Hype um Küchenmaschine "Thermomix ist der Küchenporsche des Amateurs"

Endlose Liebe oder tiefe Ablehnung – wie kein anderes Küchengerät schafft es der Thermomix, die Menschen zu Fans oder Gegnern zu machen. Warum das so ist, erklärt Soziologe Tilman Allert.

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Tilman Allert Quelle: Privat

WirtschaftsWoche: Herr Allert, der Thermomix...
Tilman Allert: Für Ihre Anfrage bin ich Ihnen sehr dankbar, inspiriert sie doch einen Soziologen, am Beispiel dieses trivialen Haushaltsgerätes kulturgeschichtlich bemerkenswerten Dimensionen seiner offenkundigen Verbreitung nachzugehen. Der Thermomix verdient eine Analyse weit über dieses Interview hinaus.

Freut uns zu hören, aber was ist denn nun das Besondere am Thermomix, dass Sie so angefixt sind und das Gerät als Eisbrecher für jeden Smalltalk taugt?
Die Maschine überbrückt durch technologische Raffinesse drei große Wert-Antinomien, die die Lebensführung in der modernen Gesellschaft bestimmen. Darin liegt ihr Geheimnis.

Eine Küchenmaschine löst Widersprüche von Wertorientierungen, mit denen wir alle konfrontiert sind?
Ja. Die erste die zwischen Laie und Experte. Der moderne Mensch ist Expertisen aller Art ausgesetzt. Er ist Partner oder Abhängiger von Professionalität, wo immer man hinschaut. Das erzeugt eine Asymmetrie – der Laie muss sich abhängig machen vom Urteil des Professionellen. Was verspricht nun der Thermomix? Er professionalisiert den Laien, in diesem Fall den Kochlaien. Das klingt paradox und ist es auch. Der kulinarische Laie expertisiert sich und wird mittels der Technik des Gerätes zum Profi und durchbricht somit die Magie des Professionellen.

Tilman Allert

Ist es dafür nötig, dass auch zahlreiche Sterneköche das Gerät verwenden?
Dass die das auch einsetzen, widerspricht dem nicht. Jetzt geht es weiter, die zweite Antinomie.

Wir lauschen.
Das ist die zwischen Berufstätigkeit und Hausfrauentätigkeit – das ist banal, muss aber festgehalten werden. Beidem gerecht zu werden schafft kaum jemand, jedenfalls nicht ohne schlechtes Gewissen. Der Thermomix suggeriert nun, dass ich mit seiner Hilfe das Kochen erheblich rationalisiere. Zeitaufwand, das Nachdenken über die Subtilität des Würzen – das nimmt die Maschine einem alles ab. Somit wird Zeit freigesetzt für Mutterschaft, respektive Elternschaft. Es folgt die dritte Antinomie.

von Mario Brück, Thorsten Firlus, Sven Prange, Harald Schumacher

Wir sind gespannt.
Gesund essen und kulinarisch raffiniert, das hinzubekommen, bereitet auch Kopfzerbrechen. Wer kulinarisch raffiniert essen will, etwas geschmackvoll zubereiten, der muss Zeit dafür opfern. Demgegenüber geht gesund essen in der Regel nicht mit kulinarisch raffiniert einher. Diese Gesundesser seien langweilig, so das übliche Urteil, weil da kulinarisch nichts entsteht und demgegenüber scheren sich die kulinarisch Motivierten nicht darum, ob das auch gesund sei. Der Thermomix verspricht die Vereinbarkeit dieses Widerspruchs. Mit seiner Hilfe, so die Botschaft, ginge beides. Den Widerspruch hebt die Maschine auf und das macht sie so attraktiv.

Das allein erklärt den Erfolg?
Nein, hinzu kommt noch die Art der kommunikativen Verbreitung. Sie nennen das ja „Direktvertrieb“. Und der folgt der Logik der Gerüchtebildung. Gar nicht im negativen Sinne, sondern, als gelte es, ein Geheimnis, eine Sensation weiterzutragen. Das macht die Kultur der Repräsentantinnen aus. Das sind Menschen, die wie bei Flüsterpropaganda „Hör mal, da gibt es was, das ist sensationell, das musst du dir anschauen.“, vorgehen.



