Tischkultur Deutschlands Rückkehr zum Besser-Esser

Seite 2/3

Achtsamkeit und Nachhaltigkeit

Das änderte sich mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit den Alliierten kam der amerikanische Stil in Mode. Und damit eine neue Lässigkeit: Blue Jeans, James Dean, Rock ’n’ Roll – und 1971 dann die erste Filiale von McDonald’s in Deutschland.

Der Trend erst zur informellen und dann schnellen Mahlzeit war damit eingeleitet. Statt des klassischen Sonntagsessens mit Markbrühe, Braten und Pudding-Dessert durfte es fortan auch internationaler sein – und gerne auch etwas einfacher gehen. 1974 kam mit dem Gulasch-Fix das erste Produkt der Maggi-Schnell-Reihe auf den Markt.

Mit weitreichenden Folgen für die Esskultur – was das Essen anbelangt und auch das Gedeck. Die Sets wurden kleiner, der Stil reduzierter, und Funktionalität gewann an Bedeutung: Alles musste spülmaschinenfest sein. Und so verschwanden langsam das Silber, die üppigen Dekorationen und die feinen Materialien vom Tisch.

Zutaten sammeln und pflücken
Die käsig stinkende Frucht des Gingkobaumes enthält einen Kern, der an Pistazien erinnert, der - einmal geknackt - eine milde Frucht enthält. Gesammelt hat sie Koch Dyson Watson-Thomas in Berlin. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche
Die Gäste im Nobelhart & Schmutzig bekommen auch schon mal kleine Möhren mit Creme serviert. Aus dem Umland von Landwirten, mit denen Küchenchef Micha Schäfer zusammenarbeitet, um eine besondere Qualität zu bekommen. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche
Wo beginnt Kochen, wo hört es auf? Dylan Watson macht sich in Berlin auf die Suche nach Produzenten, denen er vertraut. Ein Apfel in verschiedenen Bearbeitungen wird so zu einem Gang. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche
Der Berliner Koch Sebastian Frank vom Restaurant Horvath, mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet, setzt nicht nur auf die aufwändige Verarbeitung von frischen Gemüsen wie Kürbis, sondern lässt über Wochen, Sellerie eintrocknen, bis er so hart ist, dass er geraspelt werden kann. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche
Geflügel, gerade auch Wildgeflügel wie Fasan, sollte vor dem Verzehr in der Regel stets durchgebraten sein. Mit Leichtsinn hat die Verwendung für Köche, die ihre Jäger kennen, dennoch nichts zu tun. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche
Der in Neustrelitz nördlich von Berlin lebende Wenzel Pankratz verwendet nahezu ausschließlich Zutaten vom eigenen Hof. Die Weintrauben wachsen über dem Hauseingang. Das Stück in der Mitte folgt der Idee des "Nose-To-Tail", die die Verwendung sämtlicher Teile des Tieres propagiert. Die auch "weißen Nierchen" genannten Lammhoden offeriert Pankratz lediglich Gästen, die er besser kennt. Quelle: PR
Ist ein Schluck Wasser, der geliert wurde, ein Gericht? Diese Frage stellte beim Cooktank der Koch Andreas Rieger vom einsunternull in Berlin. Der aus dem Schwarzwald stammende Koch nahm Wasser von dort, übergoß es mit Likör aus selbst gesammelten Holunderbeeren und streute Pulver der Kerne darüber. In Japan ist diese Zubereitung als Watercake bekannt. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche

Bis zuletzt. Denn mittlerweile ist das Essen wieder ein Ereignis, eine gefeierte Unterbrechung für schnelllebige Bildschirmmenschen geworden, die ihre Lust an Tradition und Ritual, am Handwerklichen und Haptischen wieder entdecken: an einem edlen Stück Biofleisch etwa, serviert auf einem blendend weißen Edelteller, umrandet von feinem Besteck. Entsprechend wird Porzellan von Foodbloggern auf Webseiten und Instagram nicht solo, sondern fast immer im Zusammenspiel mit appetitlich arrangierten Menüs inszeniert.

Kochen ist, jeder weiß es, zu einer Feierabendkunst avanciert: Die großen, offenen Küchen sind nicht nur Statussymbole, sondern vor allem Theaterbühnen, auf denen der Gastgeber seine Passion präsentiert. Und weil zum Drei-Sterne-Herd kein Ikea-Geschirr passt, investiert der essbewusste Durchschnittsbürger wieder in Teller und Tassen, Messer und Gabel.

Zuletzt wurden mit Porzellan und Besteck nach Angaben des Instituts für Handelsforschung (IFH) in Köln in Deutschland etwa 1,5 Milliarden Euro umgesetzt. Und auch Christina van Dorp, Präsidentin des Handelsverbandes Koch- und Tischkultur, bestätigt: „Es gibt eine Rückbesinnung auf hochwertiges Geschirr, auf die Freude am gedeckten Tisch.“

Sicher, es wäre bedenklich, wenn die Branchenvertreterin etwas anderes sagen würde. Doch ihre Aussagen und Zahlen decken sich mit der gefühlten Wahrheit. In Zeiten, in denen das Achtsame und Nachhaltige prämiert wird, wirken Schnellrestaurants mit Wegwerftellern aus Presspappe von gestern. Den Wandel hin zu mehr Lebensart beobachtet auch Laurenz Lenffer vom gleichnamigen Hamburger Fachgeschäft für Tischkultur. „Die jungen Leute achten auf die Umwelt“, sagt er, und also auch auf das, was sie täglich zu sich nehmen: „Entsprechend genießen sie ihr Essen in Ruhe, auf Porzellan, mit Glas und Besteck.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%