Pinkstinks Deutschland „Wir sind der Werberat!“

Die Wutbewegung lehrt Werbegiganten wie Ströer das Fürchten – macht sich aber auch bei Feministinnen unbeliebt. Ein Gespräch mit Initiatorin Stevie Schmiedel über GNTM, den Bruch mit Rollenbildern und den Hass im Netz.

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Wenn die Gender_Forscherin ein Plakat anprangert, hängen es die betroffenen Unternehmen meist innerhalb von Tagen wieder ab. Quelle: Carsten Dammann für Handelsblatt

Hamburg Die Initiative Pinkstinks Deutschland, 2012 nach dem englischen Modell gegründet von der Deutsch-Britin Stevie Schmiedel und in der Eigendarstellung gedacht als „Kampagne gegen Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien, die Mädchen eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen“, ist inzwischen eine erfolgreiche Bundeskampagne - mit nicht von der Hand zu weisendem Einfluss. Im Interview spricht die Gender-Forscherin über den Geruch von Pink, den Einfluss von Werbung auf unsere Gesellschaft und über das Aufbrechen tradierter Rollenbilder.

Frau Schmiedel, Pink stinkt also. Wie riecht denn blau?
Pink stinkt natürlich nicht. Pink kann gar nicht stinken, es ist nur eine Farbe. Man könnte unseren Namen so interpretieren: Pink stinkt zurück.

Das müssen Sie erklären.
Zumindest das, was als Pink codiert worden ist, stinkt zurück. Wenn Pink nur für Mädchen da ist, wenn pinke Produkte immer niedlich sind. Klar, gerade haben bei den weltweiten Protesten gegen Donald Trump und Sexismus Frauen massenhaft pinkfarbene „Pussyhats“ getragen, also Mützen in Schamlippenform – das war eine Anspielung auf Trumps Aussage, er dürfe Frauen zwischen die Beine greifen, weil er ein Star ist. Die Bilder waren bewegend, ein Meer aus Pink. Diesen Leuten können wir natürlich nicht sagen, Pink stinkt. Dann würden ja viele denken, dass wir irgendwas nicht richtig verstanden haben…

Das klänge in dem Zusammenhang ziemlich frauenfeindlich. Aber grundsätzlich: Bedeutet Antisexismus nicht auch, mehr Farben zuzulassen? Mädchen ihre Vorliebe für Pink zu lassen?
Das hören wir tatsächlich oft von Menschen, die den Witz nicht verstanden haben und uns vorwerfen, wir hätten die feministische Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht mitbekommen. Fakt ist, dass Pinkifizierung, ganz besonders Müttern, stinkt. Und wenn andere Feministinnen sagen: Was stellt ihr Euch denn so an, man kann doch Prinzessin Lillifee auch toll finden und emanzipatorisch nutzen, dann sage ich: Kann man nicht!

Erklären Sie uns doch mal den Witz von Pinkstinks...
Pinkstinks fing an in England mit zwei Müttern, die den Geburtstag ihrer Kinder feierten, und es landete so viel pinker Müll auf dem Gabentisch. Alles war niedlich und süß und die Figuren unglaublich dünn, so wie bei Lillifee oder Barbie. Oder es hatte mit Häuslichkeit zu tun: Küche, backen, putzen. Aus diesem Erlebnis entstand die Idee, dass Pink unheimlich nervt, beziehungsweise auf Englisch: „Pinkstinks“. Die beiden Mütter richteten eine Webseite ein, prangerten solche Angebote an und hatten großen Erfolg, bis sie die Aktion dann nach zwei Jahren auf kleinerer Flamme gekocht haben.

Weil ihre Arbeit nicht mehr nötig war?
Nein, weil sie das alles neben ihren eigentlichen Jobs gemacht haben. Weil ich die Idee toll fand, mit einfachen Worten und plakativ auf den Sexismus hinzuweisen, der leider auch bei uns alltäglich ist, habe ich Pinkstinks in Deutschland dann als richtige NGO aufgebaut.

