Tauchsieder

Jesus goes Abu Dhabi

Der zweite Akt des Kunstspektakels ist noch absurder als der erste. Der für 450 Millionen Dollar versteigerte Christus-Erlöser von Leonardo wird im Louvre von Abu Dhabi als Kunst-Ikone der arabischen Welt vermarktet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Louvre Abu Dhabi Quelle: dpa Picture-Alliance

Am Ende ist der Auktionssaal ein Club und Jesus ein Popstar. Die 1000 Besucher halten ihre Smartphones in die Höhe und filmen die Bühne ab, sie kreischen und klatschen dem Auktionator zu, zum ersten Mal bereits bei der Marke von 200 Millionen Dollar. Jetzt aber, nach einem 19-minütigen Steigerungsspiel, stehen 370 Millionen im Raum, und ein Mitarbeiter von Christie's legt im Auftrag eines anonymen Telefonkunden noch einmal 30 Millionen drauf - das ist kein Angebot mehr, sondern eine Demonstration totaler Kaufkraft.

Die Menge raunt und stöhnt, der Hammer fällt - und der Saal jubelt einer 0,297824 Quadratmeter großen Walnusstafel zu, ein klassisches Bruststück, das einen ausdruckslos dreinblickenden Erlöser zeigt, in der Linken eine Kristallkugel, die Rechte zum Segen erhoben: Salvator Mundi, Retter der Welt.

Die Kunstwelt registriert sofort, dass an diesem 15. November in New York etwas Außergewöhnliches passiert ist, dass die Maßstäbe des Marktes sich erneut verschoben haben. Der Preis für das um 1500 gemalte Bild übertrifft den bisherigen Weltrekord für Alte Meister um das Vierfache (76,7 Millionen für einen Rubens, 2002), aber das ist es nicht. Das Gemälde ist von zweifelhafter Authentizität und mäßiger Qualität, aufwendig zugeschminkt von einer Restauratorin und bar jeder Aura: kein Blue Chip der Kunstgeschichte, sondern eine Ikone des postfaktischen Zeitalters - ein "epischer Triumph von Marketing und Sehnsucht über Expertenwissen und Realität", so Kunstberater Todd Levin. Vor allem für Christie's.

Das Auktionshaus hat das 500 Jahre alte Werk allen kunsthistorischen Bezügen enthoben, einen fragwürdigen da Vinci aus nacktem Geldinteresse zwischen zeitgenössischer Kunst von Mark Rothko, Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat versteigert. Und damit nicht spektakuläre Kunst, sondern die Kunst des Spektakels verkauft.

Doch seit Donnerstag weiß man: Die Auktion bei Christie’s war nur der erste Akt im absurdesten Theaterstück, das der Kunstmarkt je auf die Bühne gezaubert hat. Denn der zweite Akt gehört einem - immer noch geheimen, vermutlich aber arabischen - Investor, der die  „männliche Mona Lisa“ ersteigert hat, um der „alten Welt“ eine Nase zu drehen und das frisch eröffnete Louvre in Abu Dhabi mit einer Icon-fähigen Renaissance-Ikone zu beschenken. Es kann gar nicht genug Ausrufezeichen geben, um die bizarre Komik dieses Transfers in einem Satz zu unterstreichen: Ein von Christen als „Retter der Welt“ verehrter Messias, gemalt von einem Künstler der Renaissance, die die Gottesebenbildlichkeit und Würde des selbstbestimmten Menschen feiert und damit die Aufklärung des 18. Jahrhunderts vorbereitet, wandert als museales Leit-Bild ins geographische Herz der muslimischen Welt - und schmückt dort eine Kultur, deren Tradition in Kalligraphie und Ornament wurzelt und in der bis heute kontrovers über die Legitimität bildlicher Darstellungen von Menschen gestritten wird.

