Koalitionsverhandlungen Buhmann SPD

Die SPD läuft Gefahr, einstige Verbündete zu vergraulen. Verbände und Ökonomen gehen auf Distanz. Sie befürchten, die teure Wünsch-dir-was-Politik der Sozialdemokraten könnte die soziale Kluft noch verschärfen.

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Die SPD schaltet in den Regierungs-Modus - und vergisst dabei ihre Wahlversprechen. Das sorgt für Kritik. Quelle: dpa

Berlin Die SPD wirkt wie verwandelt, nachdem klar ist, dass nun heute die Koalitionsverhandlungen mit der Union beginnen. Sie hat schon in den Regierungsmodus geschaltet, obwohl noch lange nicht klar ist, ob die Parteimitglieder, denen die Letztentscheidung obliegt, am Ende den großkoalitionären Kurs absegnen werden. Das schert Spitzengenossen, wie den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, wenig. Am gestrigen Dienstag gab er eine Kostprobe davon, wie schnell die erste Berührung mit der Macht in Arroganz umschlagen kann.

Die Aufstockung des Bundestagspräsidiums zu Gunsten von Union und seiner Partei begründete er allen Ernstes mit dem Wahlergebnis. Den kritischen Grünen hielt er entgegen, beide hätten nicht sehr gut abgeschnitten. „Aber 25,7 Prozent sind deutlich mehr als 8,4 Prozent“, sagte er und fügte hinzu, dass den Grünen daher eigentlich nicht etwa ein Vizepräsident-Posten zustünde, sondern „null“. Die Grünen, die im Wahlkampf noch als Wunschpartner der SPD galten, zeigten sich fassungslos. „Lieber Thomas Oppermann, der Schalter ist aber schnell umgestellt“, sagte Britta Haßelmann, neue Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen.

Dass die SPD sich geriert, als würde sie schon regieren, haben auch andere festgestellt. Zum Beispiel parteinahe Verbündete wie der Paritätische Wohlfahrtsverband oder linke Ökonomen, wie der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, oder Rudolf Hickel von der Universität Bremen. Sie stoßen sich insbesondere daran, dass die SPD von ihrer Forderung nach Steuererhöhungen für wenige Reiche zurückgewichen ist, gleichzeitig aber sündteure Ausgaben plant und selbst vor neuen Belastungen für die Bürger, etwa bei der Pflegeversicherung, nicht zurückschreckt.

„Der Verzicht auf Steuererhöhungen birgt die Gefahr einer weiteren Spaltung zwischen guten und schlechten Lebensbedingungen in Deutschland“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Handelsblatt Online. „Wir können daher nur davor warnen, vorschnell auf Steuererhöhungen für Reiche zu verzichten, da eine künftige Koalition bei einer solchen Festlegung kaum noch sozialpolitischen Handlungsspielraum hätte.“

IMK-Chef Horn vermutet Parteitaktik hinter dem SPD-Schwenk in der Steuerpolitik. „Sie hofft vielleicht, dass nach einer Bestandsaufnahme, die die finanziellen Notwendigkeiten aufzeigt, auch die CDU um den Gedanken an eine Steuererhöhung  nicht herum kommt“, sagte Horn Handelsblatt Online.  Zugleich werde aber die CDU versuchen, die Ausgabenprogramme so klein zu halten, dass eben keine höheren Steuern erforderlich seien. „Diese Strategie  geht allerdings zu Lasten der wirtschaftlichen und sozialen Zukunft Deutschlands.“


CSU gegen Steuererhöhungen und neue Schulden

Die SPD hatte ihre neue Steuer-Position im Zuge des Parteikonvents am vergangenen Sonntag neu justiert. Die getroffene Festlegung ist allerdings sehr vage gehalten. Man wolle in den Koalitionsverhandlungen auf einer „verlässlichen, soliden und gerechten Finanzierung aller Projekte von Kommunen, Länder, Bund und Sozialkassen in einer künftigen Koalitionsvereinbarung bestehen, um die damit angestrebten Verbesserungen auch tatsächlich zu erreichen“, heißt es in dem Konvent-Beschluss. Andererseits hat die SPD einiges vor, was viel Geld kosten dürfte, etwa die finanzielle Stärkung von Kommunen, zusätzliche Anstrengungen in die Infrastruktur, verstärkte Investitionen in Schulen, Hochschulen und Wissenschaft. Auch die Union hat bisher keine Finanzierungsvorschläge zur Realisierung ihrer Wahlgeschenke vorgelegt.

