Weinguides Überraschendes Stühlerücken beim Gault Millau

Beim Kauf von Wein entscheiden viele Verbraucher auf Basis von Punkten und Bewertungen. Nun tauscht Deutschlands bekanntester Weinführer sein Tester-Team aus.

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Winzer profitieren vom Lob durch Weinführer. Quelle: dpa

Wer seinen Wein im Supermarkt kauft, sieht sich vor dem Regal oft einer erschlagend großen Auswahl gegenüber. Viele Kunden verlassen sich beim Griff zur Flasche Rotwein deswegen auch Medaillen, die auf dem Glas kleben oder einer Angabe von Punkten, die dem Käufer signalisieren soll, wie gut der Wein sein soll.

Diese Punkte werden vergeben bei Wettbewerben, von Fachmagazinen und vor allem Weinführern. Mit Gault Millau, Eichelmann und Falstaff widmen sich in Deutschland gleich drei gedruckte Führer den Produkten der Winzer von Schleswig-Holstein bis Baden-Württemberg.

Beim bekanntesten und einflussreichsten Führer steht wenige Monate vor dem Erscheinen der neuen Ausgabe ein kompletter Umbruch ins Haus. Wenn der Gault Millau im November seine Bewertungen präsentiert, stammen die Punkte nicht von den seit Jahren verantwortlichen Testern.

Für deutsche Winzer war es über Jahre der Gault Millau, dessen Bewertungen mit bis zu 100 Punkten die Verkäufe einzelner Weine nach oben treiben konnte – auch wenn viele der hoch bewerteten Weine oft schon bei Erscheinen des Buchs im November schon ausverkauft waren, wie Kritiker anmerken. Auch die Urteile sind oft umstritten – kalt lassen sie nur wenige.

Die Händler von Aldi bis zum hochwertigen Online-Händler nutzen diese Punkte und Beschreibungen der Weingüter, um dem Kunden die angebotene Ware schmackhaft zu machen. Wer bei Silkes Weinkeller nach einem kalifornischen Zinfandel oder spanischem Tempranillo stöbert, kann sich eine Sortierung aussuchen, die nach den sogenannten Parker-Punkten erfolgt. Die bis zu 100 Punkte des Weinkritikers gelten für Händler wie Käufer als Goldstandard.

1993 erschien die erste Ausgabe – damals schon dabei der Amerikaner Joel Payne. Er wird die kommende Ausgabe 2018, die die Weine des Jahrgangs 2016 bewertet, nicht mehr verantworten. Die Lizenzpartnerschaft hat nach einem Wechsel nun der ZS Verlag, einer Tochter der Edel AG, übernommen. Der kommende Gault Millau Weinguide wird künftig von der Chefredakteurin Britta Wiegelmann verantwortet.

Die Pressemitteilung des Verlages teilte ferner mit, dass Joel Payne als Herausgeber weiter im Amt bleibt. Umso überraschender ist, dass Payne zusammen mit zumindest weiten Teilen seine Testerteams die Tätigkeit für den Gault Millau einstellt. Der Winzer und Weinpublizist Dirk Würtz sieht es gar als einen , gar einen Paukenschlag. Payne, so heißt es, plane mit den meisten der bekannten Verkoster, einen neuen Führer zu veröffentlichen. Dieser, so Würtz, solle unter dem Dach der Marke Vinum erscheinen, eine Fachzeitschrift aus der Schweiz mit einer deutschen Ausgabe – für die unter anderem der nun ehemalige Chefredakteur des Gault Millau, Carsten Henn, verantwortlich zeichnet. Dass dem ZS Verlag der Herausgeber abhanden gekommen zu sein scheint, hat diesen wohl auf kaltem Fuß erwischt.

Wer für den Gault Millau unter seiner künftigen Chefredakteurin Britta Wiegelmann die tausende an Weinen für die kommende Ausgabe beurteilen wird, ist noch unklar.

Was wie eine kleinere Veränderung in der deutschen Verlagslandschaft wirkt, könnte dennoch für die deutschen Spitzenwinzer und Händler von Supermarkt bis Fachhandel spürbare Konsequenzen haben.

Deutschlands größter Online-Händler Hawesko setzt zwar in der Vermarktung inzwischen – ähnlich wie Amazon – auf ein eigenes Bewertungssystem. Die generellen Einschätzungen über ein Weingut, sind für das Weinhandelshaus dennoch auch weiterhin wichtig, um Interesse beim Publikum zu erzeugen. "Flaggschiff des Rheingaus" – so zitiert Hawesko beispielsweise den Gault Millau bei der Anpreisung eines Rieslings aus dem renommierten Weingut Schloss Vollrads.

Selbst Deutschlands beste Weingüter wie Keller aus dem rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim, die internationale Anerkennung genießen und in der Position sind, bestimmte Weine zuteilen zu müssen, führen minutiös die Bewertungen aller Publikationen auf.

Die Produzenten stehen nun vor der Frage, ob sie ihre Weine künftig dem bekannten Team eines neuen Führers oder dem noch nicht genannten Testerteam der bekannten Marke zusenden – oder beiden, oder keinem.

Auch der Verbraucher, der jenseits der Supermarktqualitäten Tipps und Einschätzungen sucht, hat im kommenden Jahr vermutlich die Auswahl aus dann vier gedruckten Weinführern, die allesamt um Aufmerksamkeit der Konsumenten buhlen. Da beginnt dann die Qual der Wahl schon am Regal im Buchhandel.

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