Das kulinarische Küchenmärchen in Deutschland scheint nicht enden zu wollen – 300 Restaurants hat die deutsche Ausgabe des französischen Restaurant-Führers Guide Michelin mit mindestens einem Stern ausgezeichnet.
Die Erfolgsstory hat viele glückliche Gesichter, so auch am Abend der Präsentation in Potsdam. Ein Koch, der einen bekommt, wiedererlangt oder einen mehr verliehen bekommt, freut sich zunächst mal. Mit der Auszeichnung ist neben dem Lob fürs Errungene auch die Hoffnung auf mehr Gäste in Zukunft verbunden.
Doch die Story hat einen Haken – mit den Meriten steigen die Erwartungen. Kaum ein Koch mit einem, zwei oder gar drei Sternen, der nicht den Druck verspürt, den es bedeutet, die Sterne zu verteidigen, wie es die Köche oft selbst formulieren.
Aber mit dem (weiteren) Stern steigt häufig der Druck – im doppelten Sinne: Eben nicht nur der Leistungsdruck, sondern auch der Kostendruck. Um die vermeintlich exklusivere Küche anbieten zu können, geben die Küchenchefs oft mehr Geld für exotische Zutaten oder innovative Technik aus. Kevin Fehling hat in seinem Restaurant „The Table“ deshalb strenge Reservierungsregelungen eingeführt und setzt auf feste Essenszeiten, um die Abläufe effizient und damit günstiger zu halten.
Nur wenige Sterne-Restaurants sind eigenständig erfolgreich
Sebastian Frank will diesem Teufelskreis mit einem anderen Ansatz entkommen. Der Berliner Koch (2 Sterne) versucht in seinem Restaurant „Horvath“ mit regionalen Gemüsen und Verzicht auf die typischen Luxuszutaten wie Trüffel, Gänseleber, Kaviar, Seezunge oder Wagyu seinen Wareneinsatz niedrig zu halten und dennoch ein außergewöhnliches Erlebnis zu servieren – was ihm laut den Testern mit Gerichten wie „Geflämmter Forelle mit weißer Schokolade und Senfsaat“ oder „Blattkohl mit Kukuruz, Holzkohlenmayonnaise, Meckatzer Sonntagsbräu“ auch 2017 gelungen ist und er sich über zwei Sterne in der Ausgabe für 2018 freuen darf.
Frank ist wie Vincent Moissonnier vom gleichnamigen Restaurant in Köln einer der wenigen, die allein mit dem Betrieb eines Restaurants auf diesem Niveau auch wirtschaftlich erfolgreich sind. Das gelingt den wenigsten. Seit Jahrzehnten sind es häufig Restaurants in Hotels, denen es gelingt, Luxusküche anzubieten, da Gourmets nicht nur das große Menü, sondern auch gleich ein oder zwei Übernachtungen mit reservieren.
3, 2, weg
Die Restaurants mit drei Michelinsternen sortiert nach Orten:
- Restaurant Bareiss im Hotel Bareiss in Baiersbronn
- Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn
- Vendome im Grandhotel Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach
- The Table Kevin Fehling in Hamburg
- Atelier im Bayerischen Hof in München (neu)
- La Vie in Osnabrück
- Victor's Fine Dining by christian bau in Perl
- Überfahrt Christian Jürgens in Rottach-Egern
- GästeHaus Klaus Erfort in Saarbrücken
- Waldhotel Sonnora in Wittlich/Dreis
- Aqua in Wolfsburg
Die Restaurants mit zwei Michelinsternen, sortiert nach Bundesländern:
- FACIL Berlin
- Fischers Fritz Berlin
- Horváth Berlin
- Lorenz Adlon Esszimmer Berlin
- reinstoff Berlin
- Rutz B Berlin
- Tim Raue Berlin
- Schlossberg Baiersbronn
- Ophelia Konstanz
- Opus V Mannheim
- Le Cerf im Wald & Schlosshotel Friedrichsruhe in Öhringen/Friedrichsruhe (neu)
- Le Pavillon in Bad Peterstal-Griesbach
- ammolite – The Lighthouse Restaurant Rust
- Hirschen in Sulzburg
- Restaurant Heinz Winkler Aschau im Chiemgau
- AUGUST in Augsburg
- Dallmayr in München
- EssZimmer in München
- Geisels Werneckhof in München
- Tantris in München
- Essigbrätlein in Nürnberg
- Kastell in Wernberg-Köblitz
- Lafleur in Frankfurt am Main
- Schwarzenstein Nils Henkel in Geisenheim (neu)
- Haerlin in Hamburg
- Jacobs Restaurant in Hamburg
- Süllberg – Seven Seas in Hamburg
- Keilings Restaurant in Bad Bentheim (neu)
- Sterneck in Cuxhaven
- Rosin in Dorsten
- Im Schiffchen in Düsseldorf
- Le Moissonnier in Köln
- Steinheuers Restaurant Zur Alten Post in Bad Neuenahr
- schanz. restaurant. in Piesport
- BECKER'S in Trier
- Meierei Dirk Luther in Glücksburg
- Söl'ring Hof in Rantum auf Sylt
- Courtier in Wangels (neu)
- Falco in Leipzig
Schließungen, Aufgaben, Preisanstiege, Abwertungen – oder die Verleihung eines Sterns. Die Gründe für den Verlust von Sternen im Guide Michelin sind vielfältig. Diese Restaurants haben einen oder mehrere Sterne verloren, aus unterschiedlichen Gründen.
