Assessment Center Sinnvoller Kandidatenfilter oder Stunde der Selbstdarsteller?

Jedes zweite deutsche Unternehmen setzt auf Assessment Center. Doch beliebte Tests wie die Postkorb-Übung oder das Seenot-Spiel sind nicht immer sinnvoll.

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Schreibtisch Quelle: AP

Die Mitglieder aus der Auswahlkommission eines großen Medienhauses staunten nicht schlecht, als Lydia Meister* den Raum betrat. „Das war echt kein gutes Spiel von den Bayern gestern, oder?“, fragte die Mittzwanzigerin mit dem blonden Kurzhaarschnitt in die Runde. Die fünf Herren an dem langen Tisch schauten sich und die Kandidatin für eine Trainee-Stelle irritiert an. Nachdem Meister weiter versuchte, ein Gespräch über Fußball zu beginnen, unterbrach sie der Leiter der Auswahlkommission barsch: „Haben sie sich überhaupt die Aufgabenstellung durchgelesen?“ Das sei hier der Elevator Pitch, sie solle sich vorstellen, sie stünde mit ihrem potenziellen Chef im Fahrstuhl und solle sich in dreißig Sekunden vorstellen.

"Das ist mir klar“, antwortet Meister, "doch im Fahrstuhl fange ich doch auch erst mal mit Small Talk an und falle nicht mit der Tür ins Haus.“ So richtig diese Argumentation auch sein mag, für Meister war das Assessment Center quasi mit der ersten Aufgabe beendet.

Ob Daimler oder Unilever, H&M oder Lidl – kaum ein Unternehmen verzichtet bei der Bewerberauswahl auf die Tests, die in den Zwanziger Jahren vom deutschen Militär erstmals eingesetzt wurden. Nach einer Untersuchung von Heinz Schuler, Psychologe an der Universität Hohenheim, setzt jedes zweite Unternehmen Assessment Center ein. Doch während die Beliebtheit dieser Auswahlverfahren steigt, ist die Qualität und Aussagekraft nach Angaben des Wissenschaftlers gesunken. "Das Assessment Center ist zu einer Spielweise der Laiendiagnostik geworden", kritisiert Schuler.

Auch Teilnehmer der Tests diskutieren gern über deren Qualität und Aussagekraft. Als Stunde der Schwätzer und Schauspieler kritisieren viele die Auswahlverfahren. Wer kein ausgeprägtes Talent zur Selbstdarstellung habe, falle dabei schnell unten durch. Andere Bewerber versuchen, Diskussionen an sich zu reißen, um Führungsstärke zu demonstrieren. Teamfähigkeit sollen sie zeigen, indem Bemerkungen der Mitbewerber mit Aussagen wie „Ein außerordentlich interessanter Aspekt“ beigepflichtet wird. Berechtigte Kritik oder ein normaler Selbstverteidigungsreflex gescheiterter Bewerber?

"Ethisch bedenkliche Spielchen“

Der Nutzen vieler Übungen scheint nicht immer klar. So weiß auch Christoph Knaacke* nicht, was er bei der Signal Iduna falsch gemacht hat. "Es wurden verschiedene Bilder gezeigt“, erklärt Knaacke. Zum Beispiel ein Angler an einem Teich und einer mit seinem großen Fang. Oder ein Handwerker, der einen Schrank zusammenbaut, ein anderer der seine Arbeit erfolgreich beendet hat. Die Kandidaten sollten jeweils auswählen, welches Bild ihnen besser gefällt. "Fragt mich nicht warum“, sagt Knaacke.

Solche Tests sollen Rückschlüsse auf Charakter, Führungskraft und Durchsetzungsfähigkeit erlauben. Das gilt auch für "Klassiker“, wie das "Seenot-Spiel“. Dabei muss eine Gruppe entscheiden, welche fünf Gegenstände sie von einem sinkenden Schiff auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Eine noch härtere Auswahl müssen potenzielle Führungskräfte bei "Lebensrettungsaufgaben“ treffen – sie sollen entscheiden welche Personen sie beim Schiffbruch retten würden und welche nicht.

"Ethisch bedenkliche und unangemessene Spielchen“, kritisiert der Arbeitskreis Assessment Center e.V. Solche Aufgaben hätten nichts mit der Realität der zu besetzenden Positionen zu tun. "Um eine Prognose über die Eignung eines Bewerbers auf eine bestimmte Zielfunktion treffen zu können, müssen Aufgaben und Arbeitssituationen so realistisch wie möglich nachgestellt werden“, fordert der Verein in seinen Standards für gute Assessment Center. Auch bestimmte Regieanweisungen in Rollenspielen ("Verhalten Sie sich dominant!“) seien unangemessen – "dadurch wird die Simulation zum Schauspiel.“

*Namen von der Redaktion geändert

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