Wo fängt Alltagsseximus für Sie an?
Oft ist es Werbung, sind es Bilder. Ein Beispiel: Ich gehe in ein Kaufhaus und kaufe für mein Kind ein Geschenk, und da hängt am Regal mit den Spielzeugküchen das Schild: „Für Mutti“. Bei mir zu Hause macht der Mann die Wäsche, aber dort gibt es Wäscheklammern für Kinder und Spielzeugbügeleisen und so weiter, um „Für Mutti” zu spielen. Wie sollen Kinder offen bleiben für Rollenbilder, wie soll es in ihren Köpfen anders laufen als in vorherigen Generationen, wenn da nach wie vor „Für Mutti” dran steht?


Ist es sexy, ein Nerd zu sein?

Sie tun so, als hätten Eltern keine Chance gegen solche Schilder.
Klar ist das ein Klischee, und die Erwachsenen können erklären, dass das früher nun mal Muttis Aufgaben waren. Aber das Problem ist, dass sich diese Bilder für die Kinder wieder intensivieren. Mädchen hören mit zwölf Jahren auf, sich für Mathe und Naturwissenschaften zu interessieren, weil ihnen gesagt wird, es ist nicht sexy, Nerd zu sein. Sie werden demotiviert von ihrer Peer-Group, weil es keine Vorbilder gibt, weil es nicht einmal in ihren Spielwelten Vorbilder gibt.

Warum konzentrieren Sie sich so auf Werbung und Produkte, die Mädchen in bestimmte Rollen pressen? Es gibt auch Produkte, die Jungs ein enges Rollenkorsett aufzwingen.
Feminismus ist ja der Glaube an die komplette Gleichberechtigung der Geschlechter. Dass man bei Frauen anfängt, liegt daran, dass es ihnen nach wie vor schlechter geht und es so viele Bereiche gibt, in denen sie noch benachteiligt werden. Deshalb engagieren wie uns bei Pinkstinks sehr stark für Mädchen. Aber uns geht es ja nicht nur um Werbung, sondern vor allem um Aufklärung. Kerninhalt unserer Arbeit ist das Theaterstück „David und sein rosa Pony“, mit dem wir in die Schulen gehen.

Worum geht es da?
Es die Geschichte eines Jungen aus den USA, der mit einem Accessoire von „My little Pony“, das ist so eine beliebte amerikanische Trickfilmserie, in die Schule kam und dort so sehr gemobbt wurde, dass er sich 2014 das Leben nehmen wollte. Heute ist er querschnittsgelähmt. Mit dem Theaterstück adressieren wir auch die Probleme von Jungs, die im Jugendalter Spielsucht, Alkoholsucht und Depressionen sind, so wie Mädchen Essstörungen entwickeln oder sich selbst verletzendes Verhalten. Das alles hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen, und viele Forscher sehen auch hier einen Zusammenhang mit einer Spielwelt, die auf Stereotypen basiert.

Was sind das für Stereotype?
Laute und wütende Rollenbilder für Jungs. Stille,  häusliche und niedliche für Mädchen. Das sind zwei völlig verschiedene Spielwelten, die sich kaum mischen. Gehen Sie mal in die Spielwarenläden rein, dort ist Pink die Farbe für alles, was niedlich, süß und häuslich ist. Rosa ist nie die Farbe für Mädchen, die etwas bauen, die stark sind und in MINT-Berufen arbeiten. Für die Wirtschaft funktioniert das natürlich hervorragend, aus einer Kundengruppe zwei zu machen.

Könnte man geschlechtsspezifische Vermarktung nicht auch als eine Anerkennung von gesellschaftlicher Vielfalt betrachten?
Nein, es ist nie etwas Emanzipatorisches, wenn eine Farbe nur einem Geschlecht zugeordnet wird, weil man es davon nicht lösen kann.

Darf es nicht auch möglich sein, dass ein Mädchen nun mal gern fleischwurstfarbene Sachen  trägt?
Doch, natürlich. Uns geht es um die Vielfalt. Wir wollen der Wirtschaft nichts wegnehmen, aber sie nimmt den Kindern die Vielfalt, indem sie Geschlechter in zwei ganz enge Marktgruppen  einteilt. Das hat auch gesundheitliche Folgen…


Schuld hat auch Germany's Next Topmodel

Wie das?
Essstörungen sind bei Jugendlichen eine der höchsten Todesursachen, vor Suizid. Als wir angefangen haben mit Pinkstinks, war gerade eine repräsentative Dr. Sommer Studie der „Bravo“ erschienen, wonach sich über die Hälfte der 15-Jährigen zu dick fühlte. Fünf Jahre später wurde die Studie wiederholt, mit dem erschreckenden Ergebnis, dass sich bereits über die Hälfte der 11-jährigen Mädchen zu dick fühlt.

