Unternehmer-Bilanz Chaos in Russland war gestern

Deutsche Unternehmer ziehen über Putins Russland eine insgesamt positive Bilanz. Mit Korruption und Bürokratie haben sie sich arrangiert.

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Russlands scheidender Quelle: dpa

Der erste Anlauf ist zehn Jahre her. Damals plante die Spedition Fiege aus dem Münsterland ein Logistikzentrum in Samara an der Wolga. Ein Partner vor Ort war rasch gefunden, der Gouverneur wollte persönlich für freie Fahrt sorgen. Doch dann kam die russische Währungskrise, Kunden sprangen ab, der Partner machte sich aus dem Staub, und das war es erst einmal. So erging es vielen Ausländern in den wilden Neunzigerjahren – in Russland herrschte Chaos.

Ilka Hessler studierte damals BWL in Bamberg. Acht Jahre später, als die Münsterländer im zweiten Anlauf den russischen Spediteur Rewico übernahmen, war die 34-Jährige als Vertriebschefin an Bord und eine kleine Erfolgsgeschichte begann, die typisch ist für viele Investitionen von Pionieren in Wladimir Putins Reich.

„In Russland steckt die Logistik noch in den Anfängen“, sagt Hessler. „Der Wettbewerb ist noch nicht so hart, es gibt einen riesigen Bedarf.“ Doch gerade Fuhrunternehmer holpern über die Schlaglöcher des Alltags, wenn Lieferfristen wegen Staus und schlechter Straßen strapaziert werden oder der Zoll tagelang einen Lastwagen festhält.

Trotz des Ärgers mit Behörden, der in Russland dazugehört, loben deutsche Geschäftsleute den jetzt aus dem Amt des Präsidenten ausscheidenden Wladimir Putin. Was hat sich unter ihm geändert? Firmen bekommen recht vor Gericht, Steuerbescheide werden nicht mehr willkürlich festgelegt, Filialen lassen sich flott gründen.

Russland ist nicht mehr der Selbstbedienungsladen für ausländische Investoren, der er einmal war. Jetzt gilt die wichtigste Spielregel: In den Schlüsselindustrien geben vom Staat kontrollierte Unternehmen den Ton an. Gazprom, Rosneft oder die Eisenbahn RZD sperren sich nicht gegen Kooperationen. Und: Wenn sie den Russen bei der technologischen Aufholjagd helfen, können ausländische Joint-Venture-Partner viel Geld verdienen.

Zum Beispiel Giesecke & Devrient, Deutschlands einziges Privatunternehmen, das Euro-Banknoten druckt. Die Münchner sind mit 35 Prozent an einem High-Tech-Werk in Moskau beteiligt. Dort werden Kreditkarten, elektronische Fahr-scheine, Sim- und Smart-Karten produziert. Die Mehrheit an dem Joint Venture hält Sitronics, „der Nukleus der russischen High-Tech-Industrie“, wie Hansjörg Müller, Chef der russischen Tochter von Giesecke & Devrient, sagt. Dahinter wiederum steht der Staat, der das Unternehmen mit Öl- und Gasmillionen fördert.

Wie sehr Russland auf Know-how von draußen angewiesen ist, hat der Kreml erst unter Putins Regie erkannt. In den Jelzin-Jahren vor 2000 sei es „drunter und drüber gegangen“, erinnert sich ein deutscher Unternehmensberater. Der Staat war machtlos gegen mafiöse Unternehmer, immer wieder wurden Geschäftsleute ermordet. Einen Lastwagen mit Importware bekam man damals oft nur mit Schmiergeld aus dem Zoll.

Das sei alles anders geworden, meint der Geschäftsmann. Wer legale Geschäfte treibt, könne Steuerprobleme heute durch Anruf beim zuständigen Behördenchef lösen. Beim Zoll und in Behörden hat der Geheimdienst Korruptionswächter postiert. Wer das zu nutzen wisse, habe mit korrupten Beamten keine Probleme.

Das wissen aber nur wenige. Die meisten Investoren ärgern sich nach wie vor über die lahme Bürokratie und pedantische Beamte. Sie verzweifeln an der Regelungswut, die sich in russischen Steuergesetzen, Brandschutzbestimmungen und Produktionsrichtlinien niederschlägt. Der dauernde Vergleich mit den Praktiken in der Heimat helfe aber nicht, meint Hansjörg Müller: „Viele westliche Unternehmer machen den Fehler, dass sie sich nicht die russische Brille aufsetzen.“

Ilka Hessler hat fürs Erste diese Brille abgesetzt. „Für eine gewisse Zeit ist Russland sehr interessant“, sagt sie. Aber irgendwann müsse man auch mal raus. Seit einigen Wochen arbeitet die Logistikexpertin abwechselnd im Münsterland und in Istanbul, und sie profitiert von ihren Erfahrungen in Russland: „Wenn ich in Moskau eines gelernt habe, dann ist es die Gelassenheit.“

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