Herlinde Koelbl im Interview „Sie werden hart“

Fotografin Herlinde Koelbl über die Erotik der Macht und überflüssige Pfunde, die sich Würdenträger anfuttern.

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WirtschaftsWoche: Manager und Politiker der ersten Riege haben Ihnen viel Zeit und Vertrauen geschenkt. Wieso? War das Eitelkeit?

Herlinde Koelbl: Ich habe die von mir ausgewählten Persönlichkeiten 1991 angeschrieben und ihnen vorgeschlagen, sie sieben, acht, vielleicht sogar zehn Jahre zu begleiten. Und gleich erwähnt, dass mich nicht der offizielle Wirtschaftsboss oder Politiker, sondern der Mensch hinter dem Amt interessiert. Das Reflektieren über sich selbst in einem geschützten Raum – mit der Garantie, dass nicht jedes Wort am nächsten Tag in der Zeitung steht – fanden sie wohl interessant. Alle haben mitgemacht, keiner ist in den acht Jahren abgesprungen.

Haben Sie sich angefreundet?

Das wäre zu viel gesagt. Einmal im Jahr habe ich sie besucht und dann fotografiert, gefilmt und interviewt – eine Bestandsaufnahme der vergangenen zwölf Monate. Einmal fragte ich Angela Merkel, was sie denn in diesem Jahr gelernt habe. Sie antwortete: Fragen Sie mich lieber, was ich verlernt habe.

Und das war?

Menschen geben eine Menge auf, wenn sie in hohe Positionen gelangen. Heinrich v. Pierer sagte, er sei völlig verplant, ein gläserner Mensch. Sie werden ständig beobachtet, auch im Privaten. Sie geben Freiheit, Unabhängigkeit auf. Sie gewöhnen sich gewisse Dinge ab, die in der Öffentlichkeit stören. Schröder beispielsweise hat nur noch zu Hause teure Zigarren geraucht. Merkel sagte schon 1993: Ich muss lernen, dass man mir nicht mehr jedes Gefühl an der Nasenspitze ansieht.

Was macht die Macht aus den Menschen?

Sie fangen an, eine Maske zu tragen, die irgendwann Teil ihrer Persönlichkeit wird. Sie werden misstrauischer, weil Intrigen gegen sie laufen. Sie haben kaum noch ein Privatleben. Sie werden hart und müssen sich reduzieren, weil sie mit der Verwundbarkeit eines normalen Menschen nicht überleben.

Warum tun Menschen sich das an?

Weil sie aus der Bestätigung ihres Egos eine enorme Kraft ziehen. Macht heißt, etwas mehr, etwas bedeutender als andere zu sein, sich überlegen zu fühlen. Die öffentliche Aufmerksamkeit schmeichelt dem Ego, Menschen schauen zu einem auf. Macht ist erotisch, Männer wie Frauen werden durch sie attraktiver.

Welche äußeren Veränderungen haben Sie in den acht Jahren beobachtet?

Die Körpersprache verändert sich. Auf den ersten Fotos schaut Merkel etwas schüchtern schräg nach oben, später sind ihre Schultern nach hinten gedrückt, der Blick ist selbstbewusst. Sprache und Gestik haben sich bei Schröder und Fischer sogar noch deutlicher verändert.

Altern Mächtige schneller?

Nein. Macht kann auch beflügeln und dadurch verjüngen. Aber der physische Stress hinterlässt Spuren. Ich habe jedes Jahr nach dem Gewicht gefragt, fast alle hatten zugenommen. Hier zeigt sich auch ein Unterschied zwischen Wirtschaft und Politik: Die Vorstände bewiesen eine ungeheure Disziplin, bei ihnen hielt sich die Gewichtszunahme in Grenzen. Die Politiker waren weniger diszipliniert.

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