Und daran ist  die Werbung  Schuld?
Auf jeden Fall, aber auch bestimmte TV-Formate wie Germany’s Next Topmodel (GNTM), das gerade mit einer neuen Staffel startet. Und bei Jungen, die in ihrer Spielwelt auf Lego Ninja und Starwars treffen oder am Computer gerne ballern, steigt im Jugendalter die Zahl derjenigen, die von Spielsucht betroffen sind.

Unter Müttern gibt es die Debatte, was zuerst da war: das Gender-Marketing oder der Kinderwunsch. Sie sagen, alles wird Kindern vorgegeben
Genau. Fangen wir doch mit den Farben an: Kaiser Wilhelm hat als Baby noch Rosa getragen, denn damals galt die Farbe als männlich. Das sehen wir auch heute noch bei etablierten Herren im Golfbereich, die ebenfalls knalliges Pink und Babyrosa tragen dürfen, ohne gleich als homosexuell abgestempelt zu werden. Nur bei Kindern ist das ein Tabu. Früher gab es rote Bobby Cars, ein Spielzeug, das wir alle seit Jahrzehnten kennen - heute gibt es welche in Pink und welche in Blau.

Sie sehen keinen Fortschritt darin, dass Mädchen jetzt ihr eigenes Bobby Car haben?
Das ist ja keine Vielfalt! Was mit diesen beiden Farbwelten aufgemacht wird, ist doch eine unglaubliche Einengung. Die meisten Mütter oder Väter haben bestimmt schon mal gehört, dass ihre Kinder sagen: „Damit kann ich nicht spielen, das ist für Jungs.“ Oder die Eltern denken: „Das können wir dem nicht kaufen, das ist für Mädchen.“ Am Ende führt diese feste Zuschreibung dazu, dass ein kleiner Junge mit einem rosa Pony sich das Leben nehmen will.

Liegt nicht die Verantwortung bei den Eltern, ihrem Sohn zu sagen: Hey, ein rosa Pony  ist völlig in Ordnung?
Ich werde so oft gefragt, was Eltern machen können. Ich finde, die sind die falschen Adressaten. Weil ich Eltern, die diesen Peergroup-Zwang im Kindergarten oder in der Schule erleben, nicht sagen möchte: Kauf‘ deiner Tochter keine Barbie, sei hart. Kauf‘ ihr keinen Elsa-Kram, obwohl alle Mädchen in der Klasse Elsa-Kram haben. Sie sagen doch auch keinen Eltern von einem schwarzen Kind, sie müssen es ermutigen, stark zu sein, wenn es draußen gemobbt wird. Anstatt die mobbenden Kinder und die rassistischen Eltern zur Verantwortung zu rufen.

Was ist die Lösung? Keine Elsa, keine Barbie, keine Lillifee?
Nein, Elsa für alle! Pink für alle! Deshalb sind wir so aktiv an Schulen, um dieses Denken in Farbkategorien aufzubrechen, um aufzuklären. Es kann doch nicht sein, dass ein 11-Jähriger nicht mit seinem pinken Lieblingspony in die Schule gehen kann. Dahinter verbirgt sich eine ganz große Homophobie.


Jungs dürfen nicht schwach sein und Rosa tragen

Woran machen Sie das fest?
Das kennt wohl jede Mutter: Ein Junge, der eine rosa Mütze trägt, ist schwul, und das ist dann direkt auch etwas Schlimmes. Jungs dürfen in dieser Gesellschaft auf keinen Fall schwach sein und Gefühle zeigen. Wir wollen zwar, wenn sie erwachsen und Männer sind, dass sie im Haushalt mitarbeiten, wissen, wie das mit der Wäsche geht und genauso emphatisch reagieren wie die Mütter, wenn das Kind schreit. Aber gleichzeitig haben sie als Kinder nicht gelernt, mit Puppen zu spielen und sie zu wickeln. Wer sagt schon zu seinem Sohn: „Und, hat Teddy auch gut geschlafen? Hast du ihm auch was zu Trinken gegeben?” Das fragt man nur Mädchen.

