Lohnrunde Bei Elektro- und Metall-Tarifrunde droht hoher Abschluss

Bei der Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie droht ein überhöhter Abschluss – mit negativen Folgen für Arbeitsplätze und Konjunktur.

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IG-Metall-Aktivismus: Die Gewerkschaft will zwischen sechs und sieben Prozent mehr Lohn fordern, AP

In der Höhle des Löwen fühlte sich Jürgen Peters sichtlich wohl. Im dunklen Anzug, mit roter Krawatte und umzingelt von Unternehmern stellte der Vorsitzende der IG Metall jüngst auf einem Kongress des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall seine Sicht der Dinge dar. Es ging um Bildung und Innovation, die Globalisierung und den Wettbewerb mit China. Laut wurde es nicht, die Meinungsunterschiede zwischen dem Gewerkschafter und den Firmenchefs blieben überschaubar. So friedlich dürfte es zwischen den Kontrahenten nicht mehr lange zugehen. Ende März läuft der Tarifvertrag für die rund 3,4 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie aus. Am Dienstag will der IG-Metall-Vorstand in Frankfurt für die Tarifrunde eine Forderungsempfehlung an seine sieben Gewerkschaftsbezirke abgeben, am 26. Februar dann die endgültige Forderung beschließen. Wo die Reise hingeht, ist schon klar: Während die IG Metall in den vergangenen Jahren Themen wie Rente mit 60, Qualifizierung, Innovation oder die Angleichung von Arbeiter- und Angestelltenbezahlung mit auf die Agenda gesetzt hatte, will die Peters-Truppe diesmal nur eines: mehr Geld. In jedem Fall, so tönt es aus der Zentrale in Frankfurt, werde die IG Metall deutlich mehr fordern als 2006, als sie mit fünf Prozent in den Ring stieg und beachtliche drei Prozent bekam. Bayerns IG-Metall-Boss Werner Neugebauer sieht die Spanne zwischen sechs und sieben Prozent, die Tarifkommission der Metaller in Baden-Württemberg hält „Einkommenserhöhungen zwischen 6,5 und 7 Prozent“ für angemessen. Hardliner an der Basis wollen sogar noch mehr: IG-Metall-Vertrauensleute bei Porsche fordern in einer Resolution stolze 9,5 Prozent mehr Geld. Der Sportwagenhersteller war 2006 wieder profitabelster Autobauer der Welt – und deshalb wollen die Arbeitnehmer ein größeres Stück vom Kuchen. Notfalls sei die Belegschaft „bereit zu kämpfen und, falls erforderlich, auch zu streiken“. Die scharfen Töne gehören zwar zur normalen Tariffolklore zu Beginn einer jeden Verhandlungsrunde. Doch diesmal sind die Arbeitgeber in der Defensive und können nicht mehr wie in den Vorjahren mit Rückendeckung von Politik und gewerkschaftskritischer Öffentlichkeit rechnen. Grund: Die Metallbranche boomt wie lange nicht mehr. Die Auftragseingänge schossen 2006 um über elf Prozent in die Höhe, der beste Wert seit sechs Jahren. Die Produktion legte um fast sieben Prozent zu, die Produktivität kletterte um stolze 6,9 Prozent, nachdem sie bereits im Jahr zuvor um 5,3 Prozent gestiegen war. Gleichzeitig schrumpfte der Anteil der Löhne und Gehälter am Umsatz, auch bedingt durch Outsourcingprozesse, von 19,2 Prozent (2003) auf 16,5 Prozent im vergangenen Jahr. Eine Steilvorlage nicht nur für die Gewerkschaften, sondern auch für die Politik. 