Wahl in Irland Enda Kenny neuer Premierminister

Die irische Regierung ist abgewählt - und wie. Die Fianna Fail stürzt auf ein Allzeittief, die Ernennung von Fine-Gael-Kandidat Enda Kenny gilt nur noch als Form- und Verhandlungssache.

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Der voraussichtliche neue irische Premier: Enda Kenny. Quelle: handelsblatt.com

Es sieht aus wie ein politisches Beben: Regierung mit Erdrutschniederlage abgestraft, Oppositionspartei mit dem besten Ergebnis seit fast 30 Jahren an die Macht gewählt. Die frustrierten Iren haben den Machtwechsel gewollt und ihn erwartungsgemäß erstritten. Sie ließen die seit Jahrzehnten erfolgsverwöhnte Fianna-Fail-Partei des gescheiterten Premierministers Brian Cowen abstürzen und hoben den Grundschullehrer Enda Kenny als ihren neuen Regierungschef auf den Schild.

Bei genauerem Hinsehen wirkt der Machtwechsel jedoch eher wie die Übergabe eines Staffelstabes. Konservative gehen, Konservative kommen. So war das in der irischen Polit-Geschichte schon immer. Wenn Fianna Fail es zu bunt getrieben hatte, kam mit Fine Gael die andere Volkspartei an die Macht - und andersherum. Fine Gael wird nach Lage der Dinge auch diesmal seinen traditionellen Koalitionspartner, die überraschend starken Sozialdemokraten von der Labour-Partei ins Boot holen.

Für die stolzen Iren war die Abstimmung wie ein Ventil für ihre Wut. Vom „keltischen Tiger“ dank verantwortungsloser Makler, Banker und Politiker ins Armenhaus Europas zurückgeschubst, wollten sie Fianna Fail nach 24 Jahren an der Macht unbedingt einen Denkzettel verpassen. Die Partei, die sich historisch von Fine Gael durch ihre anti-britische Haltung unterschied, verlor unfassbare 25 Prozentpunkte, landete nur noch bei fast bedeutungslosen 15 Prozent der Stimmen und wird im neuen Parlament nur noch rund 20 von 166 Abgeordneten stellen.

Dass die bis Januar mitregierenden Grünen ebenso wie Fianna Fail abgestraft wurden, dass mit Gerry Adams vermutlich eine Schlüsselfigur des Nordirland-Konflikts für die links-nationale Sinn- Fein-Partei ins Parlament einzieht, das alles gehört zu den emotionalen Momenten des Auszählungstages. Die Spannung wird aber bald verfliegen und dem politischen Alltag weichen. Und der ist grau.

Kaum einer der Kommentatoren sieht eine wirklich neue Weichenstellung in der irischen Politik unter einem Premierminister Enda Kenny. Für dringend notwendige politische Impulse - etwa zur Drosselung der Arbeitslosigkeit von derzeit 13,4 Prozent oder zur Belebung des siechenden Binnen-Konsums - bräuchte man Geld. Weder hat Irland genug davon, noch würde es irgendjemand gegenwärtig der Republik zu annehmbaren Konditionen leihen. „Es gibt praktisch keine Spielräume“, heißt es in Dublin.

Die von Kenny wählerwirksam angekündigte Nachverhandlung des Hilfspaktes von EU und Internationalem Währungsfonds gilt als Wahlkampfrhetorik. Währungskommissar Olli Rehn ließ schon am Tag vor der Irland-Wahl klarstellen: „Das Programm, das verhandelt wurde, muss umgesetzt werden.“ Der Vertrag sei mit der Republik Irland geschlossen, nicht mit der alten Regierung.

Kenny und seiner Truppe wird angesichts eines Haushaltsdefizits von 32 Prozent vom Bruttosozialprodukt im Jahr 2010 und Staatsschulden von weit über 160 Milliarden Euro nicht viel mehr übrig bleiben, als die von ihren Vorgängern in Stein gemeißelten gewaltigen Sparanstrengungen umzusetzen. Der scheidende Finanzminister Brian Lenihan hat seinem Nachfolger schon mal die nächste Milliardenspritze für die maroden Banken überlassen. Und was noch nachkommt, weiß niemand so ganz genau. „Das Problem in Irland ist, dass wir nicht genau wissen, ob wir 50 oder 100 Milliarden Euro in die Banken stecken müssen“, sagte der Dubliner Kaffee-Unternehmer John Cahill.

