Management durch Meditation Selbstführung für alle!

Google, SAP, BASF oder dm: Selbstführung gehört in Großkonzernen mittlerweile zum guten Ton. Führungskräfte und Mitarbeiter lernen dabei etwa das gemeinsame Meditieren. Warum die Achtsamkeitslehre wichtig ist.

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In vielen Unternehmen sollen Mitarbeiter durch Meditation lernen, sich besser wahrzunehmen, zu kontrollieren und Entscheidungen zu treffen. Quelle: Fotolia

Düsseldorf Die Kollegen treffen sich zum Mittagessen. Aber statt sich über die Arbeit und das Privatleben zu unterhalten, sitzen sie schweigend beisammen. Jeder Einzelne fokussiert seine Sinne aufs Essen: Wie schmeckt es? Welche Konsistenz hat es? Was macht es mit dem eigenen Körper? Wie schnell geht der Atem? Erst nach mehreren Minuten nehmen sie ihre Kollegen wahr, mit denen sie über das Erlebte sprechen.

Ein achtsames Mittagessen oder eine Meditation waren für Peter Bostelmann vor mehr als zehn Jahren kein Thema. „Das brauche ich nicht“, dachte der SAP-Manager damals, ohne jemals an solch einem Lunch teilgenommen zu haben. „Das ist nur etwas für Menschen, die mit Stress nicht umgehen können.“

Und dann stolperte der Manager selbst in die Achtsamkeitslehre hinein, wie er sagt. Trotz seiner anfänglichen Vorurteile nahm er an einem Kurs teil. „Meine Meditationspraxis hat mich immer weiter gestärkt. Ich konnte besser mit Konflikten umgehen und war klarer ausgerichtet.“ Diese Erkenntnisse behielt Bostelmann erst einige Jahre für sich. Er meditierte nur im privaten Rahmen, bevor er seinem Arbeitgeber vorschlug, ein Achtsamkeitsprogramm in die Unternehmensstrategie von SAP einzubinden.

2012 startete er in Palo Alto eine Graswurzelinitiative, die nach erfolgreichen Pilotprojekten in den USA und Deutschland zu SAPs „Global Mindfulness Practice“ wurde. Nahe San Francisco leitet Bostelmann nun seit mehreren Jahren das Achtsamkeitsprogramm des Software-Riesen.

Denn am wichtigsten Standort der IT- und High-Tech-Industrie der Welt gehört die Achtsamkeitslehre mittlerweile zum guten Ton: Apple, Google und SAP bieten nicht nur Führungskräften, sondern auch Mitarbeitern zahlreiche Programme an, damit sie sich in stressigen Situationen besser wahrnehmen, kontrollieren und Entscheidungen treffen können.

Und auch in Deutschland ist die Achtsamkeitslehre mittlerweile angekommen: Google stellt seinen Mitarbeitern in Hamburg „Power-Napping-Rooms“ zur Verfügung, in denen sie zum Beispiel ein Mittagsschläfchen halten können. Der Chemiekonzern BASF hat ein Führungskräfte-Entwicklungsprogramm konzipiert.

Und auch die Drogeriekette dm bietet Workshops an, bei denen Mitarbeiter lernen, achtsam zu kommunizieren, Konflikte als Chance zu nutzen oder im Team zu arbeiten. „Wir beobachten, dass sich durch das Angebot eine positive Grundhaltung einstellt, die Sicherheit gibt und Raum für Kreativität eröffnet“, sagt Christian Harms, der als dm-Geschäftsführer verantwortlich für das Ressort Mitarbeiter ist.


Mit Unsicherheiten leben lernen

Die Programme deutscher Konzerne bewertet Management-Coach Kurt Faller grundsätzlich positiv. Doch nicht bei allen Unternehmen würde er von „Achtsamem Management“ sprechen. Das Konzept fokussiert seiner Meinung nach drei Ebenen: die Ebene der Selbstführung, des Achtsamen Führens und der organisierten Achtsamkeit. Doch: „Viele Unternehmen bieten zwar Workshops zur Selbstführung an, aber vor allem die organisationale Achtsamkeit wird oft vernachlässigt“, sagt Faller, dessen Buch „Achtsames Management“ Januar 2017 auf den Markt kommt.

