Whisky Der deutsche Highlander

Quelle: PR

Nach dem Brexit könnte sich das schottische „Lebenswasser“, wie Whisky bei den Kelten hieß, verteuern. Was soll’s. Es gibt inzwischen Alternativen – etwa aus Bayern.

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Manchmal beginnt eine gute Geschäftsidee mit einer blöden Wette. Florian Stetter befand sich auf einer Studienreise in Schottland, als der Braumeister seine Kollegen mit der spitzen Bemerkung herausforderte, auch er könne – in Deutschland – einen erstklassigen Whisky herstellen. Niemals, sagten die Kollegen. Ihr werdet staunen, sagte Stetter. Der Wetteinsatz: ein Kasten Weißbier.

Stetter begann zu recherchieren. Er las viel und probierte noch mehr aus. Bis er neben dem perfekten Rezept für seinen Whisky auch seine neue Profession fand. Heute liegt die von Stetter gegründete Destillerie namens Slyrs am oberbayrischen Schliersee, ein Idyll mit grünen Wiesen, Bergen und Segelbooten, die in der Sonne glänzen. Im hauseigenen Verkostungsraum blickt der Besucher von der Bar aus direkt auf 600 Fässer Whisky, die dort lagern.

Stetter selbst hat sich schon vor ein paar Jahren aus dem Betrieb zurückgezogen. Heute wachen sein Bruder Anton und Geschäftsführer Thomas Flothmanns über das Unternehmen. Und Brennmeister Hans Kemenater, der den bayrischen Whisky so sehr liebt, dass er am liebsten zu „seinen“ Fässern in den Verkostungsraum ziehen würde: „Das wäre eine gute Wohnung hier oben“, so der 35-jährige Bayer. Kemenater kennt jeden Inhalt der Fässer ganz genau – und schmeckt heraus, wann der Whisky den idealen Reifegrad erreicht hat.

Ohne diese Begeisterung für einen bayrischen Highlander wäre aus der Wette nie Deutschlands größter Single-Malt-Hersteller entstanden. 150 000 Flaschen verkauft Slyrs mittlerweile pro Jahr. Damit hat das Unternehmen 2016 einen Umsatz von rund fünf Millionen Euro erzielt – und mehr als 50.000 Besucher im vergangenen Jahr an den Schliersee gelockt, die sich die Destillerie ansehen wollten. Eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Und nicht die einzige.

Rund 150 Whiskyhersteller gibt es derzeit deutschlandweit. Und das, obwohl Single Malt hierzulande erst seit etwa 30 Jahren ernst zu nehmend produziert wird. Betrachtet man nur die Anzahl der Whiskybrennereien, gibt es außerhalb von Schottland nirgendwo auf der Welt so viele Produzenten wie in der Bundesrepublik. Das liegt auch an der großen Kundschaft. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie konsumieren rund sechs Millionen Deutsche regelmäßig Whisky. Und der junge Brennboom könnte bald noch einen weiteren Schub erleben: Nach dem Brexit verlassen mit Schottland und Nordirland zwei renommierte Whiskyproduzenten den europäischen Binnenmarkt.

Inwieweit sich das auf die Verfügbarkeit und den Preis der aus Gerste gewonnenen Spirituosen auswirkt, ist noch unklar.

Informationsquellen für Whisky-Liebhaber

Fest steht: Um leere Nosing-Gläser, in denen die goldene Flüssigkeit ihr Aroma optimal entfalten kann, müssen sich deutsche Whiskyliebhaber auch nach einem Brexit keine Sorgen machen. Denn mittlerweile gibt es eine ganze Menge an guten Alternativen zu den bekannten britischen Marken wie Lagavulin und Ardbeg.

Eine davon kommt etwa von der Schwäbischen Alb. Dort ist die Whiskydestillerie Finch zu Hause, die jährlich 250 000 Liter produziert und neben Slyrs zu den großen der deutschen Branche gehört.

Hans-Gerhard Fink führt nicht nur die Destillerie, er ist auch Leiter des Verbands Deutscher Whiskybrenner. Angesprochen auf den Trend zum deutschen Whisky, hat er seine ganz eigene Theorie: „Wir sprechen hier von einer sehr disziplinierten Art des Trinkens“, sagt Fink. „Die wichtigste Zutat bei einem Whisky ist Zeit, nicht nur in der Produktion, sondern auch beim Konsum.“ Eine solche Spirituose genieße man nicht nebenbei, sondern bewusster und in kleineren Mengen. „Whiskytrinken ist kein Sauferlebnis“, sagt Fink. Vielmehr verspricht es Entschleunigung, eine kleine Auszeit vom Alltag. Kurz: honiggoldene Heimeligkeit im Glas.

Und entspricht damit dem Zeitgeist.

„Die Konsumenten schätzen das Handwerk und den Traditionsgedanken im Zusammenhang mit der Herstellung von deutschem Whisky“, sagt Angelika Wiesgen-Pick, Geschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure.

Whiskey aus Bayern statt Ballantines

Schon lange wollen die Menschen nicht nur wissen, was auf ihrem Teller landet oder woher die Sachen aus ihrem Kleiderschrank stammen, sondern eben auch, was sich in ihren Gläsern befindet. Der Trend zum Regionalen hat längst auch das Hochprozentige erreicht. Craft Beer statt Carlsberg, Biowein von der Mosel statt Malbec und eben bayrischen Whisky statt Ballantines.