- Helbigs Gasthaus in Aschaffenburg/ Johannesberg
- Rilke Restaurant Kerzenstube in Backnang
- Brenners Park-Restaurant in Baden-Baden
- kochZIMMER in Beelitz
- Les Solistes by Pierre Gagnaire in Berlin
- Schwarzberg – Lammershof by Schwarz in Birkenau
- Tiger-Gourmetrestaurant in Frankfurt am Main
- Weinsinn in Frankfurt am Main
- Sra Bua by Juan Amador in Frankfurt am Main/ Neu Isenburg
- Die Ente in Ketsch
- Landgasthof am Königsweg in Kirchheim unter Teck/Ohmden
- Villa Rothschild Kempinski in Königstein im Taunus
- Die Residenz im Herrenhaus in Leipzig
- Schuhbecks in den Südtiroler Stuben in München
- Coquille St. Jacques im Parkrestaurant Nodhausen in Neuwied
- Landgasthof Adler in Rosenberg
- Maiwerts in Rottach-Egern:
- scheel's in Stralsund
- Schwingshackl ESSKULTUR in Tegernsee
- Tom Wickboldt in Usedom/Heringsdorf
- Saphir in Wolfsburg
Unter den vier erstmals für die 2018er-Ausgabe mit zwei Michelinsternen ausgezeichneten Restaurants ist mit dem „Keilings“ in Bad Bentheim lediglich eines nicht Teil eines Hotels.
Für den Hotelier Thomas Althoff sind seine Restaurants mit drei Sternen („Vendome“ in Bergisch Gladbach und „Überfahrt“ in Rottach-Egern) seit langem Teil der Unternehmensstrategie und die Chefköche Joachim Wissler und Christian Jürgens nicht nur Stars in ihrem Gewerbe, sondern auch Führungskräfte im Range eines Hoteldirektors in Althoffs kleinem Imperium.
Der über Jahrzehnte im Hotel „Traube Tonbach“ Primus inter Pares der Elite, Harald Wohlfahrt, war bis zu seinem für viele überraschenden und eher unschönen Ende in der Schwarzwaldstube beides: Profiteur einer großen Organisation, die für die Infrastruktur sorgte und kulinarisches Aushängeschild, das strahlte und Gäste ins Schwarzwälder Tal lockte. Sein Nachfolger, Torsten Michel, konnte die drei Sterne in der Ausgabe 2018 halten.
Dass das nicht immer so sein muss, weiß Nils Henkel, der als Nachfolger von Dieter Müller den Verlust des dritten Stern verkraften musste. Nach einer längeren Pause ist er auf Schloss Schwarzenstein im Rheingau nun wieder sehr erfolgreich und wird vom Guide Michelin auf Anhieb mit zwei Sternen ausgezeichnet. Auch dort wirkt er als Küchenchef eines bestehenden Restaurants eines Luxushotels.
