Milliarden-Überschuss Strompreis-Umlage kann erstmals sinken

Im Bundestag kommt es in Kürze zum Finale um die Ökostrom-Reform - doch bereits vor ihrer Verabschiedung zeichnet sich Überraschendes ab. Die Strompreis-Umlage zur Begleichung der Förderkosten kann erstmals sinken - es gibt einen Milliarden-Überschuss auf dem Konto.

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Kosten für Ökostrom: Am 15. Oktober wird die Umlage für 2015 veröffentlicht. Quelle: dpa

Berlin Eines wird Angela Merkel sicher nicht mehr machen. Eine Prognose zur Entwicklung der Ökostrom-Umlage abgeben. Seit sie nach der Atom-Wende Sorgen vor exorbitanten Kosten zu zerstreuen versuchte und eine Obergrenze von 3,5 Cent je Kilowattstunde in Aussicht stellte, verfolgt dies die Kanzlerin. Sie, die sich selten festlegt, langte damals kräftig daneben. Drei Jahre später kann die Bundesregierung erstmals auf ein Sinken der Ökostrom-Umlage hoffen, die heute mit 6,24 Cent rund 18 Prozent des Strompreises ausmacht.

In den Räumen der Denkfabrik Agora Energiewende am Hackeschen Markt in Berlin ist zusammen mit dem Öko-Institut ein Umlage-Rechner erarbeitet worden. In einer neuen Version preist er auch die von Merkel und ihrem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geplante Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ein. Nächste Woche stehen dazu die Fachanhörungen im Bundestag an, dann entscheidet sich, ob wie geplant der Strompreisanstieg zumindest gebremst werden kann.

Wobei Union und SPD durch die Beibehaltung eines Entlastungsvolumens von rund fünf Milliarden Euro für die Industrie bei den Förderkosten für Wind- und Solarenergie die Dämpfung überschaubar halten. Aber die Koalition kann im Herbst trotzdem auf positive Nachrichten an dieser Front hoffen. Die Fachleute haben eine Umlage von 5,84 Cent für 2015 ermittelt, basierend auf den allgemeinen Annahmen der für die Umlage-Berechnung verantwortlichen vier Übertragungsnetzbetreiber.

Damit müsste ein Haushalt bei 3500 Kilowattstunden Verbrauch nur noch netto 204 statt heute 218 Euro Umlage im Jahr zahlen. Berücksichtigt werden dabei Einnahmen durch den produzierten Ökostrom, die erwartete Produktion an Solar-, Wind- und Biomassestrom und die Auswirkungen der Industrierabatte. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, ist persönlich in seinen Prämissen vorsichtiger als die Netzbetreiber, prognostiziert aber auch ein Sinken: „Wir rechnen mit einer Umlage für 2015 im Bereich von sechs Cent je Kilowattstunde.“

Die Umlage für das nächste Jahr wird am 15. Oktober veröffentlicht. Der Grund für den Optimismus liegt nicht in der geplanten Reform mit Förderkürzungen für Windstrom an Land. Sondern dank einer vielleicht zu hoch angesetzten Umlage in diesem Jahr ist das Umlage-Konto dick im Plus: 1,88 Milliarden Euro lautet der Stand. „Wir haben zwei Jahre lang sehr niedrige Kontostände gehabt und ein hohes Defizit gehabt. Das jetzige hohe Plus ist der große Unterschied und hauptverantwortlich für das Sinken der Umlage“, erklärt Graichen.


Entspannung in Sicht

Dabei ist der Ökostromanteil im ersten Quartal auf 27 Prozent gestiegen. Nach Angaben des Branchenverbandes BDEW kletterte die Stromerzeugung von 35,7 auf 40,2 Milliarden Kilowattstunden. Windräder produzierten rund 19 Prozent mehr Strom, Solaranlagen fast 70 Prozent. Gemäß des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ist der zum Anschlusszeitpunkt gültige Vergütungssatz über 20 Jahre zu zahlen - die Netzbetreiber verkaufen den Strom über die Strombörse. Dieser Betrag wird von der Summe aller zu zahlenden Vergütungen abgezogen, der Rest per EEG-Umlage auf die Strompreise gewälzt, in diesem Jahr sind es über 20 Milliarden Euro.

Im letzten Jahr lagen Agora und Öko-Institut mit ihren Schätzungen ziemlich gut. Der Strompreis dürfte zwar trotzdem kaum sinken - aber nach Jahren stetiger Steigerungen wäre Entspannung in Sicht. Wenn nicht im Sommer viel Wind und Sonne die Vergütungszahlungen massiv steigern. Aber es gäbe auch an anderer Stelle Einsparpotenzial: Eine Milliarde weniger an Industrierabatten würde die Umlage um 0,3 Cent senken, betont der Energieexperte des Öko-Instituts, Felix Matthes.

Gabriel sieht dann aber Jobs in Gefahr. „Das Irre ist, dass das neue System viel komplexer ist“, erläutert Matthes. „Jetzt versucht die Bundesregierung das, was sie in Brüssel angerichtet hat, durch ein äußerst kompliziertes Regelsystem wieder einzudämmen“, meint er zur Einigung mit der EU-Kommission, die statt weniger plötzlich mehr Rabatt erlauben würde. Die künftig rund 1600 begünstigten Unternehmen müssten im Schnitt rund drei Prozent der regulären Umlage zahlen.

Auch wenn das EEG für Kritiker zu einem „Subventionsmonster“ geworden ist: Anders als bei Atom- und Kohlestrom sind nach einer hohen Anschubfinanzierung keine unkalkulierbaren Folgekosten für Entsorgung und Umweltschäden zu berappen. Mit am stärksten schlägt der Solarboom von 2010 bis 2012 zu Buche, der Anlagen-Neubau dank einer stetig sinkenden Förderung hingegen kaum. „Selbst bei einem Komplettausbau-Stopp von Wind an Land und Solar läge die nächste Umlage bei rund 5,7 Cent“, sagt Charlotte Loreck, die den Umlagerechner mitentwickelt hat.

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