Neurologie in der Werbung Wie Facebook unsere Gedanken lesen will

In einer Welt stetig sinkender Aufmerksamkeitsspannen verliert klassische Online-Werbung an Wert. Werbeagenturen und Konzerne setzen daher auf Neurowissenschaft, um die Käufer zu ihren Produkten zu lenken.

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Facebook setzt auf Neurowissenschaft, um seine Nutzer noch besser zu durchleuchten. Quelle: dpa

Im Frühjahr beauftragte Facebook die Firma SalesBrain aus San Francisco, herauszufinden, wie die Verbraucher auf Werbung auf Smartphones reagieren – verglichen mit Reklame auf der Mattscheibe. Die Nervenforscher benutzten verschiedene Sensoren, um Schwitzen, Pulsschlag, Blickverlauf und Gehirnaktivität von 70 Teilnehmern zu testen.

Ihr Ergebnis: Die Menschen ziehen mehr aus den Informationen auf einem Mobiltelefon als einem Fernseher, und das Gehirn muss mehr leisten, um sich beim Fernsehen nicht ablenken zu lassen.

„Unsere physische Nähe zu mobilen Bildschirmen hat unsere Wahrnehmung der Größe des Geräts verändert”, sagt Helen Crossley, Leiterin Zielgruppenwissen bei Facebook IQ, der internen Marktforschungsabteilung. „Es packt eher unsere Aufmerksamkeit und lässt die Inhalte positiver erscheinen.“

Eine Unzahl neuer Unternehmen – von Gehirnforschern gegründet oder in Zusammenarbeit mit ihnen – haben eine Tipp für Werbetreibende: Lesen Sie die Gedanken Ihrer Kunden. In einer Welt stetig sinkender Aufmerksamkeitsspannen, in der Verbraucher durch soziale Netzwerke flitzen und Online-Anzeigen sofort überspringen, wenden sich Werbeagenturen der Neurowissenschaft zu. Sie versprechen sich ein besseres Verständnis, wie Käufer zu den Produkten gelenkt werden können.

„Die Menschen werden nicht von der rationalen Seite ihres Gehirns beherrscht, somit sind die meisten Kaufentscheidungen irrational“, erklärt Itiel Dror, ein an der Universität Harvard ausgebildeter Neurowissenschaftler. Er wurde vom Londoner Berater BrandOpus angestellt, um das neugestaltete Logo von McCain Foods aus Kanada zu testen.

Dror forderte 1700 Käufer in sieben Ländern dazu auf, Worte wie „Familie“, „Wärme”, „Massenprodukt“ und „Fabrikanlage“ jeweils dem alten und dem neuen Logo zuzuordnen. Ersteres besteht aus dem Unternehmensnamen in einer schwarzen Box, letzteres zeigt eine Sonne über Feldern. McCain wird die neue Version des Logos in 160 Ländern herausbringen.

Die Forschungsunternehmen nutzen Methoden wie die Verfolgung von Blickbewegungen, Hirnscanner und Gesichtsausdruck-Kodierungssysteme – Kameras analysieren hier die Mimik der Menschen und bewerten ihre Stimmung im Sekundentakt – um Reaktionen auf die Werbung zu bewerten. Der seit 2012 bestehende Verband Neuromarketing Science & Business Association verfügt mittlerweile über mehr als 1000 Mitglieder in 91 Ländern.


„Wir müssen uns das Gehirn des Empfängers als übertaktetes und überlastetes System vorstellen“

Der Bereich hilft den Werbefirmen, simple Botschaften zu senden, die „absichtlich bewusstes Erinnerungsvermögen mit dem Unbewussten vermischen“, sagt Dan Machen, Direktor für Innovation bei der auf Neurowissenschaft spezialisierten Agentur HeyHuman in London. „Wir müssen uns das Gehirn des Empfängers als ein bereits übertaktetes und überlastetes System vorstellen.“

Die Traditionsunternehmen springen auf den Zug auf. Millward Brown, die Forschungseinheit des Werbegiganten WPP, macht sich seit vier Jahren die Neurowissenschaft zunutze und prüft nach eigenen Angaben jeden TV-Spot, an dem die Firma arbeitet, anhand des Kodierungsverfahrens für Gesichtsausdrücke.

Im April kaufte die Londoner Agentur Dentsu Aegis die Neurowissenschaftsfirma Forbes Consulting Group aus Massachusetts. Im Mai erwarb der Rating-Riese Nielsen Innerscope Research aus Boston, das Unternehmen wie Campbell Soup und Yahoo geholfen hatte, das Kundenverhalten anhand biometrischer Tests wie Herzfrequenz und Hautleitwerten zu studieren .

„Es steht außer Frage, dass wir eine Zunahme nicht nur bei den Geschäften sehen, sondern auch bei der Vielfalt der Kunden und der Anzahl derer, die hohe Investitionen vornehmen“, sagt Carl Marci, Neuropsychiater mit Harvard-Abschluss, der Innerscope vor einem Jahrzehnt mitbegründet hatte.

Innerscope prüfte vergangenes Jahr beispielsweise anhand der Augenbewegungen und Mimik der Testpersonen für Time Warner, ob Produktplatzierungen von Marken wie Samsung oder M&Ms in Fernsehshows zu offensichtlich sind – was bei den Teilnehmern für Stirnrunzeln oder Gekicher sorgt – oder zu subtil sind und überhaupt nicht auffallen.

„Biometrie ermöglicht uns, Befangenheit bei den Reaktionen auszuschließen“, sagt Howard Shimmel, Forschungschef von Turner Broadcasting. „Wir bekommen echte Einsichten in die Einbindung.“

Eine weitere Erkenntnis für Werbetreibende von Heather Andrew, Chefin des Londoner Beraters Neuro-Insight: Wenn Nutzer auf einer Webseite durch ihre Timeline scrollen, also jene Inhalte, die sie in ihrem Profil auf sozialen Plattformen konfiguriert haben, erfassen, nehmen sie Markensymbole nicht wahr – es sei denn, sie sind einfach gestaltet und plakativ gefärbt. „Die Dinge, die Menschen nicht wirklich in Worte fassen können“, sagt sie, „die können wir messen.“

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