Der Mobilfunkanbieter Vodafone sei beispielsweise einer der wenigen Konzerne, der die organisationale Achtsamkeit fördere. Dort hat niemand einen festen Arbeitsplatz, sondern jeder Mitarbeiter besitzt einen Kasten, in dem er seine Arbeitsutensilien aufbewahrt. Täglich müssen sich die Angestellten in der Firmenzentrale in Düsseldorf einen neuen Arbeitsplatz suchen. So sitzen sie immer mit unterschiedlichen Kollegen zusammen. „Indem die Mitarbeiter sich täglich neu organisieren müssen, lernen sie, sich neuen Herausforderungen zu stellen“, sagt Faller.

Denn in Zeiten, in denen die Arbeitswelt durch Globalisierung und Digitalisierung immer komplexer wird, steigt die Unsicherheit unter Arbeitnehmern und Führungskräften. Ob das Unternehmen in diesen schwierigen Zeiten besteht, hängt vor allem vom Verhalten des Chefs ab, meint Faller. „Je komplexer die Situation ist, desto wichtiger wird Selbstführung.“ Einerseits müssen sie in der Lage sein, Mitarbeitern einen klaren Rahmen für ihre Arbeit – und damit Sicherheit – zu vermitteln. Andererseits müssen Vorgesetzte mit der Unsicherheit zurecht kommen, dass sie selbst einer Arbeitswelt ausgesetzt sind, in der sie nicht alles wissen können.

Neben Start-ups gelingt es nach Ansicht von Faller SAP, die Mitarbeiter so auf die komplexe Arbeitswelt vorzubereiten. „In diesen evolutionären Organisationen werden Hierarchien reduziert. Die Teams arbeiten selbstständig und eigenverantwortlich, sodass die Eigenaktivität selbst in schwierigen Zeiten gestärkt wird“, sagt Faller. Das befähigt sie, bei Entscheidungen auf den Kontext der Situation zu schauen und neue Lösungen anzugehen. „Diejenigen Unternehmen, die die Veränderungen am frühesten bemerken und durch entsprechende Strukturen schnell reagieren, sind stärkere als andere Betriebe.“


SAP will das Programm stärker ausbauen

Das ist auch schon bei den Mitarbeitern von SAP angekommen. Seit 2013 hat der Software-Riese fast 3.000 Angestellte in zweitägigen Programmen trainiert. Auf der Warteliste stehen derzeit fast doppelt so viele Mitarbeiter, wie es Plätze gibt. „Die ,Global Mindfulness Practice' ist SAPs populärste Weiterbildung. Es gibt kein anderes Programm mit solch einer langen Warteliste“, sagt Bostelmann.

Er schätzt, dass etwa ein Drittel der Belegschaft ein Interesse daran hat, an einem Kurs teilzunehmen. 24 Trainer hat SAP in zwei aufeinanderfolgenden Gruppen ausgebildet, die nächsten angehenden Lehrer sollen schon bald die Schulbank drücken.

Dabei hatten die führenden Köpfe von SAP anfangs ihre Zweifel daran, dass sich das Programm in der Unternehmenskultur etablieren wird. Der erste Workshop im Silicon Valley stieß auf positive Resonanz. Doch die Zweifel blieben hierzulande bestehen: „Das deutsche Management war davon überzeugt, dass sich die Achtsamkeitslehre im Silicon Valley rentiert, aber sicherlich nicht in Deutschland“, blickt Bostelmann zurück. Doch nach weiteren Workshops im Ausland bot SAP die Weiterbildung auch am Unternehmenssitz in Walldorf an. „Die Ergebnisse waren sogar besser als in den USA“, sagt Bostelmann.

Das weiß der Manager so genau, weil externe Wissenschaftler die Ergebnisse des Coachings auswerten. Im vergangenen Jahr verglichen die Analysten 1.268 Mitarbeiter, die das Training absolviert hatten, mit einer genauso großen Mitarbeitergruppe, die noch nicht daran teilgenommen hatte. Das Ergebnis: „Die Mitarbeiter, die das Training durchlaufen hatten, waren engagierter, hatten ein höheres Vertrauen in die Führungskräfte und fehlten seltener.“ Und: „Der Return on Investment lag bei mehr als 200 Prozent.“

Die Mitarbeiter selbst berichteten, dass es ihnen durch das achtsame Management leichter falle, sich auf Aufgaben zu fokussieren, dass sie kreativer seien und weniger Stress empfänden.

Aus diesem Grund wird SAP das Programm auch in Zukunft weiter ausbauen. Die Mitarbeiter sollen beispielsweise mehr Möglichkeiten bekommen, in Gruppen zu meditieren. Denn das funktioniert in der Gemeinschaft besser als allein daheim. Damit das zu nahezu jederzeit möglich ist, werden zum Beispiel weitere virtuelle Programme mit Videochatfunktion angeboten.

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