Delikatessen In Mortara wird Gänsestopfleber ethisch hergestellt

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Aufwendiger und teurer als die Stopfmast

Alle alternativen Methoden sind allerdings aufwendiger und teurer als die Stopfmast, weil sie etwa vier Wochen länger dauern. Aber auch, weil die Feigenfütterung mehr Kosten verursacht, als den Masttieren mit Druckluft Maisbrei durch ein Metallrohr in den Magen zu schießen. 180 Gramm spanische Leber kosten etwa 150 Euro, bei Palestro kostet das Kilo 140 Euro – für ein konventionelles Kilo fallen 95 Euro an.

Palestro ist, während seine Tochter hinter der Theke die Stellung hält, über seinen von einem vierkantigen Gebäude begrenzten Hof in einen länglichen, gefliesten Raum geschlendert. Bei knapp fünf Grad und schummrigem Licht sortiert und stapelt ein junger Metzger rote Kisten. Palestro beginnt, die Stapel zu sichten und die Qualität der Ware zu prüfen. In einigen Kisten lagern Keulen, in anderen Filets. In einer Ecke stehen Kisten mit Lebern. In einem Nebenraum Säcke mit Federn.

Diese Vielfalt ist ein Teil der Erklärung, warum Palestro sich die aufwendige Produktion leisten kann: Er kalkuliert die Gans ganz anders als seine polnischen und ungarischen, aber auch seine französischen Wettbewerber. Denn so eine Gans ist eigentlich der Mischkonzern unter den Nutztieren: ein Konglomerat verschiedener Profitcenter, die alle unabhängig voneinander am Markt bestehen und ihren Beitrag zum Gesamtergebnis leisten müssen.

Wenn es um die Wurst geht, ist guter Rat teuer
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Da wäre etwa, ganz unten in der Wertschöpfungsskala, die Landschaftspflege, für die so eine Gans gut ist. Dann gibt es das Fett, das nicht nur zum Frittieren verkauft wird, sondern in verarbeiteter Form auch in Kosmetik und Pharmazeutika steckt. Es folgen die Federn und Daunen, die je nach Qualität in die Textilwirtschaft gehen, und das Fleisch. Schließlich dann die Leber. Massenproduzenten aus Osteuropa, aber mit Abstrichen auch französische Produzenten holen aus Leber und (in Osteuropa) Daunen unter fragwürdigsten Bedingungen das finanzielle Optimum heraus und verramschen den Rest. So erklären sich Zehn-Euro-Weihnachtsgänse im Discount.

Weil die Gans mit Leber und Daunen bereits ihren Gewinn erwirtschaftet hat, kann das Fleisch quasi zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. „Das aber geht auf Kosten von Handwerk, Nachhaltigkeit und Tierwohl“, sagt Signor Palestro. Neulich etwa hatte er Russen zu Gast. Sie wollten mit ihm einen großen Handel aufziehen. Palestro hätte mangels eigener Gänse Tiere aus dem Osten zur Verarbeitung zukaufen müssen. Hat er abgelehnt. „Das wäre industrielle Fertigung geworden“, sagt er. „So was mache ich nicht. Ich bin mit Leidenschaft Handwerker, dafür lebe und kämpfe ich.“

Und dafür findet er wieder mehr Kunden. Zwar gilt in Frankreich etwa das Stopfen des Federviehs als „nationales Kulturgut“; zwar hat in Kalifornien gerade ein Gericht das Verkaufsverbot von Stopfprodukten wieder zurückgenommen. Dennoch gibt es einen gewissen Trend zum Verzicht auf die klassische Stopfleber, wenn auch noch in der Nische. Im derzeit wohl angesagtesten Berliner Gastrokonzept, Dylon Watson-Brawns „Ernst“ im Wedding, verzichtet man auf Stopfleber. Der Dreisternekoch Thomas Bühner tut dies ebenfalls, genauso die Einsterneköche Vincent Klink aus der Stuttgarter „Wielandshöhe“ und Benjamin Gallein aus der norddeutschen „Ole Deele“. Palestro findet: Dafür gibt es auch kulinarische Gründe, nicht nur ethische.

Seine Leber etwa verliere beim Erhitzen nur ein Zehntel ihres Gewichts, gestopfte dagegen die Hälfte. Warum sich dann dennoch die Franzosen weltweit durchgesetzt haben und die wenigen italienischen Erzeuger in der Nische bleiben?

„So sind wir Italiener“, sagt Palestro. „Wir haben ein tolles Erbe und machen nichts daraus.“ Immerhin hat er sich nun mit den Aktivisten von Slow Food zusammengetan. Man will die lombardische Gänseproduktion zum kulinarischen Erbe der Menschheit aufwerten.

Der Mittag naht, Palestro hat eine Flasche Spumante entkorkt. Dazu kommen Grissini auf den Tisch und eine Art Ragout-Wurst vom Gänsefilet. „Was braucht der Mensch mehr, um glücklich zu sein?“, ruft Palestro. Stockt kurz, und sagt: „Wobei, nehmen Sie die Leber, formen Sie sie in ein Tongefäß, erwärmen Sie es leicht, schneiden Sie die Leber in Scheiben, tun Sie etwas Salz und Olivenöl dran – großartig.“

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