Was steckt dahinter? Haben wird es hier mit einer neuen, ironischen Form von Beutekunst zu tun, deren Modernität, Reife und Überlegenheit sich dadurch auszeichnet, dass sie auf das Mittel der gewalttätigen Inbesitznahme verzichtet? Die statt dessen den Traum Montesquieus und Kants von einem „süßen Handel“ der sanften Sitten vollendet, um im Wege fantastischer Ablösesummen Leinwandstars anzuwerben - und um mit ihnen eine Völkerfreundschaft zu begründen, die alle religiösen Grenzen überwindet? Oder handelt es sich um subtile Form der Rache für Islamische Museen in europäischen Hauptstädten - für die Gebetsnischen aus Kaschan und Konya etwa, die das Berliner Pergamonmuseum noch heute stolz zu (seinen) „Meisterwerken“ und „Glanzlichtern“ der Kunst aus islamisch geprägten Gesellschaften zählt? 

So ist der Rekordpreis entstanden

Fest steht: Noch nie hat Geld mehr Kunst und Prestige gekauft. Noch nie haben sich Einkäufer Renommee und Ansehen so viel kosten lassen. Und noch nie haben Anbieter Stolz und Nationalehre so leichten Herzens auf den Markt geworfen. Rund 500 Millionen Dollar zahlt die Golfmonarchie dem Louvre für das Recht, seinen Namen in den nächsten 30 Jahren zu verwenden… Rund 500 Millionen Dollar überweist Abu Dhabi für Leihgaben, bis 2027 jedes Jahr 300 Werke aus dreizehn französischen Museen… - längst hat die Kommerzialisierung des Kunstmarkts auch die Museumssäle und Regierungszentralen erreicht.

Ihr Hochamt freilich feiert die moderne Kunst-Geld-Religion immer noch während der Abendauktionen von Christie’s und Sotheby’s - und auch in dieser Hinsicht hat der Verkauf des „Salvator Mundi“ Maßstäbe gesetzt: Ein radikaleres Dementi dessen, was die Kunst des Renaissance-Humanismus ihrem Selbstverständnis nach sein wollte - ein bildlicher Ausdruck des Strebens nach menschlicher Größe und immateriellem Reichtum - ist schlicht undenkbar. Christie's hat Leonardos Gemälde zu einem Readymade herabgestuft, zu einem vorgefundenen und präsentierten Objekt der Dingwelt, „das seinem angestammten Kontext entrissen wurde, um es in einen neuen - und höher valorisierten - Kontext einzuordnen“, so der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich: ein Leonardo als das neue Pissoir der Kunstwelt - exakt 100 Jahre nachdem Marcel Duchamp mit der Ausstellung eines Urinals den traditionellen Kunstbegriff auf den Kopf stellte.

Finanzbranche statt Kulturbetrieb

Ullrich zufolge ist die Auflösung aller Vernunftgründe auf dem Kunstmarkt der größte Preistreiber. Erst durch die Fiktionalisierung seines Wertes wird der Preis eines Kunstwerks vollends zum Skandalon, gerinnt der Kauf zum reinen Synonym monetarischer Kraft: "Indem er sich auf eine aggressiv-obszöne Weise seines Vermögens entledigt, vollzieht der Käufer eine Machtgeste und demonstriert all denen, die weniger oder gar kein Geld haben, seine Überlegenheit."

Tatsächlich versteht den Geldolymp der Kunstwelt nur (noch), wer ihn nicht als Segment des Kulturbetriebs, sondern als Sektor der Finanzbranche begreift. „Es gibt einfach zu viel Geld auf der Welt“, sagte der New Yorker Kunsthändler Lawrence Luhring nach dem Auktionsrekord: „Das ist verrückt. Ich bin fassungslos.“ Aber warum eigentlich? Solvente „Siegerkunst“-Sammler wie der Einlieferer des Salvator Mundi, der russische Unternehmer Dmitri Rybolowlew, oder der US-amerikanische Hedgefondsmanager Steven Cohen haben Zehn-Milliarden-Vermögen angehäuft.

Kaufen sie einen Cy Twombly für 27 Millionen Dollar oder eine Agnes Martin für knapp fünf, dann ist das, als gönnte sich ein Euro-Millionär bei Grisebach in Berlin oder Ketterer in München ein Aquarell für 2500 Euro oder einen Druck für 400.

