, dass es das Richtige ist, und man muss sich bedroht fühlen.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%