Nach dem Brexit Traurige Scheidung

Merkels Enttäuschung über das Brexit-Votum ist groß. Die Kanzlerin hat sich trotz mancher Reiberei mit Cameron jahrelang um die Zustimmung der Briten zur EU bemüht. Sie mag das Land und seine Bürger.

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Die Kanzlerin und der britische Premierminister: Merkels Enttäuschung über das Brexit-Referendum ist groß. Quelle: dpa

Berlin Sie hat sich damals gefühlt wie zwischen Pest und Cholera bei ihrer Rede vor Ober- und Unterhaus des britischen Parlaments. Keine angenehme Position, befand die Kanzlerin. Sie war gern gekommen in diesem Februar 2014. Der Auftritt war eine große Ehre, die seit dem Zweiten Weltkrieg bis dahin erst drei Deutschen zuteil geworden war.

Angela Merkel wusste aber um die hohen Erwartungen. Die einen wollten ein Signal, dass die EU nicht jeden Preis zahle, um die Briten in der Europäischen Union zu halten. Die anderen wollten hören, dass so gut wie alle britischen Wünsche erfüllt werden.

„Ich fürchte, diejenigen werde ich enttäuschen müssen“, sagte die Kanzlerin an beide Adressen. Denn: „Wenn all das, was mir gesagt wurde, wahr ist, dann ist es für jedermann ersichtlich, dass wohl erwartet wird, dass ich zwischen Pest und Cholera gefangen bin.“

Merkel mag die Briten, ihren Umgang mit Recht und Freiheit, ihren Ehrgeiz beim Wettbewerb, ihre Ideen. Von der Queen ist sie beeindruckt. In mancher Hinsicht bewundere sie sie sogar, heißt es. Diese Disziplin, diese Ausdauer, einfach eine tolle Frau. Und ja, sie mochte David Cameron. Diesen frischen, frechen Politiker.

Die britische Regierung erhoffte sich damals Schützenhilfe von Merkel für Reformen der Europapolitik. Sie äußerte Verständnis für Cameron. Bürokratie müsse dort abgebaut werden, wo sie Unternehmen behindere, sicherte sie ihm zu. Große Zugeständnisse machte sie aber nicht. Sie blieb dabei, dass sie anders als die Londoner Regierung „eine große Unterstützerin“ der Arbeitnehmer-Freizügigkeit (der Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern) sei. Eine Hauptkritik der Briten.

Merkel beschwor aber die deutsch-britische Freundschaft und machte allen Mut: „Das Gute daran ist, dass wir immer eine Lösung gefunden haben.“ Sie zitierte den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der auch an dieser Stelle gesprochen hatte: „Großbritannien braucht seine europäische Berufung nicht zu beweisen.“ Schon damals aber tendierte laut Umfragen der überwiegende Teil der Briten zum Austritt aus der EU.


„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“

Vieles wird bleiben von Merkels gutem Gefühl für die Briten. Doch die Enttäuschung über das Votum einer knappen Mehrheit der Bürger in der vorigen Woche für den Abschied Großbritanniens aus dem Bündnis sitzt tief. Wie oft hatte Merkel diesen Satz gesagt: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Sie hatte den Willen, und sie sah auch einen Weg.

Sogar diesen: eine Veränderung des Lissabon-Vertrags. Noch im Februar, als Cameron auf seiner Werbetour durch Europa auch im Kanzleramt um Reformen der EU, Einschränkungen von Sozialleistungen für Migranten und größere Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten von Brüssel kämpfte, sprang Merkel ihm bei.

Alle wüssten wie schwierig es sei, Verträge zu ändern. Aber sie schloss das nicht aus: „Natürlich kann man, wenn man inhaltlich von etwas überzeugt ist, nicht sagen, eine Vertragsänderung ist eine völlige Unmöglichkeit.“ Bis dahin hatte sie Vertragsveränderungen strikt abgelehnt. Sie bekräftigte abermals: „Es gibt von deutscher Seite eine klare Hoffnung, dass Großbritannien Mitglied der EU bleibt. (.) Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Cameron strahlte.

Merkel und Cameron haben sich sogar zweimal halb privat getroffen. Im Oktober 2010 lud Cameron die Kanzlerin und ihren Mann Joachim Sauer auf seinen Landsitz Chequers ein. 2013 dann die Gegeneinladung von Merkel. Cameron kam mit seiner Frau Samantha und den drei kleinen Kindern Florence, Nancy und Arthur und besuchte Merkel und Sauer im Gästehaus der Bundesregierung, Schloss Meseberg.

Erstmals übernachtete dort mit Cameron ein ausländischer Regierungschef mit seiner Familie. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Es ist eine sehr intensive Beziehung, die ja auch unserer engen Freundschaft und Partnerschaft mit Großbritannien entspricht.“ Da war es um die deutsch-französische Achse gerade etwas ruhiger geworden, nachdem mit François Hollande ein Sozialist Präsident geworden war, der nach Merkels Ansicht zu viele unerfüllbare Versprechen in seinem Wahlkampf gemacht hatte. Ein kleines deutsch-britisches Gegengewicht erschien Merkel ganz willkommen zu sein.

Hätte Cameron die Kanzlerin gebeten, in der Hochphase der Auseinandersetzung um Brexit oder Remain eine aufrüttelnde Rede für den Verbleib in der EU zu halten - selbst das hätte sie getan, heißt es in Berlin. Auch wenn es zu mancher Reiberei mit Cameron wegen seiner ewigen Meckerei über die EU, seiner Wut auf die - für alle gleich geltenden - Beitragszahlungen an Brüssel gekommen war.

Er habe auch gern bei den Eurozonen-Ländern mitmischen wollen, obwohl Großbritannien die Währung nie hatte. Auch das habe Merkel gestört, heißt es. Doch ohne den konservativen Parteifreund und vor allem sein Land mochte sie sich die EU nie vorstellen. Jetzt muss sie es. Wie sie sich dabei fühlt? Einer, der Merkel kennt, sagt: „Traurig.“

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