Mobilfunk 5G Die ferngesteuerte Welt

Erst die neue Mobilfunkgeneration 5G soll den Durchbruch für die Industrie 4.0 bringen. Während die Forschung schon um die ersten Patente wetteifert, fürchten Kritiker das Ende der Netzneutralität.

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Anwendungen aus der Industrie 4.0 wie etwa ferngesteuerte Roboter hängen von dem Erfolg von G5 ab. Quelle: Reuters

Köln Der Chirurg sitzt an seinem Schreibtisch, vor sich einen Joystick. Über einen Bildschirm lenkt er einen Roboterarm, der durch eine kleine Öffnung in den Bauch gelangt und den ersten Schnitt an der Gallenblase ansetzt. Es ist keine Übung und keine Computersimulation. Der Arzt operiert einen Patienten, Hunderte Kilometer entfernt in einem Operationssaal.

So ein Szenario will Christoph Thümmler schon in wenigen Jahren realisieren. „Ein Spezialist für eine bestimmte Operationen muss dann nicht mehr eingeflogen werden“, sagt der Professor für eHealth an der Universität Edinburgh. Stattdessen kann der Arzt die Operation von seinem Standort aus dirigieren.

Die Hoffnung des Forschers liegt auf der nächsten Mobilfunkgeneration, 5G genannt. Künftig sollen nicht nur Mails, Whatsapp-Nachrichten und Youtube-Videos über das mobile Netz laufen – auch Maschinen kommunizieren darüber, Autos fahren autonom und Ärzte operieren aus der Ferne. Unzählige Geräte im Alltag könnten sich eines Tages damit vernetzen. 25 Milliarden Geräte wird es zum Start von 5G im Jahre 2020 geben, schätzt das IT-Marktforschungsinstitut Gartner. Heute sind es gerade mal fünf Milliarden.

Zusammen mit dem chinesischen Netzwerkausrüster Huawei forscht Professor Thümmler am Klinikum rechts der Isar in München, wie sich 5G in der Medizin einsetzen lässt. „Eine geringe Latenzzeit ist bei den Anwendungen der entscheidende Faktor“, sagt Thümmler. Latenzzeit, das ist die Zeit zwischen dem Senden und Empfangen der Daten. Bei heutigen OPs mit einem Roboterarm, bei denen der Chirurg mit im Raum steht, liegt die Verzögerung bei circa 180 Millisekunden. Sobald die Daten über ein Netzwerk in einen anderen Raum übertragen werden, steigt die Latenzzeit. Und die Verzögerung ist dann für einen Arzt zu hoch. „Das Ziel mit 5G ist eine Latenzzeit von fünf Millisekunden“, sagt Thümmler.

An dieser technischen Herausforderung tüfteln Universitäten überall auf der Welt. Seit zwei Jahren arbeiten die Forscher im 5G-Lab der TU Dresden daran: „Wie wir die Bandbreite erhöhen können, das wissen wir – da machen wir einfach unseren Werkzeugkasten auf“, sagt Frank Fitzek, Professor und Vizekoordinator des 5G-Labs. Komplizierter sei die Frage, wie sich die Latenzzeit von einer Millisekunde erreichen lässt. Der ganze Aufbau der Netzwerke müsse sich dafür verändern.

Der Erfolg der vernetzten Fabriken – zusammengefasst unter dem Schlagwort Industrie 4.0 – hängt an dieser Latenzzeit, sonst laufen die Maschinen nicht reibungslos und schnell genug. „Das Material kommt zum Roboter und sagt, was gemacht wird“, sagt der Professor aus Dresden. Auf einem Chip könnten zum Beispiel die Baupläne enthalten sein. „Das erlaubt eine individualisierte Produktion.“ Auch die Roboterarme sind nicht mehr untereinander mit einem Kabel verbunden, sondern funken per 5G. „Das Kabel ist ein Schwachpunkt jeder Industriekette, denn es bricht irgendwann“, sagt Fitzek. Wie sich in der Fabrik 4.0 und anderswo Netze mit verkürzter Latenzzeit konstruieren lassen, erforschen in Dresden 19 Professoren und 500 Forscher.


Das Forschungswettrennen hat begonnen

Der Mobilfunkanbieter Vodafone hat das Potential erkannt und finanziert die Forschung des 5G-Labs in Dresden mit. Andere Industrieunternehmen wie der Netzwerkausrüster Ericsson sind mit an Bord.

Auch die Konkurrenz aus Bonn will bei 5G den Anschluss nicht verlieren: Vor zwei Wochen hat die Deutsche Telekom die Forschungskooperation 5G:haus bekanntgegeben. „Wir wollen mit möglichst vielen Unternehmen zusammenarbeiten, um einem einheitlichen Standard zu entwickeln“, sagt Bruno Jacobfeuerborn, der Technik-Chef der Telekom. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und zwei Institute der Fraunhofer-Gesellschaft sind zum Beispiel bei dem Projekt dabei; weitere Industriepartner – wie Automobilunternehmen – kündigte Jacobfeuerborn an.

Das Forschungswettrennen um die neue Technik hat begonnen: Huawei hat ein Testumgebung in München errichtet, die Kooperation mit dem Klinikum ist ein Teil davon. Und auch an der Universität Duisburg-Essen suchen sie nach der passenden 5G-Technik. Überall in Europa, Asien und den USA gibt es weitere Forschungsprojekte. Entscheidend ist am Ende, wer die wichtigen Erfindungen als die seinen anmeldet. „Es wird einen Kampf um die Patente geben, das ist immer so“, sagt Fitzek.

Vorrang für bestimmte Daten

Politisch schwelt bei dem Thema seit Längerem ein Konflikt. Es geht dabei um die sogenannte Netzneutralität, also die Frage, ob bestimmte Daten Vorrang im Netz haben sollten. Erst kürzlich hatte eine Äußerung von Digital-Kommissar Günther Oettinger die Debatte befeuert: „Ist es wichtiger, dass im Auto hinten rechts die sechsjährige Tochter hockt“ und Musik herunterlädt – oder sei die Verkehrssicherheit wichtiger, fragte er bei einer Diskussion. Wenn es etwa um Gesundheitsdienste oder autonomes Fahren geht, will Oettinger diesen Daten den Vorrang lassen.

Seine Kritiker halten die Argumente für vorgeschoben. „Wir sind nicht überzeugt. Und haben auch in der US-Debatte keine Auto-Industrie vernommen, die vor Netzneutralitätsregeln gewarnt hat“, schreibt etwa Markus Beckedahl auf dem Internetportal Netzpolitik. Sie fürchten in Zukunft ein Zwei-Klassen-Internet. Beckedahl verweist auf den Technik-Blog Golem, der zu dem Thema bei den Autoherstellern nachgefragt hat. BMW teilte mit, dass automatisiertes Fahren bei ihnen ohne Internet funktioniere.

Ein fahrerloser Straßenverkehr könne so nicht funktionieren, widerspricht Professor Fitzek aus Dresden: „Die autonomen Autos – so schön sie auch sind – wissen nicht, was um der zweiten Ecke passiert, dafür brauchen wir ein zellulares Netz.“ Und damit auch das Internet. Nur einzelne wichtige Anwendungen dürften jedoch Vorrang im Netz haben. Schon heute sei dies gängige Praxis. „Wenn man 112 wählt, werden alle anderen rausgeschmissen“, sagt Fitzek. „Egal, wie überlastet das Netz ist.“

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