2007 finden in allen großen Wirtschaftsbereichen Tarifverhandlungen statt – insgesamt für rund elf Millionen Beschäftigte. Es sei „Zeit für eine Lohnpolitik, die den Arbeitnehmern angemessene Lohnerhöhungen zubilligt“, findet SPD-Chef Kurt Beck. Arbeitsminister Franz Müntefering würde gerne „die Spirale nach oben drehen“. Auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber betätigt sich als Tarifpolitiker: „Wo die Wirtschaft spürbar wächst, sollte es spürbare Lohnerhöhungen geben.“ Und spricht nicht wirklich viel dafür, den Arbeitnehmern, deren Realeinkommen in vielen Branchen seit Jahren stagnieren oder gar sinken, in Zeiten des Aufschwungs wieder kräftige Lohnaufschläge zu gewähren? Fakt ist: Ausgerechnet im Boomjahr 2006 gab es im Schnitt aller Branchen mit 1,2 Prozent den geringsten Anstieg der Angestellten-Tariflöhne seit 1995. Aktuell könnten viele Unternehmen höhere Löhne offenbar verkraften. Doch was geschieht, wenn sich die Konjunktur eintrübt? Schon in diesem Jahr, da sind sich die meisten Experten einig, dürfte die Dynamik nachlassen. Die Produktion in der Metallindustrie etwa werde in diesem Jahr nur noch um rund drei Prozent steigen, prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Übermäßige Lohnerhöhungen würden daher die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen untergraben – die deutschen Exporterfolge und steigende Beschäftigungszahlen sind schließlich auch dadurch begründet, dass die Lohnstückkosten in Deutschland seit 2003 kontinuierlich sinken. „Die moderate Tarifpolitik der vergangenen Jahre war ein wichtiger Grundstein für den Aufschwung. Das dürfen die Gewerkschaften jetzt nicht aufs Spiel setzen“, mahnt Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Mitglied des Sachverständigenrats (SVR). Für konjunktur- und beschäftigungsneutral halten Ökonomen einen Abschluss von maximal drei Prozent. Sollen neue Jobs entstehen, dürfe dieser „Verteilungsspielraum“ allerdings nicht ausgeschöpft werden. 2006 stieg die Zahl der Beschäftigen allein in der Metallindustrie um über 30.000, vor allem in Ostdeutschland stellten die Betriebe wieder mehr Leute ein. Tatsächlich hat die Globalisierung zu einem enormen Wettbewerbsdruck geführt, der eine differenziertere Lohnpolitik erfordert, als die Gewerkschaften bisher zugestehen. Den Konkurrenzkampf mit Asien und Osteuropa kann die deutsche Wirtschaft nur bestehen, wenn in den Unternehmen eine neue, ertrags- und betriebsorientierte Form von Tarifpolitik greift. „Die Arbeitnehmer müssen am Erfolg beteiligt werden. Dies sollte aber vor allem über eine Gewinnbeteiligung geschehen“, rät ZEW-Chef Franz. Seiner Meinung nach sollten die Tarifparteien dazu Rahmenvereinbarungen abschließen. Franz: „Hätten die Tarifparteien schon früher darauf gesetzt, könnten die Beschäftigten nun eine reiche Ernte einfahren.“