Aber Sie bleiben dabei: Es ist nicht Aufgabe der Eltern, gegen Rollenbilder anzugehen, sondern die Werbung muss sich ändern?
Beides. Wir von Pinkstinks sagen, dass Werbung ein Spiegel der Gesellschaft und gleichzeitig auch Produzent der Gesellschaft ist. Aber wer in Deutschland BWL studiert, der lernt, dass Werbung nur der Spiegel der Gesellschaft ist. International spricht man längst davon, dass Werbung auch Verantwortung hat.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Neben Sie den Konsumgüterkonzern Unilever, dort sagen die CEOs inzwischen ganz klar: Wir haben eine Verantwortung. Natürlich sagen sie das nicht nur, weil sie Gutmenschen sind, sondern auch weil sie eine Studie in Auftrag gegeben haben mit dem Ergebnis, dass sich 40 Prozent ihrer Kundinnen nicht mit der Werbung identifizieren können. Gleichzeitig merken sie als Wirtschaftsunternehmen, dass sie sich verändern müssen, damit etwas in der Gesellschaft passiert. Da sind wir Deutschland leider noch nicht. In den USA oder in Großbritannien ist man schon viel weiter als bei uns.

Wie erklären Sie sich das?
Weil der Widerstand gegen die Pinkifizierung bei den Briten und den Amerikanern schon viel früher angefangen hat. Es gab früh schon Kampagnen wie „Let Toys be Toys“ oder „Let Clothes be Clothes“, die unglaublich viel erreicht haben. In England beispielsweise haben die Kaufhäuser Harrods und Harvey Nichols keine ausgewiesenen Jungs- und Mädchenabteilungen mehr. Auch bei Boots, das ist eine sehr populäre britische Drogeriekette, gibt es keine Nur-für-Jungs- und Nur-für-Mädchen Produkte mehr.

Sie haben Pinkstinks in Deutschland vor fünf Jahren gegründet, auch damals startete gerade eine neue Staffel von Germany’s Next Topmodel (GNTM).
Ja, das war der Auslöser. Ich habe in Gender-Studies promoviert und unterrichtete damals an der Universität über GNTM. Eine Studie hatte gerade ganz klar nachgewiesen, dass die Sendung das Körperbild von Mädchen schädigt, dass Magersüchtige davon beeinflusst sind. Zur selben Zeit hingen in Hamburg überall auf den Litfaßsäulen von Ströer die Plakate für die neue Staffel. Ich hatte also die Ergebnisse dieser Studie im Kopf, und dann gehe ich durch die Stadt und denke: Das können wir nicht machen.

Das war der Startschuss für Pinkstinks.
Eigentlich war ich nur eine Hochschuldozentin, die einen Leserbrief geschrieben und gefragt hatte: Wo ist die Aufsicht? Wer kontrolliert das? Aber dann interviewte mich die „Zeit“, und es kam eins zum anderen. Einer bot an: Wenn Du das machst, baue ich Dir eine Webseite. Der nächste versprach, das Design zu machen. Ich habe ganz kurz überlegt, aber dann meine Lehraufträge gekündigt und gesagt: Ich mache das.


„Für uns wollte keine Frau arbeiten“

Sie haben seitdem ordentlich Furore mit Ihren Postings gemacht. Heute zuckt die Werbeindustrie zusammen, wenn Pinkstinks an die Tür klopft. Oder täuscht der Eindruck?
Reaktionen gibt es teilweise innerhalb von einer halben Stunde. In der Woche vor Weihnachten haben wir zum Beispiel zwei Plakate in U-Bahn-Schächten quasi über Nacht abgehängt, diese Woche waren die Berliner Verkehrsbetriebe dran. Da haben wir nur ein bisschen gemeckert, und sie haben sich sofort öffentlich entschuldigt.

Was war ihr  bislang größter Erfolg?
Für mich persönlich? Die Tatsache, dass wir es in nur fünf Jahren von einer One-Women-Show im Wohnzimmer bis hin zu einer NGO geschafft haben, die wahrgenommen wird und monatlich genug Spenden bekommt, um  dieses Büro und vier Mitarbeiter zu finanzieren. Ich quelle aber auch über vor Freude, dass unser Theaterstück mit dem rosa Pony vom Familienministerium gefördert wird und wir mit damit an die Schulen gehen können.

