Letzte Sendung „Sabine Christiansen“ Armdrücken vor Millionen

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Einen geschickten Schlusspunkt hat Sabine Christian mit ihrer gestrigen Sendung gesetzt. Foto: dpa

DÜSSELDORF. Es ist, als habe eine neue Zeit begonnen, zumindest aber ein neues Jahr – angezählt von der Queen of Polit-Talk persönlich. Gestern Abend um 21.45 Uhr lief der Countdown zur letzten Sendung „Sabine Christiansen“ ab. Nun ist das Feuerwerk erloschen, sind die Sektkorken verknallt, Tränen passé. Was bleibt – gute Wünsche und ein Kater? Den Schlusspunkt hat Christiansen geschickt gesetzt, mit Bundespräsident Horst Köhler als einzigem Gast – der Ritterschlag zum Abschied. Nahezu jeder von Rang und Namen hat einmal bei Christiansen Platz genommen: angefangen von US-Präsident Bill Clinton und Uno-Chef Kofi Annan über Microsoft-Gründer Bill Gates und den verfolgten Schriftsteller Salman Rushdie bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dazwischen: Firmenchefs, Verbandsbosse, Lobbyisten, Politiker und Experten, mit deren Neutralität es oft nicht weit her war. Anders als knapp 80 Prozent der vom „Stern“ befragten Deutschen gab Guido Westerwelle zu Protokoll, er werde die Sendung vermissen. Dass ausgerechnet der FDP-Chef, der mit 31 Auftritten häufigste Gast, dies sagt, wundert nicht – wo sonst, wenn nicht bei Christiansen, ließen sich die Register einer Talkshow zur Selbstvergewisserung eigener Wichtigkeit so wunderbar ziehen. Reden, nicht reden lassen – das war die Devise der Alphamänner und -frauen in der Berliner Sendekuppel. Armdrücken vor Millionenpublikum. Doch war der politische Einfluss der Sendung wirklich so groß, wie es Friedrich Merz anlässlich der 250. Debattenrunde suggerierte? „Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der deutsche Bundestag. Das betrübt mich, aber das ist ein großer Erfolg.“ – zumindest für die ARD. Für die öffentlich-rechtliche Anstalt war Christiansen seit der ersten Sendung im Januar 1998 mit durchschnittlich 4,5 bis fünf Millionen Zuschauern bis zuletzt eine Bank – für so manchen Politiker ein illegitimes „Ersatzparlament“. Ob man aber so weit gehen kann, wie der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf Gerd Langguth? Ihm zufolge gäbe es die neue Partei „Die Linke“ nicht, wenn Christiansen rhetorisch geschickten Politprofis wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi nicht das Tor zur millionenfachen Öffentlichkeit geöffnet hätte. Christiansen als Steigbügelhalterin der Sozialisten? Andersherum wird ein Schuh draus. „Sabine Christiansen war Stichwortgeberin für den neoliberal geprägten Reformdiskurs. Sie hat mit ihrer Sendung lange Zeit den neoliberalen Zeitgeist gefördert“, sagt Ulrich Müller von „Lobby Control – Initiative für Transparenz und Demokratie“ in Köln. Die Organisation hat den Christiansen’schen Polterabend über anderthalb Jahre bis Juni 2006 unter die Lupe genommen. Fazit: „Bei den Gästen gab es ein deutliches Übergewicht der Unternehmer und Wirtschaftsverbände gegenüber den Gewerkschaften und von marktliberalen Sozialkritikern gegenüber den Befürwortern des Sozialstaates.