Dass dies noch zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Möchtegern-Koalitionären führen dürfte, liegt auf der Hand. Schon der Heilige Thomas hat erkannt: „Es wird schwierig, wenn es konkret wird.“ Kurz vor der ersten Runde der Koalitionsverhandlungen kam die Frage der Finanzen erneut auf. Und allem Anschein nach ist das Nein der SPD zu Steuererhöhungen nicht in Stein gemeißelt.

Bei den Finanzen gebe es bisher noch keine Klärung, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im ARD-„Morgenmagazin“. „Das müssen wir auf den Tisch bringen heute“, fügte sie hinzu. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, wandte sich indes erneut gegen die SPD-Forderung nach Steuererhöhungen. Auch eine höhere Neuverschuldung zur Finanzierung von Projekten einer großen Koalition lehnte sie klar ab. Zugleich hob sie in der ARD hervor, dass die Union die Mütterrente erreichen wolle.

SPD-Finanzexperte Joachim Poß sagte auf NDR Info, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe vor der Wahl viel versprochen. Jetzt müsse über eine schlüssige, belastbare, glaubwürdige und gerechte Finanzierung gesprochen werden. Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die zur SPD-Verhandlungsdelegation gehört, forderte im SWR eine verlässliche Finanzierung. Mit der Union vereinbarte Vorhaben dürften "natürlich nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen".

Müssen sie eigentlich auch nicht. „Noch nie war die öffentliche Kassenlage in Deutschland so gut wie heute“, gab der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, im Gespräch mit Handelsblatt Online zu bedenken. Insofern verstehe er die „Wehklagen“ der Politik nicht, das Geld reiche nicht. „Dieses Gebaren der Politik, alles und jeden mit Steuerschenken zu bedenken, zeigt, dass ein grundlegendes Umdenken für eine solides Haushalten immer noch nicht überall stattgefunden hat“, kritisierte Holznagel.


„Bundestag muss alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen“

Fakt sei aber, Deutschland habe kein Problem mit seinen Einnahmen, sondern mit seinen Ausgaben, betonte der Steuerzahlerbund-Chef. Wer es mit der Schuldenbremse und Generationengerechtigkeit ernst meine, müsse daher „klare Prioritäten“ setzen. Im Übrigen gebe es allein für den Bundeshaushalt ein Einsparpotenzial von 20 Milliarden pro Jahr. Die Politik müsse deshalb endlich ihre Hausaufgaben machen und die „überzahlreichen“ Aufgaben und Ausgaben substanziell konsolidieren. „Nur durch diese Kernerarbeit können die Haushalte strukturell ins Lot gebracht werden, ohne ständig mit einem Dreh an der Steuerschraube zu drohen“, sagte Holznagel. Darum müsse sich der neue Bundestag nun kümmern. „Eines seiner ersten Aufgaben muss sein, den Haushalt für das Jahr 2014 ohne neue Schulden auf die Beine zu stellen und eine wirkungsorientierte Prüfung sämtlicher Ausgabenbereiche des Bundes anzustoßen“, sagte Holznagel.

Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen ist hingegen der Überzeugung, dass bei einer stärkeren Einbeziehung der Einkommens- und Vermögensstarken in die Finanzierung des Staates das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Das Thema sei nicht vom Tisch. „Der Finanzierungsdruck wird sich auch in der neuen Koalition Platz schaffen“, sagte Hickel Handelsblatt Online. „So ist die Finanzierung der Bestandssicherung durch Reparaturen und die Erweiterung der Infrastruktur sowie die fiskalische Stärkung der Gemeinden nicht vom Tisch.“ Bevor die Schuldenbremse in die Verfassung verankert wurde, seien diese Investitionen kreditfinanziert worden. Diese „vernünftige“ Finanzierung, die künftigen Generationen eine bessere Infrastruktur vererbe, sei aber nicht mehr möglich. „Deshalb steht die Steuerpolitik weiterhin auf der Agenda.“

Ökonom Horn führt das Zurückweichen der SPD vor höheren Steuern auch auf eine Fehleinschätzung zurück. Die SPD sei eine „ängstliche“ Partei. „Sie fürchtet, dass die Wähler keine Steuererhöhungen  mögen und dies  ein Grund für  ihr  relativ zu den Erwartungen schlechtes Abschneiden ist“, sagte er.  Dabei  zeigten Umfragen, dass dem nicht  so ist, weil die Wähler sehr genau wüssten, dass ein „solides und dringend notwendiges“ Infrastrukturprogramm, das zudem langfristig angelegt ist, höherer Staatseinnahmen bedürfe. Die Umfragen zeigten zudem, dass die Mehrzahl der Bürger  ein  „gravierendes Gerechtigkeitsproblem“ in Deutschland sehe, wo sich Einkommen und Vermögen im Verlauf des  vergangenen  Jahrzehnts „spürbar immer  ungleicher verteilt“ hätten. „Ein Gedanke, den die SPD offenbar fallen gelassen hat“, kritisierte der IMK-Chef. 