Ein deutlicher Anstieg der Grundlöhne hingegen birgt gleich mehrere Gefahren. Zum einen könnten noch mehr Unternehmen ihre Produktion ins billigere Ausland verlagern. Zum anderen könnte die Europäische Zentralbank einen zu hohen Tarifabschluss in Deutschland als Signal für neuen Inflationsdruck sehen und eine restriktivere Zinspolitik fahren. Die Strategie der Metallarbeitgeber ist daher klar. Der dauerhafte Anstieg in den Lohntabellen soll möglichst gering ausfallen, im Gegenzug sind die Unternehmen bereit, einen ansehnlichen Konjunkturbonus zu zahlen. „Wir wollen die Beschäftigten am wirtschaftlichen Erfolg beteiligen“, sagt Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser. Als Alternative zu Einmalzahlungen diskutieren die Arbeitgeber dabei auch eine zeitlich befristete prozentuale Anhebung der Entgelte. Dies hätte den Charme, dass eine überproportionale Kostenbelastung von Betrieben mit hohem Anteil niedriger Tarifgruppen vermieden wird – Jobs also, die durch Outsourcingprozesse besonders gefährdet sind. Intern spielen die Arbeitgeber zudem Modelle mit einem nach oben und unten flexibilisierten Weihnachtsgeld durch, das derzeit zwischen 50 Prozent (Ost) und 55 Prozent (West) des Monatslohns liegt. Doch die IG Metall gibt sich noch zugeknöpft. Einmalzahlungen könnten allenfalls „die Petersilie obendrauf“ sein, spottet Armin Schild, IG-Metall-Chef von Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und dem Saarland. Das Problem für die Unternehmen: Wegen der zunehmenden Just-in-time-Produktion lassen sich durch punktuelle Streiks an sensiblen Schnittstellen ganze Produktionszweige lahmlegen. Die Arbeitgeber können auch nicht darauf bauen, dass der IG Metall angesichts ihres seit Jahren anhaltenden Mitglieder- und Einnahmenschwunds die Streiklust abhanden gekommen sein könnte. Im Gegenteil: „Wenn die Wirtschaft brummt, sind die Beschäftigten viel motivierter, für ihre Interessen zu streiten als in Krisenzeiten“, ist sich der niedersächsische IG-Metall-Chef Hartmut Meine sicher. Da die Gewerkschaft auch in schlechten Jahren stets 15 Prozent der Gesamteinnahmen in ihren Streikfonds überwiesen habe, sei „die Streikkasse prall gefüllt“. Die IG Metall könne daher „einen flächendeckenden Arbeitskampf problemlos finanzieren – notfalls über Wochen und Monate hinweg“. Angesichts der guten Auftragslage und des knüppelharten Wettbewerbs können sich viele Unternehmen Produktions- und Lieferausfälle aber nicht leisten. Vor allem Großunternehmen dürften daher lieber einen überhöhten Abschluss akzeptieren als einen Streik – zumal sie später auch leichter als die Mittelständler zu teure Produktion ins Ausland verlegen können. Nach der Tarifarithmetik der vergangenen Jahre, als die Abschlüsse bei rund 55 bis 60 Prozent der ursprünglichen IG-Metall-Forderung lagen, könnte somit am Schluss sogar eine Vier vor dem Komma stehen. Damit würde die größte deutsche Gewerkschaft auch Pflöcke für die anderen Wirtschaftsbereiche einschlagen, in denen in diesem Jahr verhandelt wird. „Die Zeit der Lohnzurückhaltung geht 2007 zu Ende“, prognostiziert Thorsten Polleit, Deutschland-Chefökonom von Barclays Capital, in einer aktuellen Studie zur Tarifrunde. Für eine knallharte Verhandlungsführung der IG Metall sprechen auch organisationspolitische Gründe. Im Herbst wählt die Gewerkschaft in Leipzig eine neue Führung. Dann soll Vizechef Berthold Huber für Jürgen Peters an die Spitze rücken. Die möglichen Kandidaten für den vakanten Vizeposten werden daher versuchen, in den Tarifverhandlungen ihr Profil zu schärfen und einen hohen Pilotabschluss zu erzielen. Im Rennen sind die Bezirksleiter Armin Schild und Hartmut Meine sowie der oberste Metaller von Nordrhein-Westfalen, Detlef Wetzel. Angesichts dieser Gemengelage wächst vor allem im Mittelstand die Sorge, dass ihre Verhandlungsführer zu kompromissbereit agieren könnten. „Ohne maßvolle Lohnpolitik verspielen wir den Aufschwung“, warnt Dieter Brucklacher, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen-und Anlagenbau (VDMA), der tarifpolitisch mit den Arbeitgeberverbänden seit Jahren über Kreuz liegt. „Die tabellenwirksame Erhöhung“, so schreibt Brucklacher den Kollegen von Gesamtmetall ins Stammbuch, müsse „erheblich unter dem letzten Abschluss liegen“. Dass die Lohnrunde heikel wird, befürchten insgeheim auch die Arbeitgeber. „Bei diesen Verhandlungen“, schwant es einem hohen Verbandsfunktionär, „können wir uns wohl nur mit einer langen Laufzeit retten.“

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