Ihre Kampagnen  erzielen eine enorme Reichweite. Gleichzeitig schlägt Ihnen im Netz von anderen Aktivistinnen und Feministinnen auch Hass entgegen - gönnen die Ihnen den Erfolg nicht?
Viele behaupten ja, wie bekommen so unglaublich viele Fördergelder. Das war auch am Anfang so. Aber wir schwimmen wirklich nicht im Geld und müssen ständig schauen, wo wir bleiben. 70.000 Euro sind nichts, um auf Dauer irgendwo voran zu kommen.

70.000 Euro?
Pinkstinks hatte seine Arbeit angefangen mit der Basisförderung von der Bewegungsstiftung. Damit konnten wir unseren ersten Mitarbeiter einstellen - übrigens  ein Mann, denn für das Geld wollte in Hamburg keine Frau arbeiten. Eine, die Interesse hatte, kam rein und sagte: Oh Gott, ich bin so dankbar, ihr seht gar nicht aus wie Feministinnen. Mir war ziemlich schnell klar, dass wir nicht zusammenarbeiten können. Allerdings habe ich in dem Moment gar nicht daran gedacht, dass ich sofort eine Shitstorm an der Backe habe, wenn ich einen Mann einstelle...

Dass Frauen sich gegenseitig schwach machen, gilt eigentlich als Klischee. Oder liegt es am links-bürgerlichen Spektrum, dass jeder zu wissen meint, wie es besser funktioniert?
Ich finde dieses Verhalten sehr deutsch. Wenn Sie in den USA oder in England einen Vortrag an der Uni halten, sagt erstmal jemand: Vielen Dank für deinen schönen Beitrag, das und das hat mir sehr gut gefallen, aber ich möchte dazu Folgendes anmerken. Hier in Deutschland müssen Sie sich so warm anziehen.


„Ich will raus und den Mainstream erreichen“

Ein wesentlicher Kritikpunkt an Ihrer Initiative lautet: Pinkstinks bedient die feministische Mainstream-Empörung, die extrem niedrigschwellig ist, kommt aber nicht über den Punkt hinaus, nur Symptome zu bekämpfen. Jetzt Sie!
Ja, wir bekommen viel Gegenwind. Vor allem vom rechten Feminismus, weil wir nicht für ein Sexkaufverbot und nicht gegen das Kopftuch an sich sind. Aber auch von der Linken, zu der wir uns natürlich eher zugehörig fühlen, kommt der Vorwurf, dass wir viel zu sehr Mainstream und zu präsent in den Boulevardmedien sind. mir ist das inzwischen egal. Wir können es uns nicht mehr leisten, in links-intellektuellen Blasen in einer Art und Weise über Genderthemen zu sprechen, die niemand versteht.

Ist das ein typisches Problem von Aktivisten-Gruppen?
Das ist ja auch die Frage, was mein privates Anliegen ist. Ich saß immer in diesem Elfenbeinturm, habe zu Begriffen wie „Cisgender“ Hausarbeiten aufgegeben. Irgendwann dachte ich: Was mache ich hier? Hier sitzen junge Menschen, die die Welt verändern wollen, und sie schreiben hochkomplexe Texte, mit denen wir nichts anfangen können. Ich will raus auf die Straße und den Mainstream erreichen, den ganz normalen Menschen.

In zig Online-Blogs wird immer wieder heftig kritisiert, was Pinkstinks sagt oder bloggt. Wie anstrengend ist dass, gegen den Hass zu arbeiten?
Es ist der absolute Wahnsinn. Wir sind gerade in der Anfangsphase viel zu intensiv darauf eingegangen. Aber auch das war ein Lernprozess. Heute rege ich mich nicht mehr so schnell auf, denn ich habe gemerkt, dass wir aller Kritik zum Trotz gewachsen und immer noch da sind.