Wenn das alles so ist – warum gibt es eine große Zahl von Menschen, die das Gerät nicht nur nicht haben wollen, sondern es entschieden ablehnen und die Nutzer mit Spott und Häme bedenken?
Es heißt nicht umsonst KochKUNST. Sie heißt nicht zufällig so, es ist eine hohe Kunst, was die Sterne-Köche fabrizieren, selbst wenn seinerseits darum ein Kult gemacht wird. Das ändert nichts an dem Umstand, dass allem Professionellen, also auch der Kochkunst das immanente Merkmal des Magischen innewohnt. Die Menschen, die den Thermomix heftigst ablehnen, wollen sich die Magie der Speisenzubereitung und den Stolz auf die Individualität ihrer eigenen Zubereitung nicht zerstören lassen. Da streiten sich Experten und Laien, siehe der Anfang unseres Gesprächs. Die Experten – wohlgemerkt Hobbyköche, nicht Kochprofis – lassen sich ihre Kundigkeit nicht von einer Technologie aus der Hand nehmen und empören sich darüber, dass der Laie kommt und behauptet, er könne die Magie durch Knopfdruck oder Touchscreen außer Kraft setzen oder sie kopieren.

Diese Art von Liebe und Ablehnung findet man sonst kaum, dem jeweils neuesten iPhone vielleicht noch. Gibt es Parallelen?
Nein, das scheint mir einzigartig. Weil es hier um die Gestaltung einer Lebensführung geht, die mit dieser Maschine auf eine neue Stufe gehoben wird. Ob das faktisch geschieht oder suggeriert wird, spielt für den Verkaufserfolg keine Rolle. Dergleichen Phantasien bilden sich auch beim iPhone, aber der Thermomix hat Tiefendimensionen, die das Smartphone vermutlich nicht erreicht.

Auch wenn die Maschine nach einer Weile in der Ecke steht?
Ob der Thermomix tatsächlich so genutzt wird, wie ich es skizziert habe, interessiert nicht. Entscheidend scheint mir, dass eine Subkultur von Menschen in vergleichbaren alltäglich spürbaren Wertwidersprüchen angesprochen wird. Es ist auch nicht wichtig, ob die Menschen bei Vorwerk sich das so ausgedacht haben.

"Im Thermomix liegt ein Stück deutsche Kulturgeschichte"


Ist er denn auch Statussymbol?
Das ist er zweifellos. Für den Missionar des gelingenden Lebens. So empfinden es die Menschen, die sich einen anschaffen. Die wollen ja auch ihre Umgebung überzeugen. Für die ist es ein Statussymbol, wenn auch nicht wie ein Porsche oder Mercedes. Die Begriffe wie Statussymbol, die wir für Produkte wie den Thermomix anwenden, sind diesem Phänomen gegenüber sperrig, sie treffen es nur bedingt. Wenn, dann ist er so etwas wie der Küchenporsche des kulinarischen Amateurs.

Die sechs Sparten von Vorwerk

Der auch viel Geld verdienen kann.
Absolut, es hat nichts mit dem Einkommen zu tun. Der kulinarische Amateur ist ja vom Sozialmilieu zeitgleich der hyperbeschäftigte Investmentbanker wie die alleinerziehende Mutter. Es ist weder Ober- noch ausschließliches Unterschichtenphänomen und kulinarische Amateure gibt es in allen Schichten. Wir sind in einer Zeit, in der die Kunst des guten Essens abnimmt, deswegen sind die Sendungen mit Meisterköchen so beliebt, da sie häufig nicht in der Lage sind, etwas Schmackhaftes zuzubereiten. Sie widmen dem guten Essen keine Aufmerksamkeit und da sind wir wieder bei der Maschine – das sublimiert sie. Sie nimmt das schlechte Gewissen, dass man eigentlich nicht mehr weiß, wie ein guter Camembert schmeckt.

Wir müssen diese Frage stellen: Würden Sie selber einen kaufen oder besitzen Sie bereits einen?
Vor 20 Jahren habe ich so ein Ding gekauft, als ich als Vater, der unsere Tochter vom Kindergarten abgeholt habe, von so einer – heute Repräsentantin genannten – Verkäuferin angesprochen wurde. Ich bin in eine Müttergruppe geraten. Zu dem Zeitpunkt war ich ein arbeitsloser Soziologe und hatte viel Zeit. Sie erzählte von einem Wahnsinnsgerät. Ich bin dann zu denen nach Hause. Genau, wie man sich es erzählt. Und in nullkommanichts – vermutlich aus einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Neugier auf etwas technisch Raffiniertes, war ich Besitzer des damaligen Thermomix. Er steht heute eingestaubt da. Wir setzen ihn ein, wenn wir Mandeln für einen Nusskuchen mahlen wollen. Und das macht er. Der zerkleinert ja alles. Unabhängig davon, ich habe den Eindruck, im Thermomix liegt ein Stück deutsche Kulturgeschichte vor uns, das mit diesem Gerät zu schreiben ist und das werde ich tun.

Da freuen wir uns drauf.
Da kommt noch mehr hinzu, das kann man in der WirtschaftsWoche ja alles nicht schreiben.

