Italien Angst vor griechischen Verhältnissen

Silvio Berlusconi versprüht gute Laune - nicht wegen seines sonnigen Gemüts, sondern um seinen Landsleuten die Angst vor den Schulden zu nehmen. Doch das Vertrauen bröckelt.

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Wirtschaftswachstum in Europa

Lange haben sich die Italiener von der staatlich verordneten Zuversicht mitreißen lassen. Es entsprach ihrem Naturell. Die Einwohner des Bel Paese geben sich traditionell optimistisch. Selbst wenn sie das Land betreffende Entwicklungen als problematisch beurteilten, waren sie meist der Überzeugung, sie selbst kämen besser zurecht.

Doch jetzt schwindet das Vertrauen. Eine kürzlich vom Institut Demos & Pi vorgestellte Studie mit dem Titel „Wir, die anderen und die Krise“ belegt, wie sehr sich die Stimmung im Land verschlechtert hat. Rund 60 Prozent der Befragten halten nun die Wirtschaftsprobleme für deutlich wichtiger als die Sicherheitsprobleme, die nur noch 16 Prozent als vorrangig betrachteten. Vor drei Jahren wurden beide Problemfelder mit 37 und 35 Prozent noch nahezu gleichrangig beurteilt. Heute glauben 56 Prozent nicht mehr an den Zweckoptimismus ihres Regierungschefs Silivo Berlusconi, sondern sind davon überzeugt, die Regierung habe sie in Bezug auf die Schwere der Krise belogen.

Viele kleine Katastrophen

Dass Euro-Partnerländer wie Griechenland, Portugal, Irland und Spanien noch größere Probleme haben, tröstet die Italiener nicht mehr. Im Gegenteil: Die Hälfte hält ein griechisches Szenario auch in ihrem Land nicht mehr für ausgeschlossen oder die Gefahr, dass es so kommt, für sehr groß (49,9 Prozent). Mehr als 47 Prozent der Befragten beurteilen ihre derzeitige persönliche Wirtschaftssituation als schlecht oder sehr schlecht. Im November 2008 waren es erst 34 Prozent gewesen.

Die Depression der Italiener resultiert aus vielen kleinen Katastrophen. Italien musste keine Bank vor der Pleite retten, im Land ist keine Immobilienblase geplatzt und auch kein kometenhafter Wirtschaftsaufstieg abrupt zu Ende gegangen. Die Staatsverschuldung ist zwar groß, aber in der Krise nicht plötzlich explodiert. Im April stieg sie auf ein neues Rekordhoch von 1,81 Billionen Euro. Gleichzeitig sanken die Staatseinnahmen in den ersten vier Monaten 2010 um 1,2 Prozent. Zieht man von den öffentlichen Schulden jedoch die privaten Vermögen ab, betont Berlusconi, stehe Italien in der ganzen EU mit am besten da. Mehr als 80 Prozent der Italiener wohnen im eigenen Heim, ein großer Prozentsatz davon ist bereits abbezahlt. Italien sei das reichste Land Europas, versucht Berlusconi die Krise einfach wegzulächeln.

Den Italienern schlägt aufs Gemüt, dass sie in ihrem Alltag das Gegenteil erleben. Fast jeder kennt ein Familienmitglied, das seinen Arbeitsplatz verloren hat. Die Zahl der von Kurzarbeit betroffenen Familienmitglieder hat sich seit 2008 auf 24 Prozent verdoppelt. Und deutlich verschlechtert hat sich die Stimmung, seit die Regierung angekündigt hat, in den nächsten zwei Jahren fast 25 Milliarden Euro einsparen zu wollen. Ende Juni protestierten eine Million Menschen gegen die in ihren Augen ungerechten und depressiven Kürzungen. Tatsächlich wird das Sparpaket das ohnehin schwächelnde Wirtschaftswachstum in den kommenden drei Jahren um insgesamt rund ein halbes Prozent drosseln.

Geringe Sozialausgaben

Ohne Sparen, warnt Finanzminister Giulio Tremonti, drohe nicht nur fehlendes Wachstum, sondern der Kollaps. Lob bekam Tremonti vom italienischen Zentralbankchef Mario Draghi. Und den deutlichen Hinweis, es brauche neben dem Sparplan tiefgreifendere Reformen. Im ersten Quartal 2010 stieg die Arbeitslosenquote auf 9,1 Prozent – im Jahr davor waren es 7,9 Prozent. Derzeit gelten weitere 250.000 Arbeitsplätze als gefährdet. Jeder dritte junge Italiener findet keinen Job, im Süden sind es gar 43,6 Prozent.

Die Jungen müssen kämpfen, um über die Runden zu kommen. Oft sind sie auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen, weil der Staat nur wenig in die Jungen investiert und auch den Familien und bedürftigen Rentnern vergleichsweise wenig hilft. Doch langfristig, sagen Studien, könnte gerade das Italien in seiner Schuldenproblematik helfen: Weil die Sozialausgaben gering sind, könnte das Defizit langsamer steigen und Italiens Schuldenniveau im Jahr 2040 etwa hinter Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland zurückfallen. Der Bevölkerung dürfte das aber kaum zu neuem Optimismus verhelfen.

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