Der tatsächliche Sitzanteil für Fianna Fail im Parlament könnte noch düsterer aussehen. Nach Zwischenergebnissen vom Mittag konnte von den bisher 18 Fianna-Fail-Abgeordneten in der Hauptstadt Dublin nur der bisherige Finanzminister Brian Lenihan sein Mandat verteidigen.

Fianna Fail, größte Partei Irlands und fast an allen bisherigen Regierungen beteiligt, wird von den Iren für die verheerende Wirtschaftslage mitverantwortlich gemacht. Irland musste zum Stopfen von Löchern im maroden Bankensystem im vergangenen Jahr neue Schulden in Höhe von 32 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufnehmen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 13,4 Prozent.

Der gelernte Lehrer Enda Kenny gehört zu den Politikern, die man gern als „Urgestein„ bezeichnet. Seit mehr als 35 Jahren sitzt er für seinen Wahlkreis Mayo West im irischen Parlament. Jetzt ist der 59 Jahre alte Hobby-Bergsteiger auf dem Gipfel angekommen: Nach dem klaren Sieg seiner Fine-Gael-Partei wird er als Nachfolger des glücklosen Brian Cowen „Taoiseach“ - Premierminister von Irland. An der Wirtschafts- und Finanzkrise in seinem Rucksack wird er schwer zu tragen haben.

Sein Mandat hat Kenny - wie der amtierende Premier Cowen - von seinem Vater „geerbt“. Zweimal hat Kenny schon Ministerämter bekleidet. Jetzt steht der 59-Jährige vor dem Höhepunkt seiner Politiker-Karriere. Dabei spielte seine Person offenbar überhaupt keine Rolle. Meinungsforscher fanden heraus, dass die Frage nach der Person des Premiers bei der Stimmabgabe für die Iren so wenig Bedeutung hatte wie selten zuvor.

Seit 2002 führt Kenny die Partei Fine Gael, was soviel bedeutet wie „Familie der Iren“. Er war dort als Feuerwehrmann eingesprungen, als die Partei bei Parlamentswahlen unterging und mehr als 20 Sitze im Unterhaus einbüßte. Seitdem päppelte er Fine Gael langsam aber stetig auf und überstand auch einen parteiinternen Aufstand. Schon bei den Wahlen 2007 hatte die konservative Law-and-Order-Partei ihre alte Stärke wiedergefunden. Für eine Regierungsbeteiligung reichte es damals jedoch noch nicht. Diesmal holte er an der Spitze der Kampagne das beste Ergebnis seit 1982.

Kenny, als Grundschullehrer ausgebildet, gilt grundsätzlich als europafreundlich. Dennoch hat er mit Brüssel vor allem den Kampf um die niedrige irische Körperschaftssteuer auszufechten. Die liegt derzeit bei konkurrenzlosen 12,5 Prozent. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wollen die Unternehmenssteuern in Europa harmonisieren. „Wir haben der Kanzlerin sehr klar gemacht, dass aus unserer Sicht die Körperschaftsteuer von absolut fundamentaler Bedeutung für Irland ist“, sagte Kenny nach einem Gespräch mit Merkel selbstbewusst. Außerdem will er den Zinssatz für die internationalen Kredithilfen in Höhe von 85 Milliarden Euro nachverhandeln.

Innerparteilich ist Kenny, verheiratet und Vater dreier Kinder, nicht unumstritten. Er sei ein mäßiger Redner und wirke oft hölzern, meinen seine Kritiker. In den Fernsehduellen vor der Wahl gegen seine Kontrahenten Micheal Martin (Fianna Fail) und Eamon Gilmore (Labour) hielt er sich aber tapfer - zumindest erlitt er keine herben Schlappen. Seine eigentlichen Stärken liegen eher im Zwiegespräch.

Kenny steht für die Partnerschaft seines Landes mit dem großen Nachbarn Großbritannien. Schon im Wahlkampf lud er Queen Elizabeth II. zu einem Besuch nach Irland ein. Es wäre der erste Besuch eines britischen Monarchen seit der Gründung der Republik Irland 1937. Für einen Erfolg als Premierminister muss Kenny aber mehr als Hände schütteln: Die Sicherung des maroden Finanzsektors und die Wiederherstellung des verloren gegangenen Vertrauens in die irische Politik im Ausland sehen Analysten als wichtigste Aufgaben.

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