Marc Elsberg "Überwachung schadet der ganzen Gesellschaft"

Wer ständig beobachtet wird, duckt sich in die Konformität – neue Ideen, wie sie die Wirtschaft dringend braucht, entstehen so nicht. Bestseller-Autor Marc Elsberg („Blackout“) kritisiert die gläserne Gesellschaft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der österreichische Buchautor ist durch die Recherche zu seinen Büchern zum Experten für die vernetzte Gesellschaft geworden. (Foto: Marc Elsberg)

Seine Geschichten sind fiktiv, aber verdammt nah an der Realität: Marc Elsberg beschreibt in seinen Büchern „Blackout“ und „Zero“ die Gefahren der vernetzten Welt. Im Interview mit dem „Handelsblatt“ warnt er vor einem zunehmenden Macht-Ungleichgewicht zwischen Bürgern und Unternehmen, beziehungsweise Institutionen.

Herr Elsberg – Amazon will uns Produkte liefern, bevor wir sie bestellt haben, unsere Drogerie weiß möglicherweise vor uns, ob wir schwanger sind und der Arbeitgeber, wann wir kündigen wollen. Alptraum oder große Chance für die Menschheit?

Marc Elsberg: In der gegenwärtigen Situation ist es ein Alptraum – noch dazu ein institutionalisierter Alptraum, der offensichtlich sogar von unserem rechtlichen System getragen wird.

Worauf spielen Sie an?

Ich erinnere da immer wieder an ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Demnach muss die Schufa nicht offenlegen, wie sie zu ihren Beurteilungen der Kreditwürdigkeit des Einzelnen kommt. Wir müssen uns dem Unternehmen gegenüber also komplett transparent gestalten, während das anders herum nicht gilt. Wissen ist Macht und die Unternehmen und Behörden wissen teilweise mehr über mich, als ich selbst. Da herrscht ein massives Macht-Ungleichgewicht.

Diese Technik steuert Ihr Haus
Sicherheits-SystemMit seinem Elements-System steigt der Münchner Hersteller Gigaset - bekannt für seine Drahtlos-Telefone - diesen September in die Heimautomatisierung ein. Das Starterpaket aus Türsensor, Bewegungsmelder und Basisstation meldet einer Handy-App, wenn Türen geöffnet und geschlossen werden oder sich jemand im Raum bewegt. Bricht jemand gewaltsam die Haustür auf, erscheint auf dem Handy eine Alarmmeldung. Preis: unter 200 Euro.Bild: Screenshot Quelle: Screenshot
Sachen-SucherOb das Fahrrad verloren geht, der Hund oder Schlüssel: Der GPS-Sensor mit Mobilfunkanschluss des Wiener Startups Locca macht sie per Handy-App auffindbar. Preis: weniger als 100 Euro.Bild: Presse Quelle: Presse
Privat-FernsehenDer taiwanesische Elektronikhersteller Dlink hat eine Überwachungskamera mit Nachtsichtfunktion fürs Eigenheim auf den Markt gebracht: Die DCS-5222L überträgt Livebebilder aus der Wohnung aufs Handy, lässt sich per Smartphone schwenken und zeichnet auf Wunsch automatisch Videos auf, sobald der Bewegungsmelder eine Person erkennt. Preis: 189 Euro.Bild: Robert Poorten für WirtschaftsWoche Quelle: Robert Poorten
Schlauer SteckerDie intelligente Steckdose FRITZ!Powerline 546E des Berliner Anbieters AVM - dem Herstellers des Internet-Routers Fritz-Box - bringt nicht nur einen Internet-Anschluss via Stromleitung in den Raum, sondern lässt sich auch per Smartphone schalten und sie misst den Stromverbrauch der angeschlossenen Geräte. Preis: 99 Euro.Bild: PR Quelle: PR
Smartes StromnetzLampe, Jalousie, Kaffeekocher: Mit den intelligenten Lüsterklemmen namens Digitalstrom des Schweizer Herstellers digitalSTROM sollen sich die verschiedensten Hausgeräte nachrüsten und dann fernsteuern lassen. Die Lüsterklemmen sind mit einem Highvoltchip ausgestattet, kommunizieren über die Stromleitungen und vernetzen so alle Haushaltsgeräte. Den Einbau erledigen fachkundige Installateure. Preis für die komplette Vernetzung einer 4-Zimmer-Wohnung: 3500 Euro.Bild: PR Quelle: PR
Heiz-WartDas Thermostat en:key des Berliner Anbieters Kieback&Peter fährt die Heizung von selbst um vier Grad herunter, wenn niemand mehr im Raum ist. Das soll bis zu 20 Prozent Heizenergie sparen. Besonders innovativ: Der Heizungsregler braucht keine Batterien, sondern gewinnt seine Energie aus dem Temperaturunterschied zwischen Heizung und Raumluft.Bild: PR Quelle: PR
Tor-WärterDas Türschloss Goji des US-Startups gleichen Namens besitzt eine Online-Verbindung und lässt sich vom Smartphone öffnen. Wer will, kann Freunden einen Zugangscode schicken. Eine eingebaute Kamera zeichnet auf, wer das Schloss öffnet. Preis: 280 DollarBild: PR Quelle: PR

Wie könnte ein verantwortungsvoller Umgang der Unternehmen mit unseren Daten aussehen?

Wir müssten selbst entscheiden können, ob erstens gewisse Daten überhaupt gesammelt werden und zweitens darauf basierend Analysen von uns gemacht werden dürfen und drittens die Möglichkeit haben, diese zu bekommen. Viertens müssen wir wissen, wie sie diese Analysen zustande kommen. Das ist eines der großen Probleme: Man erklärt uns, dass diese Analysen sehr genau sind. Dabei basieren sie immer auf Wahrscheinlichkeiten. Was passiert, wenn die Nicht-Wahrscheinlichkeit eintritt, sehen wir, wenn im Drohnenkrieg jemand ermordet wird, der – entgegen der Wahrscheinlichkeit – doch kein Terrorist war. Fünftens darf es uns nicht schaden, wenn wir einen der vorgenannten Punkte verweigern.

Wo sehen Sie den meisten Handlungsbedarf, damit uns die neuen Technologien mehr helfen als schaden?

Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Grundsätzlich beim Schutz der Privatsphäre. Vor allem muss das Macht-Gleichgewicht zwischen dem Individuum einerseits und Unternehmen und Institutionen auf der anderen Seite wieder hergestellt werden. Das ist essentiell wichtig für eine funktionierende Demokratie.

Für Unternehmen sind persönliche Daten über die Verbraucher aber eine Goldgrube…

Einerseits. Andererseits schadet Überwachung der ganzen Gesellschaft – und letztendlich auch der Wirtschaft. Eines der wesentlichen Probleme von Überwachung ist Konformitätsdruck: Man hört auf, anders zu denken und anders zu handeln. Die freie Marktwirtschaft ist aber darauf angewiesen, Innovationen zu schaffen. Es wundert mich eigentlich, dass sich die Wirtschaft über die Wirtschaftsspionage beschwert, aber nicht über dieses grundsätzliche gesellschaftliche Problem, diese mangelnde Innovationsfähigkeit, die da irgendwann entstehen wird.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%