Das bedauert auch Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Wenn SPD und CDU wirklich auf Steuererhöhungen verzichten, sind nur noch Projekte machbar, die in der Sozialversicherung finanzierbar sind, also Pflege und Rente“, sagte er. Alle anderen Projekte drohten damit vom Verhandlungstisch zu fallen. Wenn die Beiträge der Pflegeversicherung jedoch erhöht werden, bedeute das, dass alle zahlen müssten, auch die Niedrigverdiener. Gleichzeitig würden Reiche und Superreiche geschont. „Das stellt den Gedanken der solidarischen Finanzierung sozialstaatlicher Aufgaben auf den Kopf“, warnte Schneider. „Insbesondere ist nicht absehbar, wie die dringende Unterstützung der Kommunen geleistet werden soll, die in finanziellen Nöten sind und deren Leistungen Sozialstaat vor Ort überhaupt ausmachen: von Bibliotheken über Schwimmbäder bis hin zu Jugendzentren.“


Familienunternehmer warnen vor Rechtsbruch bei der Rente

Selbst in der Wirtschaft befürchtet man, Union und SPD könnten falsche Prioritäten setzen, um ihre Ausgabenwünsche zu realisieren. Die Familienunternehmer warnten beide Seiten davor, bei der Rentenversicherung einen Rechtsbruch zu begehen, durch den die gesetzlich vorgeschriebene Ausschüttung der aktuellen Beitragsüberschüsse von rund 30 Milliarden Euro verhindert werde. „Die aufgelaufenen Beitragsüberschüsse stehen den Beitragszahlern, allen Arbeitnehmern und Betrieben zu, nicht der Politik als sozialpolitische Verteilungsmasse für Wahlgeschenke", sagte Verbandspräsident Lutz Goebel. „Wir Familienunternehmer warnen davor, diese Überschüsse jetzt für neue Leistungen und höhere Ansprüche in der Zukunft zu verwenden. Diese würden dann die Beiträge in der Zukunft nach oben treiben. Eine schwarz-rote Bundesregierung darf nicht gleich mit einem Rechtsbruch starten.“

Goebel verlangte zudem, die Rente mit 67 „auf jeden Fall“ beizubehalten. „Jede noch so gutgemeinte Ausnahme, wie die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, wird am Ende von allen Beitragszahlern mitfinanziert werden müssen“, sagte er. Außerdem laufe Deutschland in einen immer schwerer zu bewältigenden Fachkräftemangel hinein. „Da ist es das völlig falsche Signal, wenn wir unsere bewährten älteren Arbeitnehmer früher nach Hause schicken.“ Er mache in seinem Betrieb selbst die Erfahrung, so Goebel weiter, „dass keineswegs alle älteren Mitarbeiter dem Erreichen des Rentenalters entgegenfiebern, wie uns das manche Sozialpolitiker Glauben machen wollen“.

Arbeitsökonom Hickel sieht die SPD immerhin bei anderem Thema in der sozialen Spur. „Die für den Anfang  gewählte Priorität, die Arbeitsmärkte durch Mindestlöhne und Regeln für die Leiharbeit und Werkaufträge zu reregulieren, ist richtig“, sagte der Universitätsprofessor. „Endlich werden die Fehlentwicklungen infolge der Agenda 2010 beseitigt.“ Wenn insgesamt die sozialen Sicherungssysteme wieder von der „Armutserzeugung“ befreit würden, dann verdiene diese Priorität gegenüber der Steuerpolitik Anerkennung. „Die SPD findet zu ihrer Rolle im Dienste der Menschen im Zentrum der Arbeitswelt zurück“, sagte Hickel.

Wohin die mögliche Große Koalition steuert, wird sich zeigen. 75 Vertreter von CDU, CSU und SPD kamen am Mittag in der CDU-Zentrale in der großen Runde der Koalitionsverhandlungen zusammen. Im Mittelpunkt standen aber zunächst nur organisatorische Fragen. Ab Donnerstag soll dann über Sachfragen dann in Arbeitsgruppen verhandelt werden. Beide Seiten einigten sich auf insgesamt zwölf Arbeitsgruppen und vier Unter-Arbeitsgruppen. Die neue Regierung soll bis Weihnachten stehen. Es sei denn, die SPD-Basis stoppt das Ganze.

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