Die Deutschen trinken zwar immer weniger, aber dafür bewusster. Sie haben 2017 weniger Alkohol getrunken als noch vor 20 Jahren, achten aber im Gegenzug mehr auf Qualität. Sie interessieren sich für Regionen und Herstellungsverfahren. Legen Wert darauf, dass die Produktion auf nachhaltige Art und Weise geschieht.

Die Brennerei am Schliersee erfüllt diese Kriterien. Außer den Fässern, die aus dem Holz der amerikanischen Weißeiche hergestellt werden, sind alle Zutaten des Slyrs-Whiskys regional: Das Wasser für die Destillation stammt aus der Bannwaldquelle der Schlierseer Alpen und liegt damit quasi vor der Haustür, auch die Gerste kommt aus Bayern. Zudem arbeiten die Slyrs-Brenner fleißig an der Verbesserung ihrer Ökobilanz. Seit ein paar Monaten fließen 15 000 Liter heißes Wasser aus der Whiskyproduktion in die interne Heizanlage.

Doch natürlich steht hinter dem Erfolg von Slyrs auch eine durchdachte Vermarktungsstrategie. Rucksäcke, Bonbons, sogar Kerzen mit dem Slyrs-Logo stehen im Verkaufsraum der bayrischen Destillerie bereit. Ein Kult, den große Whiskymarken wie Jack Daniels oder Glenfiddich schon lange zelebrieren. Seit Kurzem kann man bei Slyrs sogar sein eigenes Fass kaufen und darauf hoffen, dass der Inhalt irgendwann einmal an Wert gewinnt. Im vergangenen Jahr wurde ein kleines Kino neben den Verkaufsräumen erbaut, in dem mit einer Art Super-Bayern-Whisky-Werbefilm die Destillerie samt Umland in schönsten Imagebildern vorgestellt wird.

Um ihren Whisky auch Neulingen schmackhaft zu machen, hat man sich bei Slyrs jüngst an eine Sache gewagt, für die sich ein schottischer Brennmeister früher wohl abgrundtief geschämt hätte.

Mitten in der Destillerie, direkt hinter den kupferfarbenen Brennkesseln, steht ein Mini-Eichenfass auf einem Tisch. Thomas Weinberger, 39 Jahre alt, seit April Marketingleiter bei Slyrs, schüttet zunächst Whisky in das Fass, dann eine Flasche Aperol und zum Schluss eine Flasche roten Wermut. Boulevardine nennt er diesen Drink. Der wird im Fass samt Slyrs-Logo an große Hotelbars für spezielle Events verkauft.

Klingt zunächst wie ein Verrat an der bayrischen Brennkunst. Doch Weinberger weiß, was die Leute gern trinken: Neben seinem Marketingjob bei Slyrs ist er amtierender süddeutscher Cocktailmeister und Dozent an der Münchner Barkeeperschule.

„Der Trend geht schon lange weg von den saftigen Drinks und hin zu den High-Volume-Cocktails“, sagt er. So bezeichnet der Profi Mischungen aus verschiedenen hochprozentigen Sorten, wie zum Beispiel den Aperitif Negroni, der aus Gin, Wermut und Campari gemixt wird.

Die Whiskymischung soll neue Kunden an die Spirituose heranführen. Das findet sogar Brennmeister Kemenater okay. Allerdings mit einer Ausnahme: „Wenn jetzt einer den Whisky mit Cola mixt, das fänd ich nicht so toll.“

Der neue Mut zur Mischung zeigt bereits Auswirkungen. Zum einen hat sie die Whiskyszene verjüngt, zum anderen ist sie weiblicher geworden. „Vor zehn Jahren, auf den Whiskymessen, waren unter 100 Besuchern vielleicht zwei Frauen zu finden, heute sind es immerhin 20“, sagt Marketingchef Weinberger.

Offenbar hat Whisky sein Image als Altherrengetränk erfolgreich abgelegt. Mit jeder neu gegründeten Brennerei außerhalb von Schottland wurde das Getränk internationaler, vielfältiger und hipper. Inzwischen ist Whisky ein globales Phänomen, die weltweit größte Brennerei steht in Japan, sie heißt Suntory. Auch in Indien gibt es gigantische Destillerien.

In Deutschland unterliegt die Whiskyherstellung der europäischen Gesetzgebung, die etwa Alkoholgehalt und Lagerdauer regelt. Im Schottland nach dem Brexit gilt das vielleicht nicht mehr. Ob sich dann wieder eine neue Whiskykultur entwickeln wird, in der die Urväter des „Lebenswassers“, wie die Kelten es nannten, noch einmal alle althergebrachten Regeln auf den Kopf stellen? Mal sehen. Bei Slyrs jedenfalls ist man weiterhin entschlossen, sich an neue Trends anzupassen. Dort hängt in der Eingangshalle ein passendes Zitat, es stammt vom Schauspieler Humphrey Bogart: „Man muss dem Leben immer um mindestens einen Whisky voraus sein.“

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