Festspielintendant Jürgen Flimm "Wiedeking ist Faust"

Festspielintendant Jürgen Flimm über das Drama der Wirtschaftskrise, die Arroganz der Mächtigen und seinen Ein-Euro-Job.

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Festspielintendant Jürgen Flimm Quelle: Laif

Herr Flimm, Sie stellen Ihr Salzburg-Programm dieses Jahr unter das Motto „Das Spiel der Mächtigen“. Eine Anspielung auf die aktuelle Wirtschaftskrise?

Als wir das Programm machten, war von einer Krise noch nichts zu merken. Wir wollten uns ganz allgemein mit dem Parallelogramm der Macht beschäftigen, mit dem Wechselspiel von Macht und Unterdrückung. Und jetzt sagen alle: Das war ja prophetisch.

Wie nahe kommt die Wirtschaftskrise den Konflikten des klassischen Theaters?

Zum Teil beängstigend nahe. Nehmen Sie Herrn Madoff: Ein schlichter Betrüger, aber in New York galt er als Finanzgenie, als Master of the Universe. Das erinnert mich doch sehr an die Verblendung von Shakespeares König Lear – der hat sein Imperium längst verteilt und sagt immer noch: Ich bin der Herrscher der Welt. Das bist du doch nicht mehr, kapierst du das nicht, möchte man ihm zurufen. Dieses Sich-Aufspielen, dieses Sich-Hochpumpen, dieses Oben-sein-Wollen um jeden Preis. Das hat mit Selbsttäuschung, mit einem Nicht-hingucken-Wollen zu tun. Schon die alten Griechen sprachen von der Hybris der Mächtigen, von der Arroganz der Macht.

Selbst in Finanzkreisen wird die Krise schon mit den Dimensionen der antiken Tragödie verglichen. Ist Madoff ein moderner Ödipus?

Auf den ersten Blick scheint die Krise mit der Übermacht eines unabwendbaren, tragischen Schicksals auf uns gekommen zu sein. Doch die meisten Banker wussten ganz genau, was sie taten. Und Madoff auch. Das ist in der antiken Tragödie anders. Dort treiben die Protagonisten dem Unglück schuldig-unschuldig entgegen. Wenn Ödipus mit seiner Mutter schläft, weiß er nicht, dass das seine Mutter ist. Er weiß nicht, dass es sein Vater Laios ist, den er an der Weggabelung erschlägt, weil der ihm die Vorfahrt genommen hat.

Heute rasen an dieser Kreuzung die Unternehmen Porsche und Volkswagen aufeinander zu. Hat diese Konstellation genügend dramatisches Potenzial, um sie als Theaterstück auf die Bühne zu bringen?

Das Stück ist noch nicht fertig. Wir sind kurz vor dem Punkt, den die Griechen als Peripetie bezeichnet haben – den Wendepunkt, an dem sich das Schicksal entscheidet. Es wird spannend, wie das ausgeht, bis jetzt ist es toll.

Womit haben wir es zu tun? Mit einer Tragödie? Einer Komödie? Oder einer Seifenoper?

Das wäre sicher eine Superkomödie. Und ein bisschen wie Dallas. Allein zu beobachten, wie Piëch die Fäden zieht, ist theatralisch eine Sensation. Er gibt den funkelnden Bösewicht, der alle gegeneinander ausspielt – eine faszinierende Gestalt. Schon Lessing hat ja mal sinngemäß gesagt: Wenn man wahre Geschichten im Theater vorstellen würde, man würde sie für eine Übertreibung halten. Was uns beim Konflikt zwischen Porsche und VW geboten wird, erscheint unverhältnismäßig gegenüber dem, was wir sonst erfahren. Und Unverhältnismäßigkeit wirkt immer komisch. So wie wenn einer oben auf einem riesigen Stuhl säße und mit langen Armen äße – dann lachen wir.

Wenn Porsche-Chef Wiedeking in Berlin um Staatshilfe bittet – ist das nicht eher grotesk?

Nein, grotesk ist die Finanzwette, mit der er versucht, Volkswagen zu übernehmen. Das ist Goethes Faust, das ist Mephisto. Die beiden wetten ja auch um die Kohle, um den Augenblick, der ewig währen soll: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen, verweile doch! Du bist so schön...“ – das ist, wenn man es mal tief deutet, der Moment des Orgasmus, und der soll dauern. Und die Wette von Porsche kommt unsereinem genauso wahnsinnig vor. Wiedeking ist so eine Art Faust.

Was steckt hinter solchen Ambitionen?

Sicherlich ein viel größeres Maß an Irrationalität, als wir gemeinhin annehmen. Als damals BMW das Desaster mit Rover erlebt hat, habe ich einen mir gut bekannten Vorstand einer Autofirma gefragt: Warum kaufen die so eine Firma? Wir hätten uns damals nie einen Rover gekauft, der galt als Schrottlaube. Wissen Sie, was der zu mir gesagt hat?

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