Tourismus Die Reise zum Film

Die Reise zum Filmset: Timberline Lodge aus

Setjetter wählen ihre Urlaubsziele nach Drehorten. Hotels freuen sich über den plötzlichen Andrang, Bürgermeister sind gespaltener Meinung.

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Vor ein paar Jahren arbeitete Andrea David in einem Reisebüro. Die meisten Kunden achteten bei der Buchung ihres Urlaubs auf das Klima, auf den Preis oder darauf, wie viele Sterne das Hotel hatte. Doch eines Tages hatte ein Kunde einen Sonderwunsch – und als er sich zu Andrea David setzte, konnte sie nicht ahnen, dass er ihren weiteren Werdegang prägen würde.

Der Mann wollte seine Reise entlang der Drehorte des „Pferdeflüsterers“ buchen. Der Film mit Robert Redford in der Hauptrolle spielt hauptsächlich im Süden des US-Bundesstaats Montana, im verschlafenen Städtchen Big Timber, auf einer Rinderfarm am Fluss Boulder River, umgeben von grünen Wiesen.

David fand dieses Kriterium faszinierend. Deshalb beschäftigte sie sich mit dieser besonderen Art der Urlaubsgestaltung in ihrer Diplomarbeit am Ende des Tourismusstudiums – und eiferte ihr nach dem Abschluss nach. Ihr erster Trip führte sie 2005 nach North Carolina, Schauplatz der Serie „Dawson’s Creek“ und des Films „Forrest Gump“. Damals war die Reise an ehemalige Sets noch ein Hobby. Inzwischen ist es ihr Beruf.

Andrea David ist die bekannteste deutsche Setjetterin. So nennen sich Menschen, die das Ziel ihrer Reise nach Filmschauplätzen auswählen. Tatsächlich wird sie von Tourismusämtern und Produktionsfirmen darin unterstützt, die Welt zu erkunden.

In den vergangenen Monaten besuchte sie Orte in Irland, den USA und Kanada. Sie schreibt, spricht, lehrt und berät zum Thema. Und auf ihrem Blog Filmtourismus.de berichtet sie von ihren Trips. Mehr als 100 000 Menschen besuchen ihre Seite monatlich; rund 54 000 Nutzer folgen ihr bei Instagram. Besonders häufig per Mausklick goutiert und kommentiert werden Bilder, die den Drehort zeigen und in die David eine Aufnahme aus dem entsprechenden Film hält.

Woher aber rührt die Begeisterung, zu Filmschauplätzen zu pilgern? Was hoffen die Kinofans zu finden? Ist das Phänomen eine Nische für Schauspieler-Groupies, eine neue Form von Eskapismus? „Drehorte sind Sehnsuchtsorte“, sagt Andrea David, „sie bekommen durch einen Film oder eine Serie eine neue Bedeutung und Aura.“ Es gehe darum, die fiktive und reelle Welt miteinander zu verschmelzen. Und wohl auch darum, physisch Teil der Welt zu werden, in der man sich als Zuschauer psychisch zu Hause gefühlt hat. Studien des US-Senders Fox zeigen, dass Zuschauer, deren Lieblingsserie abgesetzt wurde, mit klassischen Entzugserscheinungen reagieren. Was also liegt näher als der Wunsch, den Protagonisten und ihren Lieblings- und Lebensstätten so nahe wie möglich zu kommen?

Mehr als ein Hype

Dass das Setting von Filmen und Serien Sogwirkung entfaltet, ist nicht neu, auch nicht, dass Produktionen von „Magnum“ (Hawaii) bis „Donna Leon“ (Venedig) buchstäblich vom Ort des Geschehens leben. Heute allerdings ist das sogenannte „bingewatching“, also der exzessive Konsum von Serien, so populär geworden, dass manche Menschen nicht einfach nur einschalten, um abzuschalten. Stattdessen nähern sie sich ihrer Lieblingsserie mental und körperlich regelrecht an. Der globale Erfolg von mehrstaffeligen Produktionen, die auf Plattformen wie Amazon Prime oder Netflix laufen, befeuert das Phänomen. Das britische Marktforschungsunternehmen TCI Research/Travelsat geht davon aus, dass 40 Millionen Menschen weltweit ihre Reiseziele vor allem aufgrund ihrer Film- und Fernsehfavoriten aussuchen.

„Filmtourismus ist mehr als ein Hype“, sagt Anton Escher, er ist „ein Massenphänomen“. Der 62-Jährige ist Professor für Geografie an der Universität Mainz und spezialisiert auf die Wechselwirkungen von Fiktion, Imagination und Realität. Vor ein paar Jahren wurde er von Kollegen noch ausgelacht, wenn er mit seinen Studenten nach Arizona oder Irland aufbrach, um vor Ort mit verkleideten Cyberkriegern oder Harry-Potter-Fans zu sprechen. Doch das Kichern ist den Kollegen längst vergangen.

Tatsächlich profitiert die Reisebranche vom Boom des Filmtourismus. Schauplätze-Hotels zum Beispiel sind besonders beliebt, da hier die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion am leichtesten zu verwischen sind: Anders als in Filmstudios braucht es wenig Fantasie, sich vorzustellen, wie der Hauptdarsteller durch dieselbe Lobby schreitet wie vor ein paar Jahren auf der Leinwand. Und wenn nicht, reicht das schöne Gefühl, ein nachholender Komparse am Set zu sein.

