Mode Trachten-Look ist wieder en vogue

Dirndl und Janker liegen im Trend. Junge Modemacher setzen auf den Trachten-Look. Nicht nur zum Oktoberfest.

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Der Dresscode klang ganz anders als bei den Partys, zu denen Günter Netzer sonst geht. „Trachtig-sommerlich“, stand auf den Einladungskarten, als Franz Beckenbauer mit seiner Frau Heidi im Juli in Tirol Hochzeit feierte. Die Braut trug ein lindgrünes Dirndl vom Kitzbüheler Edelschneider Eder, der Fußballkaiser einen Janker, seine Lieblingsuniform. Und auch viele der weiblichen Gäste wie Thea Gottschalk oder Elvira Netzer erschienen geschnürt, dekolletiert oder beschürzt an der Seite ihrer behornten Gatten beim Tiroler Stanglwirt. Den Hinweis auf volkstümliche Kluft werden Gäste künftig öfter lesen. In Deutschlands Boutiquen herrscht das Alpenglühen. Applizierte Herzchen, Brezeln oder Hirschgeweihe haben Hochkonjunktur; Hornknöpfe, Loden und Mieder erleben eine Renaissance, sie sind aus den Kollektionen und Auslagen nicht mehr wegzudenken. Und das längst über die Landesgrenzen von Bayern hinaus. Vor zehn Jahren trugen junge Frauen noch Jeans im Festzelt des Oktoberfests, heute dominiert wieder das Dirndl – gern auch superkurz oder knallbunt. Junge Labels wie Jo&Sch bieten Tops an, die Volksfest oder Grüzi Gott heißen. „Tracht ist Pracht“, lobt die Modebibel „Vogue“ und schwärmt neuerdings vom „Alpen-Glam“. Wer mit der Lufthansa ab München nach Asien oder Nordamerika fliegt, wird im September von einer Crew mit Stewardessen in blauen Dirndln bedient. Bis zum Ende des Oktoberfests am Tag der Deutschen Einheit sollen die Flugbegleiterinnen die Gäste auf das größte Volksfest der Welt einstimmen. Im Ausland ist das Bekenntnis zur Tracht schon länger wieder salonfähig. Der österreichische Trachtenhersteller Geiger freut sich über den Erfolg seines Walk-Stoffs in New York und Paris. Das Traditionshaus Tostmann kommt bei Japanern bestens an, Sportalm hat China und Russland als Markt entdeckt. Und was in den Biergärten dieser Welt zum guten Ton gehört, ist mittlerweile auch von den Laufstegen nicht mehr wegzudenken. Mit Dirndln von Escada, Accessoirs von Prada, Miedern von Rena Lange, Loden vom bekennenden Tirolermoden-Fan Karl Lagerfeld oder Knickerbockern von Yves Saint Laurent feiert die Modewelt Ursprünglichkeit und Romantik.