Gemälde von da Vinci für Rekordpreis versteigert

Ein Künstler wie Gerhard Richter mag die zwölf Millionen Euro, die Christie's 2011 mit seiner Kerze einspielte, "genauso absurd wie die Bankenkrise" finden: "unverständlich, albern, unangenehm". Angesichts der Konzentration von Kapital in der Hand kunstkaufender Milliardäre jedoch ist vor allem Richters Unverständnis unverständlich. Für einen veritablen Bieterwettstreit braucht es zwei Trophäenjäger mit Geldherrscherallüren - das ist das ganze Geheimnis.

Die wachsende Bedeutung von Siegerkunst als Geschäftszweig der Finanzbranche verdankt sich vor allem drei fiktionalen Faktoren: ihrer Krisenresilienz, ihrem Storytelling und ihren monetären Wertspeicherqualitäten. Vor 20 Jahren war die Lage noch übersichtlich: Die Preise für Kunst stiegen parallel zu den Aktienkursen, neue Käuferschichten jagten neuen Prestigeobjekten nach, schnelles Geld suchte Knappheit, Sicherheit, Solidität: Impressionismus, klassische Moderne, fachlich beglaubigte Nachkriegskunst.

Nach dem Finanzcrash 2007 jedoch stiegen die Preise am Kunstmarkt weiter: Die Reichen suchten im Umfeld von Niedrigzinsregimen alternative Investmentformen, und sie kauften, angespornt von einer Politik, die sich anschickte, Steuerflucht zu ahnden, schnelldrehende, zeitgenössische Leinwände: Francis Bacons Porträt of George Dyer Talking, 2009 vom mexikanischen Schuldenmanager David Martinez Guzmán für zwölf Millionen Dollar erworben, spielte im Februar 2014 bei Christie's bereits 42 Millionen Pfund ein.

Ganz ähnlich wie an den Finanzmärkten geht es also auch bei der Kunstspekulation um eine radikale Entkopplung von Preis und Wert, genauer: um autosuggestiv erzeugte Preise, die jeder Grundlage entbehren und gegenüber Argumenten immun sind. Was zählt, ist der Glaube: das Für-wahr-Nehmen dessen, was etwa die Experten der duopolistischen Auktionshäuser Sotheby's und Christie's an Geschichen über die Einzigartigkeit des ein oder anderen Gemäldes in Umlauf bringen. Ihr Bezug zur Realität ist nicht kunstgeschichtlich begründbar, also mit dem Hinweis auf die bleibende Bedeutung eines Damien Hirst, Jeff Koons oder Zeng Fanzhi, sondern erweist sich am Beispiel von Zollfreilagern in der Schweiz: Siegerkunst ist längst auch ein Synonym für Geldwäsche und Korruption geworden.

Wer es ernst meint mit der Kunst und ihrem unschätzbaren Wert, muss den Preisolymp daher meiden: Hier zirkulieren nicht Enthusiasmus und Respekt, sondern Kalkül und Potentatenlust. Sosehr der Kunst-Finanzmarkt mit seinen beiden Distributionszentralen Sotheby's und Christie's in kultureller Hinsicht auf der Ausbeutung des Populären basiert, so sehr folgt er in finanzieller Hinsicht den Interessen einer Elite. "Der Kunstmarkt nervt total", schreibt auf Anfrage der WirtschaftsWoche Christian Boros, der zeitgenössische Kunst in einem Bunker in Berlin präsentiert: "Kunst sollte kein Investment, sondern Leidenschaft und Liebe an Autorenschaft sein."

Boros glaubt an den ästhetischen Eigenwert der Kunst, an ihre Überschussproduktion, an ihren originellen Zugang zu dem, worin "Wahrheit" liegt. Einer wie er sucht den immateriellen Wert der Kunst - und spekuliert nicht auf ständig steigende Preise ihrer Fiktionalisierung.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%