Diese Reise-Irrtümer können richtig teuer werden
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Nach dem Erfolg von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ war das britische Crown Hotel im idyllischen Amersham drei Jahre lang ausgebucht. Ähnlich erging es dem Park Hyatt Hotel in Tokio, nachdem „Lost in Translation“ 2003 den Oscar gewann. Auf den Florida Keys gelangte das Moorings Village and Spa durch die Netflix-Serie „Bloodline“ zu Ruhm. In Zermatt treffen dank der BBC-Spionageserie „The Night Manager“ Gut und Böse im Chalet Hotel Schönegg aufeinander. Und das Hotel Timberline Lodge im US-Bundestaat Oregon wird bereits seit 1980 von Gruselpilgern und Stanley-Kubrick-Fans besucht – wegen der Verfilmung des Horrorstreifens „The Shining“. Zimmer 217 dürfe er unter keinen Umständen betreten, wird dem kleinen Danny im Film eingetrichtert; als er es nicht lassen kann, attackiert ihn der Geist einer Selbstmörderin. Wer heute in Room 217 schlafen möchte, muss jahrelang warten.

Aber auch kleine Heimathäuser erfahren aufgrund der Serieneuphorie plötzlich, was Massentourismus heißt. Das Romantik-Hotel Bergström in Lüneburg etwa, ein bisschen plüschig, ein bisschen piefig und zentraler Dreh- und Angelpunkt der ARD-Telenovela „Rote Rosen“, weiß kaum wohin mit den vielen Anfragen, seit das Herzschmerzspektakel 2006 hier seinen Anfang nahm.

Kai Hillmann ist Geschäftsführer von Entertain Tours, dem ersten deutschen Reiseveranstalter für Filmtourismus. Er entwickelt Reisen und Touren zu Film- und Themenparks, für Gruppen oder Einzelpersonen. Für alle Fans des Kultfilms „Und täglich grüßt das Murmeltier“ geht es ins amerikanische 6000-Einwohner-Städtchen Punxsutawney im US-Bundesstaat Pennsylvania. „Rocky“-Fans können Drehorte in Philadelphia besuchen, etwa die Steintreppe mit 72 Stufen.

Besonders beliebt ist derzeit eine Reise nach Dubrovnik. Die Kleinstadt an der Adria ist bereits für sich ein Touristenmagnet. Doch in den vergangenen Jahren erfreute sie sich ungeahnter Popularität – wegen der HBO-Serie „Game of Thrones“. Das kroatische 44 000Einwohner-Örtchen dient in der Serie als Kulisse von Königsmund, ein zentraler Schauplatz der Serie. „Als wir Dubrovnik das erste Mal sahen, war das ein Schock“, sagte einst David Benioff, einer der Autoren und Produzenten, „weil die ganze Stadt genau so aussah, wir wir uns das ausgemalt hatten.“ Für Dubrovnik selbst ist die neue Beliebtheit Fluch und Segen zugleich. Bürgermeister Mato Franković kündigte kürzlich an, die Zahl der pro Tag erlaubten Besucher an der berühmten Stadtmauer künftig auf 4000 zu beschränken.

Hollywood in Görlitz

Während die einen sich abschotten, reizen die anderen ihre Beliebtheit aus. Andrea David nahm ihre virtuelle Fangemeinde zuletzt auf einen Ausflug mit zum Kellerman’s Resort, Drehort der Kultschmonzette „Dirty Dancing“. Das Hotel im US-Bundesstaat Virginia heißt zwar in Wahrheit Mountain Lake Lodge, aber um nüchterne Wahrheiten geht es nicht in dieser Geschichte.

Die Hotelbetreiber jedenfalls haben die kommerziellen Chancen des Kultfilms rechtzeitig erkannt und ein Begleitprogramm arrangiert. Ein mit viel Historie und Liebe aufgeladenes Dirty-Dancing-Wochenende ist ganzjährig zu buchen. Außerdem gibt es Drehort-Führungen, Tanzkurse und Schnitzeljagden. Selten sei sie einem Film so nah gekommen, ließ David die digitale Welt nach ihrer Rückkehr wissen. Da macht es auch nichts, dass der benachbarte See, Szenerie der berühmtesten Hebefigur der Filmgeschichte, seit 2008 ausgetrocknet ist.

„Filmtourismus schafft eine Verbindung zu Menschen, die man als Filmcharaktere in gewisser Weise zu kennen glaubt“, sagt Stefan Rösch, Betreiber der Website Filmquest, die Filmstätten dokumentiert. Er lebt in Neuseeland und weiß, wovon er spricht. Kaum ein Land hat durch Filme so viel Aufmerksamkeit erfahren wie der Drehort von „Herr der Ringe“.

Manche Besucher kommen ins liebliche Hobbingen, ohne den Film jemals gesehen zu haben. Andere, weil sie die drei Teile immer und immer wieder konsumieren. Doch fast alle Neuseeland-Touristen sind der Ansicht, dass ein Besuch der Set-Welt zum standardmäßigen Reiseprogramm gehören sollte.

Nur manchmal geraten die Welten durcheinander. Das „Grand Budapest Hotel“ etwa ist nicht nur ein sehenswerter Wes-Anderson-Film, sondern auch ein Anziehungsort für viele Fans. Wie groß aber war die Enttäuschung der Reisenden, als sie feststellen mussten, dass es das Hotel in Wirklichkeit gar nicht gibt? Und dass der Film stattdessen in einem leer stehenden Kaufhaus in Görlitz gedreht wurde? Auf der Bewertungsplattform Tripadvisor finden sich trotzdem mehr als 300 Beiträge, die das imaginäre Hotel preisen. So also sieht sie auch aus, die Realität des Filmtourismus.

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