Pharmabranche Impfstoffe spielen nur eine Nebenrolle

Grippe, Masern, Tollwut oder Windpocken: Deutsche Eltern machen sich Sorgen um den nötigen Impfschutz für ihre Kinder. Es könnte zu Engpässen beim Impfstoff kommen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Picks für die Gesundheit: Impfen gegen Grippe, Masern, Tollwut oder Windpocken. Quelle: dpa

Der britischen Pharmariesen GlaxoSmithKline hat jüngst vor Engpässen bei Einzel- und Mehrfachimpfungen gegen Windpocken gewarnt. Nur sehr wenige Firmen produzieren diese Präparate. Daher wächst landesweit die Furcht vor einem größeren Mangel. Die Behörden versuchen zwar zu beruhigen. Doch Experten sind sich einig: Solche Probleme wird es immer wieder geben, da die Herstellung von Impfstoffen für die Konzerne wenig attraktiv ist. Die Politik will handeln, doch viel Einfluss hat sie nicht.

„Lieferengpässe bei Impfstoffen können vor allem wegen der Komplexität der Herstellung und der Prüfungen immer wieder einmal vorkommen“, betont eine Sprecherin des für die Zulassung von Impfstoffen zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Derzeit seien allerdings weder die Zahl noch die Dauer der Ereignisse besonders auffällig, beruhigt sie.

GlaxoSmithKline (GSK) kann momentan wegen Qualitätsproblemen in einem Werk in Belgien einen Einzelimpfstoff gegen Windpocken sowie ein Vierfach-Mittel gegen die Kinderkrankheiten Masern, Mumps, Röteln und Windpocken nicht liefern. Bei letzterem ist GSK der einzige Anbieter in Deutschland. Der Wettbewerber Sanofi Pasteur MSD, der ebenfalls Anti-Windpocken-Präparate produziert, hat erklärt, den Ausfall nicht vollständig ausgleichen zu können. Frühestens im zweiten Quartal wollen die Briten wieder lieferfähig sein. Das PEI hat mit dem Robert-Koch-Institut und der Ständigen Impfkommission (STIKO) Pläne erarbeitet, wie bis dahin die noch verfügbaren Reserven eingesetzt werden sollten.


Hohe Marktkonzentration sorgt für Engpässe

Eine Ursache für die wiederkehrenden Engpässe ist, dass den deutschen Impfstoffmarkt wenige große Hersteller dominieren. Nach Daten des Instituts IMS Health wurden mit Impfstoffen in Deutschland 2013 rund 770 Millionen Euro umgesetzt. Platzhirsch ist GSK. Dahinter folgt Sanofi Pasteur MSD, ein Gemeinschaftsunternehmen des französischen Arzneimittelherstellers Sanofi und des US-Pharmariesen Merck & Co. Von beiden Konzernen stammt das größte Angebot an Einfach- und Mehrfachimpfstoffen in Deutschland. Mit einigem Abstand folgen die US-Konzerne Pfizer und Baxter und der Schweizer Pharmariese Novartis.

Im Geschäft mit Impfstoffen gegen Kinder- oder Tropenkrankheiten sind die Renditen meist niedriger als bei herkömmlichen patentgeschützten Arzneien. Größe wird daher immer wichtiger, kleinere Hersteller können kaum noch mithalten. So hat Novartis-Chef Joseph Jimenez vor einigen Monaten das eigene Impfstoffgeschäft als zu klein bezeichnet und es auf den Prüfstand gestellt. Die aktuellen Probleme seien auch Auswirkung des seit 25 Jahren andauernden Kostendrucks im Gesundheitswesen, beklagt Joachim Odenbach vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI).

Da Impfstoffe biologische Produkte sind, dauert ihre Herstellung deutlich länger als die herkömmlicher Arzneimittel. Die Präparate bestehen - vereinfacht gesagt - aus Erregern, die die Bildung von Antikörpern anregen sollen. Bis zu 22 Monate werden für die Herstellung eines einzelnen Vakzins benötigt. Wegen hoher Sicherheitsanforderungen entfällt ein erheblicher Teil der Zeit auf Qualitätskontrollen. Nach Angaben von Sanofi Pasteur können diese bis zu 70 Prozent der Produktionszeit ausmachen.

Bei Ausfällen können Wettbewerber daher nicht ohne weiteres einspringen. Nicht jedes Unternehmen hat das gleiche Sortiment im Angebot. Auch können Kapazitäten nicht einfach kurzfristig nach oben geschraubt werden. Eine größere Produktion auf Vorrat ist wegen geringer Haltbarkeit ebenfalls schwierig.


Mehr Unternehmen sollen zum Zuge kommen

Auch international war das Impfstoffgeschäft in den vergangenen Jahren eher ein Stiefkind der Pharmabranche. Daran haben auch spektakuläre Durchbrüche wie die Entwicklung eines Impf-Präparats gegen das Humane Papilloma Virus, das Gebärmutterhals verursachen kann, nichts geändert. Doch neuere Entwicklungen in der Krebsmedizin haben Impfstoffe zuletzt wieder stärker in die Aufmerksamkeit rücken lassen.

Dabei geht es um Substanzen, die das Immunsystem der Patienten in die Lage versetzen soll, Krebszellen zu bekämpfen. So hatte GSK im vergangenen Jahr unter anderem dieses Geschäft mit der 250 Millionen Euro teuren Übernahme der Schweizer Firma Okairos ausgebaut. Auch andere Wettbewerber wie der US-Konzern Merck & Co oder die britische AstraZeneca arbeiten an solchen Substanzen.

In Deutschland monieren Fachpolitiker von Union und SPD die zu große Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen bei der Impfstoffversorgung. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach will durch Anreize die Firmen dazu bringen, mehr auf Vorrat zu produzieren und sie im Gegenzug etwa bei Rabattverträgen in anderen Sektoren zu begünstigen.

Diese Vereinbarungen werden individuell zwischen Krankenkassen und Pharmakonzernen ausgehandelt. Auch bei Impfstoffen sind sie gang und gäbe. Die Beschränkung auf einen Anbieter in solchen Verträgen erhöht die Gefahr von Engpässen. Daher will die Union erreichen, dass künftig mehr Unternehmen zum Zuge kommen.

Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird das Problem erwähnt, allerdings ohne konkrete Schlussfolgerungen. Dort heiß es lediglich: „Beim Abschluss von Rabattverträgen müssen die Vertragspartner die Versorgungssicherheit gewährleisten, indem sie Maßnahmen gegen Lieferengpässe vereinbaren. Das gilt insbesondere für Impfstoffe.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%