Hinter vielen Sternetempeln stehen Unternehmer
In einigen Fällen beginnt die Geschichte eines Sternerestaurants mit einem ausgeklügelten Geschäftsmodell – wie etwa bei Daniel Achilles, der 2008 einen Business-Plan-Wettbewerb in Berlin gewann und damit die Berliner Volksbank für sein Restaurant-Vorhaben gewinnen konnte. „Wären wir da nur Platz 5 oder 25 geworden“, so Achilles damals, „dann hätten wir die Finanzierung mit der Bank wohl nicht hinbekommen.“
Viel häufiger verhilft jedoch nicht ein detaillierter Plan zu dem Wunsch nach Erfolg bei Gast und Kritiker, sondern der Wunsch eines Unternehmers, als Gastronom zu wirken. In Deutschland gibt es gleich mehrere erfolgreiche Beispiele: Reinhold Würth betreibt Hotels inklusive hoch dekorierter Restaurants. Das „Le Cerf“ im Wald & Schlosshotel Friedrichsruhe hat dieses Jahr seinen ersten Stern erhalten.
Weiter nördlich in Osnabrück kooperiert Ex-RWE-Chef Jürgen Grossmann seit Jahren erfolgreich mit Thomas Bühner. Im „La Vie“ in der feinen Stadtvilla kann auch dieses Jahr der dritte Stern gefeiert werden.
Der Wunsch nach dem eigenen Restaurant mit Auszeichnung treibt bisweilen überraschende Blüten. In Mannheim konnte das „Opus V“ in kurzer Zeit mit „Casual Dining“ – also Genießen in Freizeitkleidung – sich unter die lediglich knapp 40 Restaurants mit zwei oder drei Sternen in Deutschland arbeiten. Die Besonderheit des Restaurants ist seine Lage im Obergeschoss des Modehauses Engelhorn: Der Chef des Modehauses ist selbst Gourmet – und hat seine gastronomischen Ambitionen kurzerhand im eigenen Laden umgesetzt.
Die Branche klagt, die Spitzenküche floriert
Auch ein Freizeitpark mit Achterbahn und einem Haufen an Fastfood-Buden ist kaum der Ort, an dem Gourmets große Küche erwarten würden. Wer bei Rust jedoch Haute Cuisine mit zwei Sternen erleben will, muss ins „Ammolite – The Lighthouse Restaurant“, das die Betreiberfamilie des Europark rund um ihren Chef Roland Mack dort aufzog – Zutritt auch ohne Eintrittskarte für den Freizeitpark. Das kulinarische Engagement wird dort bereits seit 2014 mit zwei Michelinsternen belohnt.
Die ständige Zunahme an hoch ausgezeichneten Restaurants steht dabei im Widerspruch zu den Klagen, die die Branche seit Jahrzehnten verlauten lässt. Zu wenig Umsatz mit zu wenigen Gästen. Zudem die Jonglage aus Kosten für Waren, Werbung und Personal bei gleichzeitig einem Preisgefüge, das mit dem, was in europäischen Nachbarländern möglich ist, nichts zu tun hat.
Dafür ist es für Unternehmer, die mit kühlem Verstand und spitzem Stift ihren Wunsch nach einem Sternerestaurant umsetzen wollen, vergleichsweise leicht, die qualifizierten Kräfte zu finden. Angefangen mit Eckart Witzigmann hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der jungen Köche, die die Fertigkeiten dazu mitbringen, wie eine Lawine vervielfacht. Jedes Jahr stoßen weitere begabte Talente dazu, die mit dem nötigen Rückhalt die geforderte Qualität der Michelintester auf die Teller bringen können.
Im Waldhotel „Sonnora“ in Dreis musste durch den plötzlichen Tod des langjährigen Drei-Sternekochs Helmut Thieltges, sein erst 28 Jahre junger Sous-Chef einspringen. Das Restaurant „Sonnora“ wird auch 2018 mit drei Sternen werben können – Clemens Rambichler, seit 2011 im Betrieb, hat in diesen Jahren den Stil von Thieltges verinnerlichen können.
Diese Probleme eines Sternerestaurants gibt es aber überall. „Ein Drei-Sterne-Restaurant ist nirgendwo auf der Welt ein großartiger Business-Case“, sagt Michael Ellis, Chef des Guide Michelin. Der Amerikaner kennt die Besten der Besten in aller Welt. Doch selbst in der Hauptstadt Frankreichs befinden sich zahlreiche Drei-Sterne-Restaurants in Hotels. „Das ist kein deutsches Problem.“