Die zehn größten Direktvertriebe der Welt
Rang 10: Nu SkinDer amerikanische Direktvertrieb verkauft Hautpflegeprodukte und Nahrungsergänzungsmittel. 1984 von Blake M. Roney gegründet ging das Unternehmen 1996 an die Börse. Der Umsatz erreichte 2015 rund 2,3 Milliarden Dollar. Quelle: Screenshot
Rang 9: TupperwareDas Unternehmen wurde vom Chemiker Earl Tupper gegründet. 1946 brachte er Kunststoffbehälter mit Verschluss auf den Markt, in denen sich Essen länger frisch hielt. Doch im Einzelhandel waren sie Ladenhüter. Erst mit dem Vertrieb über Verkaufspartys ab 1951 kam der Durchbruch. Alle 1,2 Sekunden beginnt auf der Welt eine Tupperparty. Mehr als drei Millionen freie Vertriebsmitarbeiter - überwiegend Frauen - arbeiten weltweit für Tupperware, das neben Küchenutensilien auch sechs Kosmetikmarken vertreibt. Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Orlando Florida erwirtschaftete 2015 rund 2,28 Milliarden Dollar. Schwellenländer trugen zwei Drittel zum Umsatz bei. Quelle: PR
Rang 8: NaturaDie Firma wurde 1969 von Luiz Seabra in Brasilien gegründet. Seit 2004 ist der Direktvertrieb börsennotiert. 2015 lag der Umsatz bei 2,4 Milliarden Dollar. Natura zählt heute zu den führenden Kosmetikherstellern Brasiliens. Daneben werden auch Haushaltsprodukte vertrieben. Quelle: Screenshot
Rang 7: PerfectPerfect Resources vertreibt Kosmetika und Hautpflegeprodukte vornehmlich in Asien. Das Unternehmen machte 2015 einen Umsatz von 3,5 Milliarden Dollar. Gegründet wurde der Direktvertrieb von Koo Yuen Kim in Malaysia. Quelle: Screenshot
Rang 6: Mary KayDie Amerikanerin Mary Kay Ash gründete 1963 mit 5000 Dollar Startkapital eine Kosmetikfirma. Inzwischen beschäftigt der Direktvertrieb mehr als drei Millionen selbstständige Vertrieblerinnen in 35 Ländern. Mary Kay erwirtschaftete 2015 einen Umsatz von 3,7 Milliarden Dollar. In Dallas gibt es sogar ein Mary Kay-Museum in Erinnerung an die Gründerin. Quelle: PR
Rang 5: InfinitusDas chinesische Unternehmen verkauft vor allem Produkte der traditionellen chinesischen Medizin. Das Angebot reicht von Soja-Riegeln bis zu Pflanzenessenzen. Der Direktvertrieb wurde 1992 von Lee Man Tat, Chairman der traditionsreichen Lebensmittelherstellers Lee Kum Kee, gegründet. 2015 machte Infinitus einen weltweiten Umsatz von 3,9 Milliarden Dollar. Quelle: Screenshot
Rang 4: VorwerkDas Wuppertaler Familienunternehmen wurde 1883 als Barmer Teppichfabrik gegründet. Kerngeschäft ist heute der Direktvertrieb hochwertiger Produkte. Die Palette umfasst den Staubsauger Kobold, die Küchenmaschine Thermomix, ein neues Heimwerkerset namens Twercs, Kosmetik, Teppiche, Wasserfilter sowie Mittelstandsfinanzierung und Gebäudeservice. Der Umsatz der Gruppe stieg 2015 um 23,9 Prozent auf 3,5 Milliarden Euro (4,0 Milliarden Dollar). Für Vorwerk arbeiten in mehr als 70 Ländern etwa 625.000 Menschen, darunter rund 612.000 selbstständige Berater. Quelle: Handelsblatt Online

Nun sind wir aber gespannt.
Das Gerät kommt aus Barmen! Vorwerk kommt aus Barmen! Barmen zählt zu den Schlüsselregionen der deutschen Wirtschaftsgeschichte! Friedrich Engels, der Kumpel von Karl Marx, kommt aus Barmen. Mitgründer Carl Vorwerk war verheiratet mit einer Nichte von Friedrich Engels. Die Menschen dieser Region stehen unter dem Bann der Idee einer gottgefälligen Lebensführung und die setzt die Anstrengung zur Rationalisierung frei. Innovationen sind demnach religiös motiviert, in der Region um Wuppertal ist es vornehmlich der Pietismus, der auf das Bemühen um Zeitersparnis ethische Prämien setzt. Die ersten Produkte von Carl Vorwerk waren Teppiche, maschinell hergestellt. Entzauberung der Teppichknüpferei, so wie der Thermomix die Kochkunst entzaubert. Praktisch die gleiche Idee. Entzauberung der Magie.

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