Woher kommt dieser Hass?
Ich kann die Aggressivität sogar verstehen, denn der feministische Aktivismus ist oft auch sehr persönlich bedingt. Wenn dann jemand die Dinge anders sieht, kann das leicht als Bedrohung gesehen werden. Mir wurde einmal ganz klar von einer Aktivistin vorgeworfen, ich würde anderen meinen Feminismus überstülpen. Das ist absurd. Ich arbeite Tag und Nacht dafür, diesen Laden aufrecht zu erhalten, weil unsere Blase so klein ist. Feministische Themen gelten in diesem Land doch als First World Problem und werden nicht als richtige Probleme betrachtet.

Das klingt anstrengend.
Ja klar sind Aktivisten anstrengend. Das sollen sie ja auch sein. In der Umwelt-Szene ist es doch genauso. Wenn da der WWF etwas macht, was ein andere Organisation so nie machen würde, zicken die sich an,  und es finden ganz große Kämpfe statt. Nur sind die schon so lange im Geschäft, dass sie wissen, wie man damit umgeht.


„Der Konsumterror zementiert unsere Rollenbilder“

Apropos Kämpfe: Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Werberat? Ist der nicht genervt davon, dass Sie ihm ständig in die Parade fahren?
Ich habe vor der Geschäftsführerin Julia Busse große Hochachtung, sie ist sehr professionell. Und dafür, dass wir so oft zusammen als Kontrahentinnen auf Podien geschmissen werden, sind wir immer noch freundlich miteinander. Ganz am Anfang kam sie nach Hamburg, um mich abzuchecken, denn wir hatten gerade eine Demo mit 2.000 Leuten in Berlin angemeldet, um gegen den Werberat zu protestieren. Ich glaube zwar nicht, dass sie mich besonders ernst genommen hat – ich meine: Ich war damals eine Frau mit dem Namen Pinkstinks und habe in meinem Wohnzimmer gearbeitet. Aber ich fand die Begegnung sehr spannend und finde, dass wir immer sehr fair miteinander umgehen und gut diskutieren können.

Was störte Sie an deren Arbeit?
Dass sie Kinder beim Thema Sexismus in der Werbung nicht extra wahrgenommen haben.  Mittlerweile hat der Werberat wegen unseres Aktivismus‘ schon Kriterien auf seiner Seite verschärft. Aber wir haben zum Beispiel gerade eine App entwickelt, mit der Menschen sexistische Werbung schneller melden können, das hätten die schon vor zehn Jahren machen können. Eigentlich machen wir also deren Arbeit. Wir sind der Werberat, wenn es um sexistische Werbung geht.

Ihr Erfolg beruht auch darauf, dass es an den Plakatwänden eben noch immer so viele Pinkstinks-Beispiele gibt.
Die Agenturen  haben sich in den letzten drei Jahren unglaublich am Riemen gerissen. An den großen Billboards, in den großen Städten hängt heute kaum noch sexistische Werbung, und der Branchenverband GWA ist viel weniger anstößig, als noch vor ein paar Jahren. Denn sie möchten natürlich kein Gesetz gegen Sexismus in der Werbung, wie es im vorigen Jahr im Gespräch war. Dafür gibt es im ländlichen und im mittelständischen Bereich immer mehr zu kritisieren.

Wie erklären Sie das?
Je einfacher Menschen mit Photoshop am Rechner ihre eigene Werbung gestalten können, desto mehr Blödsinn kursiert im Internet, hängt in Kneipen oder klebt auf Lieferwagen. Das kriegen wir  dann täglich zugeschickt.

Sprechen wir nochmal über die Verantwortung der Wirtschaft. Sie sagen: Die Industrie will mehr verkaufen, die Leute wollen gleichzeitig mehr konsumieren, ein Rädchen greift ins andere.
Ja, in gewisser Weise zementiert der Konsumterror unsere Rollenbilder. Ich kann das schon verstehen: Zwei Zielgruppen sind besser als eine. Die Wirtschaft muss Absatz generieren, und Absatz generiert man, indem man alles doppelt verkauft. Das kann natürlich nur funktionieren, weil wir in einer Gesellschaft leben, die im Umbruch ist. Aber anstatt zu sagen, „Männer dürfen heute alles“, heißt es, „Der moderne Mann ist verwirrt“. Wenn dann Gurkengläser mit blauem Etikett und angeblichem Männergewürz neben Gläsern mit rosa Etikett und Frauengewürz im Regal stehen, dann ist die Welt endlich wieder in Ordnung.

Frau Schmiedel, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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