“ Lobby Control hat nicht interpretiert, sondern gezählt. Ergo gibt es „Die Linke“ nicht wegen eines Zuviels an Lafontaine bei Christiansen, sondern wegen eines Zuviels an Westerwelle & Co. – wenn man denn tatsächlich an die Wirkkraft des sonntäglichen Debattierclubs glauben will. Christiansen hat der politischen Unterhaltungsshow, dem Politainment, zum Durchbruch verholfen, keine Frage. In der Mediendemokratie musste es so kommen. Das Gleiche gilt für die Verflachung der politischen Diskussion und die Produktion gut klingender, aber nichtssagender Soundbits aus berufenem Mund. Ob nun Christiansen diesen Trend verstärkt oder dieser Trend erst Sendungen à la Christiansen ermöglicht hat – die Frage gleicht jener nach dem Huhn und dem Ei. Tatsächlich hatte Christiansens Fortissimo-Format Verführungspotenzial. Waren die ersten Minuten verdaut, drohte der Zuschauer dranzubleiben. Zu verlockend war das explosive Gemisch der Teilnehmer, wenn es gut lief. Doch auch das Gegenteil konnte eintreten: nein, nicht wieder diese Nasen, dieses Durcheinander, nicht wieder die Frage: Ist Deutschland noch zu retten? Dann doch lieber: Rette sich wer kann – mit der Fernbedienung. Ob „Domina in der Politarena“ oder „Stichwortgeberin der Mächtigen“, ob „Volksgerichtshof des Irrsinns“ oder „Sendung mit der Maus“ – Christiansen hat von Beginn an Zynismus und Häme herausgefordert. Nachbohren, aufdecken, kontern – das war nicht ihre Taktik. „Ich habe nie auf diese aggressive Form der Gesprächsführung gesetzt, sondern vielmehr höflich, aber in der Sache konsequent meinen Stil gepflegt“, sagte sie dem „SZ-Magazin“. Vielleicht ist sie deshalb zu Deutschlands populärster Medienfrau aufgestiegen, bestens vernetzt in Politik und Gesellschaft. Sabine Christiansen kam 1957 in einem Dorf in Schleswig-Holstein zur Welt, war nach dem Abitur sieben Jahre Stewardess, debütierte als Journalistin beim NDR und machte schnell Karriere. Einem großen Publikum bekannt wurde sie als „Tagesthemen“-Moderatorin, zehn Jahre lang moderierte sie die Sendung, bevor sie mit ihrer Polit-Talkshow TV-Geschichte schrieb – mit bis gestern 448 Folgen. Sie hat viele Preise erhalten und reiste als Unicef-Sonderbotschafterin nach Afghanistan sowie in den Irak. Im Herbst will Sabine Christiansen, die in diesem Jahr 50. wird, den Jeansfabrikanten Norbert Medus (55) heiraten; es wäre ihre dritte Ehe. Auf dem Nachrichtenkanal CNBC wird sie künftig auf Englisch „Global Players with Sabine Christiansen“ moderieren. Natürlich hat sie ihren Platz in der ersten Reihe der ARD voller Wehmut geräumt. Letztlich aber, bekannte Christiansen, werde das Ende der Sendung als Begleitmusik der Nachwendegeschichte Deutschlands irgendwann verklingen: „Sendungen kommen, Sendungen gehen.“ Die ihre verweigert sich einem eindeutigen Verdikt. Die Moderatorin wird nicht als große Aufklärerin in die Geschichte eingehen, das ist sicher. Doch wahr ist auch: Sie bot ihren Gästen Gelegenheit, sich zu demaskieren. In dieser von vielen Kritikern zu gering geachteten Nebenwirkung zeigt sich eine Stärke des Fernsehens. Arroganz und Naivität offenbaren sich via Bildschirm ebenso wie Unwissen, Scheinheiligkeit und Missachtung des Wählerwillens. Wo steht geschrieben, dass man sich vor laufender Kamera nicht selbst entzaubern dürfe? Freilich, nachgeholfen hat Christiansen in der Regel nicht. Von ihrer Nachfolgerin, Anne Will, wird der Zuschauer das einfordern dürfen. Zum Start alles Gute – und ein Erwachen ohne Kater.

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