Sprache „Political Correctness nervt jeden ab einem gewissen Punkt"

Im Bundestagswahljahr wird der Kampf um politisch korrekte Sprache zuweilen hart geführt. Handelt es sich um gesellschaftlichen Fortschritt oder Sprechverbote und Zensur? Eine Spurensuche.

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Es scheint die neue Gretchenfrage für manche zu sein: Wie hältst du's mit der Political Correctness? Im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov repräsentativ erfasst, wie Erwachsene in Deutschland dazu stehen, also was sie zum Beispiel über geschlechtergerechte Sprache denken (KollegInnen, Schüler*innen...) oder ob sie viel über ihre Wortwahl nachdenken, beispielsweise für Schokoküsse keinen der früher gängigen Begriffe benutzen, die als rassistisch und herabwürdigend gelten.

Auf die Frage „Wurden Sie von Ihrem Umfeld schon einmal darauf hingewiesen, dass eine Aussage von Ihnen nicht „politisch korrekt“ gewesen ist?“ antworteten zum Beispiel 62 Prozent „Nein, noch nie“. 22 Prozent „Ja, aber nur sehr selten“; der Rest sagte, dies sei „gelegentlich“ oder „schon öfter“ passiert oder machte keine Angabe. In Bezug auf Minderheiten und Randgruppen stimmte aber die größte Gruppe (42 Prozent) der Befragten der eher lässigen Aussage zu „Ich nutze stets die Wortwahl, die mir gerade in den Sinn kommt. Über eine politisch korrekte Wortwahl mache ich mir keine Gedanken“. Der Aussage „Ich bemühe mich stets, eine politisch korrekte Wortwahl zu nutzen, es gelingt mir jedoch nicht immer“ stimmten 28 Prozent zu.

Über Political Correctness wird dennoch immer wieder heiß diskutiert - besonders in sozialen Netzwerken. Eigentlich soll politisch korrekte - oder besser: respektvolle - Sprache helfen, Diskriminierung zu vermeiden. Doch viele regen sich über diese Bemühungen auf.

Mit dem erstarkten Rechtspopulismus gibt es im Bundestagswahljahr inzwischen auch einige Politiker, die die sogenannte Political Correctness zum Fluch stilisieren, die von einer Sprachpolizei reden. Auch in der YouGov-Studie äußerten sich Befragte in diese Richtung. So gab ein Befragter zu Protokoll: „Mittlerweile geht mir das alles auf die Nerven. Das, was in meiner Kindheit richtig war, soll heute alles falsch sein.“ Wer „Neger“ sage, sei doch kein Rassist.

Das sehen viele natürlich anders: Tahir Della ist seit etwa 30 Jahren Aktivist - er spricht für die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), die sich für die Aufarbeitung kolonialer Spuren in Gesellschaft und Sprache einsetzt: „Debatten in Deutschland sind oft stark davon geprägt, dass die Mehrheitsgesellschaft definieren will, wie über Rassismus gesprochen wird. Die Perspektive der Betroffenen fällt dabei oft hinten runter.“ Della betont, Eigenbeschreibungen seien nie in Stein gemeißelt. „Wir haben in den Achtzigerjahren selbst Begriffe wie „afrodeutsch“ entwickelt; heute sagen wir eher „Schwarze Menschen“. Die Begriffe sind immer in Bewegung. Am einfachsten ist es, die Menschen selbst zu fragen, wie sie bezeichnet werden wollen.“

Schwarze Menschen zählen wie Frauen, Menschen mit Behinderungen, Lesben und Schwule zu den gesellschaftlichen Gruppen, die im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik Rechte und Respekt erkämpft haben. Doch die sogenannte Identitätspolitik - emanzipatorische Bewegungen unterdrückter Gruppen - gerät unter Druck. Mancher sieht in der angeblichen Übertreibung dieser Kulturrevolution hin zu weniger Diskriminierung die Gründe für den Aufstieg von Donald Trump oder Parteien wie der AfD.

Neben den „Damen und Herren“ soll nach Wunsch der Freunde des Genderings der * in Texten die weiteren 58 anerkannten Gender mit einbeziehen. Und viele deutsche Politiker ziehen mit. Aber es gibt was Pragmatischeres.
von Marcus Werner

Die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich gehört seit vielen Jahren zu denen, die in Darmstadt das „Unwort des Jahres“ küren. „Nach der Unwort-Wahl höre ich immer öfter die vorwurfsvolle Klage, man dürfe gar nicht mehr sagen, was man denke. Das ist aber ein Missverständnis gegenüber dem, was zumindest wir Sprachwissenschaftler bezwecken: Wir wollen, dass man sich Gedanken darüber macht, wie öffentlich über das gesprochen wird, was die Öffentlichkeit betrifft.“ Dagegen habe es immer schon heftige Gegenreaktionen gegeben.

„Kritik kann von allen Seiten kommen, je nachdem, worum es in der Sache gerade geht“, sagt Janich. „Ich habe im persönlichen Gespräch oder in der Diskussion nach einem Vortrag aber noch nie erlebt, dass man meiner Argumentation nicht folgen konnte: nämlich dass man Verantwortung zu übernehmen hat - nicht nur dafür, ob und was und wann man etwas sagt, sondern auch dafür, wie man es jeweils ausdrückt. Wenn man also jemanden beschimpft oder in der Öffentlichkeit gar seine Prominenz dafür nutzt, jemanden zu diffamieren oder zu diskriminieren, dann muss man auch damit rechnen, dass andere das kritisieren und dass man sich dafür rechtfertigen oder entschuldigen muss - so wie Sprachkritik sich auch immer wieder legitimieren muss.“

Der Soziologe Armin Nassehi hält die Sensibilisierung der Sprache für eine kulturelle Errungenschaft. Sprachpolitik dieser Art habe eine lange Geschichte. Moralische Überzeugungen seien oft über Ortofonie, also richtige Sprechweisen, durchgesetzt worden, sagt der Münchner Wissenschaftler. Und aktuell? „Es gibt zurzeit einen Kulturkampf zwischen weltoffenen, oder wenigstens ressentimentfreieren, Milieus und jenen Milieus, die ihre Weltsicht vor allem in Form von Zugehörigkeiten und Ausschluss einrichten.“ Dieser Kulturkampf werde nicht nur, aber eben auch auf dem Feld der Sprache geführt. „Bezeichnend ist, dass sich auf beiden Seiten Kämpfe um sprachliche Hegemonie beobachten lassen.“

Die beiden Seiten unterscheiden sich aber grundlegend, wie Nassehi ausführt: „Während auf der rechten Seite mit gezielten Provokationen einer „völkischen“ Definition des Eigenen die Grenzen des Sagbaren ausgetestet werden, bemüht sich eine linke und liberale Form um eine Sprache des Respekts vor dem marginalisierten „Anderen“.“ Diese Bemühungen gerieten in manchen hypersensiblen Milieus an die Grenzen der Benennbarkeit. Nassehi sagt: „Es gibt kein Problem mit der „Political Correctness“, aber ich hadere manchmal damit, dass Benennungspraxen oft zu einem Selbstzweck werden und mit einem heiligen Ernst versehen werden, der in manchen Kontexten lächerlich wirken kann. Das nervt jeden aber wohl ab einem anderen Punkt.“

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