Während der Japaner Yohji Yamamoto, die Italienerin Miuccia Prada oder das Designerduo Dolce & Gabbana bereits in vergangenen Kollektionen folkloristische Elemente in ihren Entwürfen präsentierten, trauen sich erst jetzt auch junge deutsche Designer an die Folklore: „Sie sind unbefangener gegenüber der deutschen Geschichte, sie gehen spielerisch mit den Klischee-Insignien des Deutschen um“, sagt Professorin Gabriele Mentges vom Institut für Kulturanthropologie des Textilen in Dortmund. Wie viel Freude im Spiel ist, wenn Traditionen entstaubt werden, verraten schon die humorvollen Namen der jungen Labels: Alprausch, Adelheid, Luis Trenker oder Florinda Schnitzel. „Mir geht es um eine Neuidentifikation des Begriffs Heimat“, erklärt Heike Ebner, die Markenchefin von Florinda Schnitzel. Die Hauptstadt-Designerin hat mit ihrer "Black Berlin Forest Collection“ Schwarzwaldtracht auf berlinerisch übersetzt mit Jacken aus FDJ-Uniformen samt Tannenzapf-Motiven auf Röcken. Ihre Entwürfe passen ebenso gut aufs Oktoberfest wie zum Prenzlauer Berg. In Hamburg verkauft Renate Born Trachten an Kunden aus der Hansestadt, aus Mecklenburg, Bremen und Australien. „Trachten werden moderner und bleiben lange tragbar“, sagt die Inhaberin der Modeboutique „Die Trachtendiele“ am Hamburger Ballindamm, der ersten Adresse für Trachten in Norddeutschland. „Einen Cocktail aus alter Tracht und Streetwear“ nennt Designerin Carolin Sinemus ihre Kollektionen, die sie gemeinsam mit Zerlina von dem Bussche unter der Marke Sisi Wasabi herausbringt. Der Name ist bei den Berlinern Programm, Sisi, die österreichische Kaiserin, und Wasabi, der japanische Meerrettich, sollen in dieser Kombination für scharfe und gleichzeitig geschichtsträchtige Mode stehen. Mit tradierten Stoffen und modernen Schnitten fertigen sie aus Lederhosen Hot-pants und bringen spielerisch mit Zähnen, Schleifen oder Hörnern frischen Wind in die Volksmode. Sie machen sie großstadttauglich und befreien sie vom Mief nach Heimatverein. Sinemus: „Man entdeckt die eigene Tradition wieder, auf die man stolz sein und die man weiterentwickeln darf.“ In mehr als 20 Ländern auf drei Kontinenten verkauft sie Sisi Wasabi mittlerweile. Auch die Münchner Boutique Loden-Frey, seit über 150 Jahren erste Adresse für Trachten, verkauft Couture von Sisi Wasabi. Daneben bietet Frey Luxuskollektionen etwa von Meindl, exklusive Avantgarde von Poldi Prinz Leopold oder die unter Adeligen wie Caroline von Monaco oder Königin Noor von Jordanien geschätzten Entwürfe von Habsburg an. München ist nach wie vor die Metropole der Modemacher, die auf Trachten setzen. Stefanie Dullien stammt aus Wiesbaden, arbeitete als Designerin für Sportalm und verkauft jetzt in ihrer Boutique im Stadtteil Haidhausen Kindertrachten und Karohemden. „Ich mag die handgearbeiteten Details und Verzierungen“, sagt die 33-Jährige, „Trachten sind einfach zeitlos.“ Der Dirndl-Shootingstar Lola Paltinger stammt aus Mannheim, arbietet aber ebenfalls in München. Für ihre Kollektion Lollipop & Alpenrock verarbeitet sie klassische Formen mit ungewohnten Materialien, etwa Chinabrokat oder Glitzer. Sie verbindet Loden mit Pailletten, bestickt Jeans mit Alpenmotiven und zieht damit Kundinnen wie Giulia Siegel und Nina Ruge in ihren Bann. 2000 Euro kostet im Schnitt ein Dirndl aus ihrem barock dekorierten Laden. Neben einer konservativen Linie baut auch das Trachtenunternehmen Gössl-Salzburg auf eine urbane Zielgruppe und engagierte im vergangenen Jahr Ines Valentinitsch. Die Designerin, die Horror-Rocker Marilyn Manson zu ihren Kunden zählt, ist jetzt für die Damenkollektion des marktführenden Trachtenhauses in Österreich zuständig. Ihr Motto: „Tradition braucht Fortschritt, und Fortschritt braucht Tradition.“ So kennt die Trachtenmode keine Grenzen oder Generationskonflikte mehr. Sie gilt als Luxusoutfit im Bierzelt und im „Pony“ auf Sylt, wird von sogenannten Szene-Girls wie von Top-Managerinnen getragen. „Mit Trachten ist man zu jeder Gelegenheit passend gekleidet“, sagt Frank Asbeck, früherer Grünenpolitiker, Jankerfreund und erfolgreicher Chef des Sonnenenergieanbieters Solarworld. Ob Trachtenmode jedes Mal gut aussieht, ist eine Frage der Haltung. So stellte schon die Punk-Modequeen Vivienne Westwood fest: „Sie können Tracht tragen und angepasst sein. Und Sie können Tracht tragen und genau das Gegenteil eines Konformisten sein. Das hat nur mit Ihrem Esprit zu tun.“

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